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Lernen und Lehren im Elfenbeinturm

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Von Essays und Performances · Ein Bericht aus der Musikfakultät der Universität Oxford
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Nach rund 800 Jahren hat die Universität Oxford auch am Ende des 20. Jahrhunderts nichts von ihrem Reiz verloren: ein Mekka für Forscher, Talentschmiede des wissenschaftlichen Nachwuchses, akademischer Elfenbeinturm schlechthin. Oder doch nur ein Eliteklüngel, mehr Schein als Sein? Für Musiker zumindest scheint ein Studium in Oxford noch immer ungebrochene Zauberkräfte im Lebenslauf zu haben. Seit Jahren ist die Zahl derer, die sich musikalisch im berühmt-berüchtigten Tutorensystem drillen lassen wollen, konstant.

Zwischen den träumenden Türmen der City und Oxfords malerischen Themsewiesen beherbergt ein verwinkelter Backsteinbau die „Faculty of Music“. Hier sind die 23 Lehrenden des Fachbereichs Musik auf universitärer Ebene zentral zusammengeschlossen. Darüberhinaus gehören die meisten Dozenten auch oder überwiegend einem der fast 40 Colleges an, die sich über die ganze Innenstadt verteilen. Ob Fellow, Reader oder Lecturer, ihre Position ist annähernd gleich. Nur der Institutsdirektor ist als „Professor of Music“ direkt von der Universität angestellt. Und hier regiert seit 1996 interessanterweise einer der derzeit vielseitigsten deutschen Musikwissenschaftler: Professor Reinhard Strohm. Dreimal im Jahr, während der jeweils nur achtwöchigen Trimester, geht es an der Musikfakultät rund: 163 Undergraduates und etwa 50 graduierte Studierende streben zur Zeit nach einem der heißbegehrten Oxford-Degrees. Doch wer hier studiert, hat schon ein ganzes Stück Weges hinter sich gebracht: Von den über 100 meist frischgebackenen und überwiegend britischen Schulabgängern mit Studienberechtigung, die sich jedes Jahr um Aufnahme als Undergraduate bemühen, wird in zwei Auswahlverfahren gut die Hälfte ausgesiebt. Bewerber müssen sich bereits in der Schule auf Musik spezialisiert haben und aus diesem A-level-Kurs mehrere schriftliche Arbeiten einreichen. Sind diese erfolgversprechend, so werden Kandidaten von den Lehrenden der Colleges ihrer Wahl zu einer Aufnahmeprüfung ähnlich derjenigen an deutschen Musikhochschulen eingeladen. Die in Deutschland voneinander getrennten universitären Musikinstitutionen sind in Oxford weitgehend vereint. Daher kommt es, daß der dreijährige Studiengang, der zum Bachelor of Arts (BA) als erstem Abschluß führt, sehr breit gehalten ist; die Grenze zwischen Theorie und Praxis verschwimmt. Ziel des Lehrplans ist laut Institutsdirektor, professionelle Musiker jeder Art auszubilden. Das erste Studienjahr versteht sich als Grundlagenzeit, deren vorgeschriebene Inhalte am Ende des Jahres in den „Honour Moderations“ abgeprüft werden. In der anschließenden „Final Honour School“ besteht etwas mehr Freiheit. Studierende können hier zwischen verschiedenen Bereichen wählen, die – anders als im deutschen Musikwissenschaftsstudium – teils schon gezielt auf bestimmte Berufe vorbereiten. Dazu gehören etwa Komposition, Orchestrationslehre, Harmonielehre und Kontrapunkt, Aufführungspraxis, Edition, Musiktheorie, Musikphilosophie und Ästhetik, Analyse oder Musikkritik. So umfaßt etwa die Hälfte der zu absolvierenden Prüfungen Gebiete aus Musikgeschichte und -wissenschaft; ein Viertel kann durch praktische Aufführungen abgedeckt werden. Instrumental- und Vokalunterricht wird allerdings weder an Colleges noch an der Musikfakultät erteilt. Interessenten müssen sich ihre Lehrer – bevorzugt im Großraum London – selbst suchen; wer Performance als Examensfach belegt, bekommt die Kosten für diesen Privatunterricht dann von seinem College erstattet. Großen Wert legt man an der Fakultät allerdings auf „piano skills“, auf das Partitur- und Generalbaßspiel: Jedem wird ein „Mindestmaß an Geschicklichkeit an der Tastatur“ beigebracht, denn, so Professor Strohm, jeder Musiker muß ein paar Akkorde am Klavier zusammenbringen können.“ Zeitrahmen und Struktur des Studiums sind, wie in Großbritannien und den USA üblich, streng vorgegeben, Ausbrüche aus dem System nur mit Sondergenehmigung und erheblichen finanziellen Belastungen möglich. Herausragendstes Merkmal dieses Studienganges in Oxford sind aber die persönliche Betreuung und das berühmte Essayschreiben. Pro Woche wird in der Regel eine schriftliche Hausarbeit verlangt, die dann im wöchentlichen Tutonum – in persönlich-vertrauter College-Atmosphäre und manchmal gar bei einer Tasse Tee – face-to-face besprochen wird. Hier gibt es kein Verstecken in der Masse, kein orientierungsloses Vor-Sich-Hin-Arbeiten. Mit umfangreichen Leselisten versorgt, ist man gezwungen, sich eine Woche lang intensiv beispielsweise mit Mozarts Wiener Jahren, die nächste Woche mit englischer Renaissancemusik und schließlich mit Adornos Musikästhetik auseinanderzusetzen. Die Fähigkeit, sich in kürzester Zeit beträchtliche Kenntnisse anzueignen und diese dann formschön zu verpacken, ist so am Ende des Studiums extrem gut geschult. Mit einer deutschen Seminarhausarbeit sind solche Essays quantitativ natürlich nicht vergleichbar. Und die offenkundige Gefahr der Methode ist, daß die Arbeit an der Oberfläche und das eigene akademisch-kritische Denken auf der Strecke bleiben. Der Institutsleiter sieht das etwas gelassener: „Die Aufgaben, die die Studenten zu erledigen haben, sind zum großen Teil selbst gewählt. Im Wesentlichen wird erwartet, daß man sich allgemein wissensmäßig bildet, und dabei wird einem geholfen, indem Themen gestellt und die Essays überwacht werden.“ Die Einzelerziehung im Elfenbeinturm hat auch ihre Schwachstelle: die Finanzierung. Bislang wurden die Universitäts- und Collegegebühren von gut 10.000 Mark pro Jahr für einen Undergraduate grundsätzlich von der jeweiligen Local Education Authority getragen. Doch wird in ganz Großbritannien ab Herbst eine jährliche Studiengebühr von rund 3.000 Mark eingeführt. Eine von der Regierung beabsichtigte Zentrale soll darüber entscheiden, wem hierfür ein Kredit gewährt wird und wer von vornherein aus eigener Tasche zahlen muß. Darüber hinaus ist, wie könnte es anders sein, jüngst die Frage laut geworden, ob Oxford und Cambridge überhaupt ihre außerordentlichen Gebühren erheben dürfen. Die Gefahr besteht, daß die Regierung künftig zumindest teilweise selbst über diese Mittel verfügen und sie anderen Zwecken zuführen will. Damit ist das System der teuren Einzelerziehung insgesamt unter Beschuß geraten.

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