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Auf eigenen Wegen bewährt: CPE Bach. Abbildung: Bach-Archiv Leipzig
Auf eigenen Wegen bewährt: CPE Bach. Abbildung: Bach-Archiv Leipzig
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Lob des empfindsamen Handwerkers

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Vor 300 Jahren wurde Carl Philipp Emanuel Bach geboren · Von Hanspeter Krellmann
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Kalenderjahre markieren personen- und sachgebundene Jubiläumsdaten. Auch für 2014 ist personaler Schwerpunkte im Bereich Musik zu gedenken. Sie betreffen – zum Beispiel – Richard Strauss und Eugen d’Albert. Beide wurden 1864 geboren, im Todesjahr Meyerbeers. Weitere anderthalb Jahrhunderte zurück, ins Jahr 1714, fallen die Geburten Christoph Willibald Glucks, Gottfried August Homilius’ – eines Bach-Schülers, der in Dresden seine Lebensstellung fand – und eben Carl Philipp Emanuel Bachs. Begegnungen mit diesen drei hat der britische Kirchenmusiker und Musikschriftsteller Charles Burney – auch er ein Jubilar, er starb 1814 – in seinen zu einer eigenartigen Kulturgeschichte gewordenen Reiseberichten festgehalten.

Und der Stand der drei herausgehobenen Komponisten? Gluck besetzt vornehmlich mit seinen fünf Reformopern aktuelle Bühnenspielpläne. Kirchenmusiker, die Seitenwege nicht scheuen, beachten Homilius’ Kompositionen. Und Carl Philipp Emanuel Bach? Die auf ihn zielende Bedeutungsfrage erfordert eine ausführliche Antwort. Dieser zweitgeborene Sohn unter Johann Sebastian Bachs zwanzig Kindern beansprucht unter seinen musikalisch ambitionierten Geschwistern den historisch höchsten Rang. Er war Privatschüler seines Vaters. Dessen im Zentrum des gottgefälligen Hauses Bach stehenden Beruf lernte er in allen seinen Finessen kennen. Als Johann Sebastians metiervertrauter Assistent erwarb CPE – unter seinen Vornamenskürzeln wird er in Fachkreisen oft genannt – grundlegende Kenntnisse: zum einen über das Komponieren und gleichrangig über die notwendigen fachgerechten Aufführungspraktiken. Erfindung und Wiedergabe des Erfundenen bildeten, vor dem Geniekult im 19. Jahrhundert und mehr als heute, Basis und Renommee des Komponistenberufes.

Dienstherrliche Ansprüche ausfüllen

Carl Philipp Emanuel lernte wie nebenbei, welcher als selbstverständlich vorauszusetzenden Kompetenz es bedurfte, um eine Festanstellung bei Hofe oder in der Kirche, damals berufliche Zielpunkte dieses Berufszweiges, den dienstherrlichen Ansprüchen gemäß auszufüllen. Dass er die Komponisten-Laufbahn einschlagen würde, galt wohl von Anfang an als ausgemacht. So dürfte in seinem Umfeld erwartet worden sein, dass er sich nicht nur handwerklich, sondern ebenso stilistisch nach dem väterlichen Vorbild ausrichtete.

Das tat er in mancherlei Hinsicht zweifellos, in letzter Konsequenz jedoch nicht. Natürlich war er sich der besonderen Bedeutung seines Vaters für das Handwerk bewusst. Als Johann Sebastian 1750 starb, hatte sich der 36-jährige Carl Philipp Emanuel allerdings schon lange auf eigenen Wegen bewährt. Parallel zur Musik hatte er Jus studiert, und ab 1738 lebte er in Rheinsberg, dann in Berlin als versierter Cembalist im Dienst des preußischen Kronprinzen. Dieser stellte ihn, als er 1740 als Friedrich II. preußischer König wurde, sogar fest an – jedoch mit mäßiger Bezahlung. Der eigenwillige Monarch verehrte den alten Bach bekanntermaßen sehr, erachtete den Sohn und dessen Musik jedoch keiner herausgehobenen Beachtung für wert. Er bevorzugte in seine Hofhaltung eingebundene Kapellmeister wie Quantz und Graun neben den italienischen Sängern, die er alle mit einem Mehrfachen von Bachs Gage honorierte.

Den König ertragen

Philipp Emanuel bewarb sich verschiedentlich und nicht grundlos weg von Berlin; 1755 für das Leipziger Thomas-Kantorat – allerdings erfolglos. Am Ende ertrug er den immerhin musikalisch gebildeten König knapp dreißig Jahre. Die konnte er, da seine offiziellen Dienste überschaubar beansprucht wurden, für sich nutzen und wurde darüber – so wie auch Joseph Haydn es für sich verstand – zum Original. Carl Philipp Emanuel fand Zugang zur Gelehrtenrepublik Berlins, zählte bald zu deren herausragenden Geistesgrößen, die ihn und seine neuartigen musikalischen Initiativen schätzten. Neuartig wirkten seine Kompositionen im Vergleich zu denen der Vorgängergeneration in der Tat. Tragische Koinzidenz: Je mehr Johann Sebastian Bach mit seinem grandiosen Vermächtnis in Vergessenheit geriet – zur Zeit seines Todes 1750 bereits geraten war –, des-to strahlender ging des Sohnes Stern auf. Wenn der Name Bach fiel, war ab jetzt Carl Philipp Emanuel gemeint, nicht mehr Johann Sebastian. Dessen so strikt durchgebildetes Œuvre wurde als überholt abgetan.

CPE Bach inkorporierte sich der Berliner Liederschule, deren komponierende Mitglieder die emanzipatorische Haltung des erwachenden Bildungsbürgertums aufgriffen, was zu einer neuen Musikkultur führen sollte. Bach schuf Gegenwartsmusik – etwa Vokalmusik auf zeitgenössische Lyrik Gleims, Lessings, Gellerts. Er legte ein vom aufgeklärten Zeitgeist durchpulstes, immens reichhaltiges Klavierwerk vor – nicht als eine gelehrt-verzopfte Spezialistenkunst, aber ebenso wenig als eine volkstümlich-vereinfachte. (Dieses komplexe Konvolut hat die Pianis-tin Ana-Marija Markovina auf 26 CDs bei hänssler CLASSIC, 4070269, vorgelegt – schon als pianistische Fleißleistung bewundernswert.) Auch komponierte Bach in seiner Berliner Zeit eine ausgedehnte, konzertanten Zwecken dienende Literatur für Klavier (Cembalo), Oboe, Orgel, Flöte, meist mit Streicherbegleitung. Er bereicherte die Repertoires des Kammermusikbereiches mit Duo- und Triosonaten, Klaviertrios, sogenannten Sonatinen für Cembalo allein oder – ad libitum – mit Orchester. Im Hintergrund blieb, daran gemessen, die reine Orchestermusik: In Berlin entstanden neun Sinfonien für Streicher und Bläser, die bis heute mit ihrer Fantasie-Ausweitung in gestaltenerfüllter und harmonisch kühner Durchführung eine aufrüttelnde Wirkung auslösen.

Für diese Arbeit kam ihm die beim Vater erworbene Handwerklichkeit, auf der Grundlage traditioneller Grundwerte errichtet, zugute: Er entfaltete sein Ingenium in aller Üppigkeit. Klangliche Ausdrücklichkeit rückte für ihn als Gefühlsebene nach vorn. Empfindsamkeit lautete der zeitgebundene Schlüsselbegriff. Kapriziös, aber unmanieriert konnte die formal knapp gefasste Klangkunst ausschwärmen. Sie gab sich niemals langatmig, gar langweilig, wandte sich unmittelbar an die Hörer, ohne diese mit abweisender Gelehrsamkeit zu belasten, zu überfordern, ohne sich anzubiedern, flüchtig zu werden, sich den Gefahren lässiger Gefallsucht auszusetzen.

Nach Hamburg

1768 gelingt Carl Philipp Emanuel Bach eine Bewerbung nach außerhalb: Er wird für den berühmten, ein Jahr zuvor gestorbenen Georg Philipp Telemann, seinen Paten, Musikdirektor der fünf Hauptkirchen in Hamburg – nach dem Niedergang der Gänsemarktoper die hoch angesehene und deshalb zentral wirksame Leitungsposition im Musikleben der Hansestadt. Diese neue Tätigkeit befruchtete den inzwischen nicht mehr jungen Bach nach seinen Maßgaben, und er füllte sie aus bis 1788, als er, ein gutes Jahr nach Leopold Mozart, starb. Der, aber besonders sein Sohn Wolfgang Amadé, wie auch Joseph Haydn und Beethoven hatten sich auf ihn als Vorbild berufen.

Carl Philipp Emanuel wurde vom Berliner zum Hamburger Bach und führte Anspruch und Autorität Telemanns auf seine Weise fort. Mit Persönlichkeiten wie Lessing, Klopstock, Matthias Claudius trat er in fruchtbaren Gedankenaustausch, hinzu kamen, was nahelag, Theologen wie der Hauptpas-tor Sturm, der auf einem Bild mit Bach verewigt ist. Seine gesellschaftliche Einbindung in gehobene Hamburger Kreise, wie zuvor in Berlin, gelang ihm leicht.

Auf musikalischem Feld stand er ohnehin, weil konkurrenzfrei, unangefochten da. Charles Burney besuchte ihn auf Empfehlung des in Bergedorf gebürtigen Komponisten Johann Adolph Hasse. In seiner Reiseniederschrift von 1773 hinterließ er das denkbar lebhafteste und beeindruckendste Zeugnis von Carl Philipp Emanuel Bach. Begeistert berichtete er speziell über dessen Klavierspiel, das man diesem Ohrenzeugenbericht zufolge immer mitbedenken sollte, wenn man Bachs Klavierkompositionen heute hört.

Die virtuose wie empfindsame Art der pianistisch richtigen Ausdrucksfindung hatte Bach in Berlin 1753 und 1762 in seinem „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ bis in alle Vortragsmanieren niedergelegt. Er hat selbst auf seine „natürliche Fähigkeit“ zur „Verschiedenheit“ in seinen Arbeiten hingewiesen und damit begründet, er habe „niemals die allzu große Einförmigkeit in der Komposition und im Geschmack geliebet“. Die höchst variative Detailgestaltung seiner Klavierkompositionen, das sich Nicht-genug-tun-Können mit Auszierungen der Spielfiguralität, mit Form-Varianten zum Beispiel der Reprisen in Sonaten-Kopfsätzen, was er – zusammengenommen – in Hamburg in mehreren Sonatensammlungen mit dem Zusatztitel „für Kenner und Liebhaber“ nochmals explizit hervorhob – diesen Komplex stellte Bach als freischaffender Komponist, ohne Anwendungsziele zu bedenken, zur gleichsam freien Verfügung.

Dieses Kompositionsgebiet trat in Hamburg im Übrigen zurück. Auch Sinfonien und Konzerte entstanden hier weniger als in Berlin. Hier hatte Bach seine merklich ausgedehnten kirchenmusikalischen Pflichten gottesdienstlichen wie konzertanten Charakters wahrzunehmen. Wie es dem Brauch der Zeit weiterhin entsprach, war dafür zu jedem öffentlichen Termin neu komponierte Musik, zumeist eigene, durch den Kantor vorzulegen. Bachs Werkverzeichnis gibt beredt Auskunft über die Konsequenzen: Fleiß und Fantasie waren gefragt. Manchmal half er sich, indem er Ausschnitte aus Werken von Kollegen aufgriff. Von 21 Passionsmusiken, zu jeder Osterzeit eine, weiß man; Oratorien, Kantaten, Liederzyk-len, Choräle vervollständigen die Liste der Vokalmusik.

Carl Philipp Emanuel Bach starb 1788 in Hamburg hochgeachtet, eine kontinentale Berühmtheit, die in der Hauptkirche St. Michaelis beigesetzt wurde. Danach haben sich die Rezeptions-Gepflogenheiten als geschichtlicher Prozess umgedreht: Sein Schaffen steht als editionstechnisch erschlossener, aber weitgehend unbekannter Block – wie der seiner Brüder, aber im Gegensatz zu dem seines Vaters – zur Verfügung. Welcher Grund ist dafür zu nennen?

Carl Philipp Emanuel Bach ist es nach seinem Tod nicht anders ergangen als vor ihm seinem Vater ab 1750. Er wurde langsam vergessen, galt dafür in der sich allmählich durchsetzenden Musikwissenschaft als Schrittmacher der Wiener Klassiker, als ein Übergangs-Spezialist, der über die fabelhaften technisch-stilistischen Einsichten in die Zeit nach dem Barock verfügte, die im Aufklärungszeitalter abgelöst wurden: Ab jetzt ging es um die stärkere Berücksichtigung individuell-emotionaler Eigentümlichkeiten.

Die Musik Carl Philipp Emanuel Bachs bot sich seitdem als einschlägiger Quellenvorrat an, nicht aber als Repertoirebeitrag im aufkommenden Konzertbetrieb. Daran hat sich bis heute nichts Entscheidendes geändert. Die Originalklangbewegung hat die Gewissensschwelle hochgelegt, wenn es darum geht, seine Kompositionen einzuordnen oder zuzuordnen. In den großformatigen Konzerten unserer Zeit stünden sie auf verlorenem Posten. (Den vier Orchestersuiten und den sechs Brandenburgischen Konzerten Johann Sebastian Bachs ergeht es ebenso.) In Programmen kleinerer Kammerorchester, mit oder ohne Originalklanganspruch, fänden sie einen legitimen Ort. Wo dies im Jubiläumsjahr Carl Philipp Emanuels stattgehabt hat, wurde das Programm häufig mit Musik des alten Bach aufgefüllt – aus Attraktivitätsgründen. Geschlossen seinem Schaffen vorbehaltene Programme würden sich, realistisch eingeschätzt, als Risikoträger erweisen. Bevor man seine Vokalwerke aufführt, greift man zu Händels Oratorien, zu denen Johann Sebastian Bachs sowieso.

Verborgene Schätze

Auf diese Weise ist alles von CPE Bach Geschaffene heute unbekannt. Dabei hielte, was man von ihm böte, mittlerweile wieder neue Überraschungen bereit, dieses im Geiste des aufklärerischen Fortschritts, der emotionalen Empfindsamkeit Komponierte. Am ehesten wäre es vermutlich zu bewerkstelligen, mit Bachs Hunderten von Sonaten, Fantasien, Tänzen, um die es lohnt, das heutige Konzert-Repertoire auszustatten. CPE Bachs Klavierwerke fallen immer kurz aus. Jeweils einige zur Gruppe zusammengefasst, würden sie sich in jedem Klavier-Recital stilvoll, effizient, gewichtig und originell ausnehmen – wie es Domenico Scarlattis Sonaten tun. Aber es geschieht nichts in dieser Richtung. Zumindest noch nicht.Die Bach-Städte Hamburg, Potsdam, Berlin, Frankfurt (Oder), Leipzig und Weimar sowie viele weitere deutsche Städte feiern Carl Philipp Emanuel Bachs Geburtstag mit über 300 Konzerten und Veranstaltungen. Zusammengefasst sind die Aktivitäten auf einer gemeinsamen Webseite inkl. eines wöchentlich aktualisierten Blogs zu Leben und Werk CPE Bachs: www.cpebach.de

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