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Mängel benennen und Perspektiven aufzeigen

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Die Kinderoper Brundibár von Hans Krásá als europäisches Konzept · Von Wolfgang Würriehausen
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Es muss insofern als deutlicher Fortschritt gelten, dass das nun befriedete multinationale Gebilde seine vielen aktiven Politikfelder erweitert und der Kultur eine etwas größere Beachtung schenkt, nachdem mehr als vier Jahrzehnte lang die aktive Kulturpolitik weitestgehend ausgeklammert war. Es wäre falsch zu vermuten, die neue aktive Dimension Europas in der Kulturpolitik bedeute eine Einmischung in nationale Verantwortlichkeiten oder gar deren Ersatz. Vielmehr trägt der Ausbau der kulturpolitischen Instrumente die Handschrift des gemeinschaftspolitisch Machbaren und Wünschenswerten auf dieser zusätzlichen Ebene. Bereits im Vertragstext von Maastricht von 1992, Artikel 128, beschränken die Partner den Beitrag der Gemeinschaft auf die „Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes" und begrenzen in Absatz (2) die Maßnahmen auf eine Ergänzung der Tätigkeiten der Mitgliedstaaten, „falls erforderlich".

Die Schaffung einer europäischen Kulturpolitik hat nicht erst jetzt begonnen. Auch das Auslassen bestimmter Politikbereiche aus dem Tagesgeschäft ist eine Form des Ausdrucks politischen Willens und beschreibt mithin eine besonders deutliche Setzung der Prioritäten. Natürlich musste kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Konstruktion Monnets und Schumans zuallererst eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft und gegenseitige Abhängigkeit insbesondere Frankreichs und Deutschlands das Fundament gießen, auf dem das weitere Gestalten des Hauses Europa möglich sein werde. Dass nun aus einem kriegs- und hassgeschüttelten Kontinent innerhalb zweier Generationen eine Großregion gewachsen ist innerhalb deren Grenzen eine gegenseitige kriegerische Auseinandersetzung schlicht undenkbar oder gar unmöglich geworden ist, grenzt historisch betrachtet an ein Wunder und kann gar nicht oft genug gewürdigt werden. Es muss insofern als deutlicher Fortschritt gelten, dass das nun befriedete multinationale Gebilde seine vielen aktiven Politikfelder erweitert und der Kultur eine etwas größere Beachtung schenkt, nachdem mehr als vier Jahrzehnte lang die aktive Kulturpolitik weitestgehend ausgeklammert war. Es wäre falsch zu vermuten, die neue aktive Dimension Europas in der Kulturpolitik bedeute eine Einmischung in nationale Verantwortlichkeiten oder gar deren Ersatz. Vielmehr trägt der Ausbau der kulturpolitischen Instrumente die Handschrift des gemeinschaftspolitisch Machbaren und Wünschenswerten auf dieser zusätzlichen Ebene. Bereits im Vertragstext von Maastricht von 1992, Artikel 128, beschränken die Partner den Beitrag der Gemeinschaft auf die „Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes" und begrenzen in Absatz (2) die Maßnahmen auf eine Ergänzung der Tätigkeiten der Mitgliedstaaten, „falls erforderlich". Neu seit den Vertragsänderungen von Amsterdam 1997 und ihrem Inkrafttreten im Mai 1999 ist die Wiederholung des Passus „Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen" in Absatz (4) des Artikels 151 (ex-Artikel 128). Der Grundsatzartikel 5 (ex-Artikel 3b) bindet die Vertragspartner ohnehin an Zuständigkeiten für Maßnahmen, die auf der „Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können", wobei im Zuge des neuen Vertragswerkes dieses Prinzip über die allgemeine Gültigkeit des Subsidiaritätsprinzips vermittels deutlicher Bestimmungen erheblich gestärkt wurde (Protokoll Nr. 30 – „Über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität"). Insgesamt wird folglich auch im Bereich der Kultur explizit dem Prinzip „Vielfalt und Subsidiarität" Rechnung getragen, dem eigentlichen Cantus Firmus des gesamten föderalen Systems der Europäischen Gemeinschaften.

Wunsch und Realität

Dass politischer Wille und verwaltungsmäßige Realität – hier insbesondere die finanzielle Ausstattung der bisherigen europäischen Instrumente und Programme im Bildungs- und Kulturbereich – oftmals stark differieren, ist offenkundig. Unbenommen ist aber auch, dass seitens der EU-Organe versucht wird, klar erkennbare Defizite in der Verwirklichung vertraglich vorgegebener Zielsetzungen auszuräumen und die Praxis zu verbessern. Hier erhellt die „Entschließung des Rates vom 20. Januar 1997 über die Einbeziehung der kulturellen Aspekte in die Tätigkeit der Gemeinschaft" Vorüberlegungen hinsichtlich der Durchführung der vorgegebenen und dann vertraglich vereinbarten Maximen.

Gemeinsame Standpunkte

Mit den Programmen „Jugend" und „Kultur 2000" sind nun weitere Instrumente geschaffen worden, die den gesteigerten Anforderungen an zielgerichtete, übersichtliche und übergreifende Bildungs- und Kulturförderinstanzen auf europäischer Ebene gerecht werden sollen. In den „Gemeinsamen Standpunkten" des Rates Nr. 22/1999 und 26/1999, die den Programmen zugrunde liegen, sind Begründungen und Zielsetzungen formuliert, die die bisherigen Mängel klar benennen und Perspektiven schaffen sollen. Im Prinzip werden diese Programme als dynamische Instrumente den Anforderungen auch gerecht. Mit der auf fünf Jahre begrenzten Laufzeit der beiden Programme und der sehr vorsichtigen Finanzierung von 350 Millionen Euro, beziehungsweise 167 Millionen Euro, auf den gesamten Zeitraum wird allerdings deren weiterhin marginale Rolle im Zusammenspiel der Kräfte überaus deutlich. Sehr leicht wird hier halbherziges Stückwerk suggeriert, doch sollte der Aufbau vielmehr als Chance begriffen werden, nun auch vermehrt die europäische – und nicht allein die bilaterale – Dimension in konkreten Jugend- und Kulturmaßnahmen zu erfassen.

Das Beispiel des Programms „Brundibár WorldWide" der Jeunesses Musicales International (JMI) soll verdeutlichen, wo im Sinne der europäischen Bestimmungen „Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend sind und Ziele daher besser durch Maßnahmen der Gemeinschaft erreicht werden können". Auch macht das Programm in seiner inneren Struktur die gedankliche Nähe zu einem „diversifizierten, den Europäern gemeinsamen Kulturraum", anschaulich.

„Brundibár" ist die 1938 von Hans Krása auf ein Libretto von Adolf Hoffmeister komponierte Kinderoper, die durch mehr als fünfzig Aufführungen im Nazi-Konzentrationslager Theresienstadt eine tragische Berühmtheit erhalten hat. Doch trotz der Tatsachen, dass von 15.000 in Theresienstadt gefangenen Kindern zwischen 1941 und 1945 gerade 200 der Vernichtung entgangen sind und dass bis auf wenige Ausnahmen alle der damals an den Opernaufführungen beteiligten Kinder und Erwachsenen ermordet wurden, verkörpert die Oper im Rückblick ein positives Signal. Durch ihre einfache Botschaft der Hoffnung und der Solidarität galt sie den Inhaftierten als Sinnbild, die Beteiligung daran als ein Akt des Widerstandes. Sie bedeutete nicht zuletzt eine Flucht in ein Paradies inmitten der Hölle.

Erinnerungsarbeit

Um diese Oper entwickelte seit 1995 die Jeunesses Musicales Deutschland e.V. (JMD) das unlängst mit dem Deutschen Kinderkulturpreis ausgezeichnete multidisziplinäre Kinder- und Jugendkulturprojekt Brundibár. Die Initiative wurde mit Mitteln des Bundes und privater Sponsoren erfolgreich in Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik umgesetzt und führte bislang zu mehr als 100 ihrerseits gesondert finanzierten Produktionen der Oper an Schulen, Musikschulen und Akademien. Jedes einzelne etwa sechsmonatige Projekt wird mit Hilfe von Arbeits- und Realisierungsvorschlägen, die die JMD in einer einzigartigen pädagogisch und künstlerisch-praktischen Materialsammlung in deutsch und polnisch bereitgestellt hat, eingebettet in Rahmenprogramme, mit denen die beteiligten Kinder und Jugendlichen an den Kontext der Oper herangeführt werden. Auf diese Weise wurden bis heute mehr als 125.000 Kinder erreicht und in eine selbstständige Auseinandersetzung mit dem Thema gebracht. Über das direkte Gespräch mit Zeitzeugen, als einer überaus wichtigen Komponente des Brundibár-Programmes, gelingt den jungen Projektteilnehmern eine vorbildliche Erinnerungsarbeit, welche die Gegenwart als lebendige Folge der Vergangenheit erkennt und welche so den Horizont für zukunftsgerichtetes Bewältigen aktueller Problemstellungen öffnet.

Die Oper Brundibár als Kunstwerk, wie auch der Kontext, der durch das Projekt thematisiert wird, sind nicht allein für ein tschechisches, polnisches oder deutsches Herangehen relevant. Schon die geographische Größe der „Lösung der europäischen Judenfrage", wie die Nazis diesen Genozid zynisch euphemisierten, macht die Dimension deutlich. Die Konsequenzen dieses einzigartigen Verbrechens haben ohne Frage globale Auswirkungen und betreffen jeden Menschen. Gar nicht erwähnenswert bleibt die Tatsache, dass dieses Verbrechen den gesamten Kulturraum Europas und der Welt entscheidend beeinflusst hat.

Die Jeunesses Musicales International (JMI), die weltweit größte Netzwerkorganisation im Bereich der musikalischen Jugendarbeit, deren Brüsseler Zentrale das Projekt von ihrer deutschen Sektion übernommen hat, reagiert auf die große Nachfrage aus vielen ihrer Mitgliedssektionen und erweitert das Programm nunmehr auf eine internationale Ebene. Anhand einer überaus wichtigen und erfolgreichen Produktion in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito, die von JM Ecuador in Zusammenarbeit mit der JMD bereits mm Mai 1999 realisiert wurde, bestätigt sich die Relevanz des Programms auf diesem Niveau. Als „Brundibár in Europe" kommt das Programm in diesem Jahr nach Belgien, Dänemark, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Norwegen und Schweden, sowie auf nicht-europäischer Ebene in die USA.

Grundlegendes Element des internationalen Programms ist das genannte Begleitmaterial, welches auf Initiative der JMD nun auch in einer überarbeiteten tschechischen Version vorliegt. Die „Brundibár-Mappe" wird derzeit von der JMI mit Mitteln aus dem europäischen Programm ARIANE in sechs Sprachen übersetzt und in Kooperation mit nationalen Forschungseinrichtungen auf die Ansprüche und die Perspektiven eines jeweiligen Landes angepasst. Die für dieses Jahr vorgesehene gemeinsame Edition als CD-ROM mit entsprechenden Länderzugängen und mit ihrem interaktiven Komplementärelement Website sorgt für eine Vernetzung des Programms auf europäischer und globaler Ebene. Mittels Foren für Brundibár-Produzenten sowie für jugendliche Teilnehmer und Interessierte wird eine unmittelbare Kommunikation auf allen Ebenen und über alle Grenzen hinweg angestrebt.

Eine internationale Operntournee mit einem jiddischen Brundibár wird im Herbst diesen Jahres den Startschuss für die großflächige Verbreitung des Programms signalisieren. Ein multinationales Kinderensemble unter namhafter Regie und musikalischer Leitung wird mit jeweils einer Aufführung in jedem Land die großflächige und breitgestreute Projektrealisierung an Schulen und Musikakademien einleiten. Einzelne parallel durchgeführte Pilotprojekte bezeugen dabei in jedem Land beispielhaft und anschaulich die Möglichkeiten lokaler Projektmaßnahmen und sorgen gleichzeitig für eine praxisorientierte Sammlung eines Erfahrungsschatzes, der über das Medium Internet unmittelbar der breiten Allgemeinheit zugänglich sein wird.

Auf diese Art und Weise werden innerhalb des Programmrahmens „Brundibár WorldWide" auf verschiedenen Ebenen konkrete kulturelle Projekte realisiert, die das Ziel haben, mit dem Ansatz eigenständiger und kreativer Betätigung zahllosen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu der schwierigen Thematik unter bewusster Einbeziehung aktueller relevanter Problemstellungen zu ermöglichen. Das Programm ist so offen und flexibel gestaltet, dass jede einzelne lokale Projektmaßnahme in ihrer konkreten Realisierung einzigartig bleibt innerhalb eines kohärenten internationalen Programms, bei dem die national differierenden Zugangsmöglichkeiten und didaktischen Methoden ihre Berücksichtigung finden.

Gemeinsamer Kulturraum

Als Gesamtresultat erwartet die JMI eine in dieser Form neuartige Möglichkeit der Erarbeitung eines extrem komplexen Zusammenhanges von europäischer und globaler Relevanz. Die Etablierung konkreter Projektmaßnahmen auf lokaler Basis, auf- und eingehend in national thematisch und methodisch differierende Rahmenbedingungen, sorgt für die Unmittelbarkeit des individuellen Zugangs jedes einzelnen jugendlichen Projektteilnehmers. Insofern kann man davon ausgehen, dass die konsolidierte Evaluierung des Programms signifikante Ergebnisse zeitigen wird, die – ganz konkret – den „diversifizierten und den Europäern gemeinsamen Kulturraum", eingebettet in seinen globalen Zusammenhang, auch aus in einer sehr schwierigen Perspektive beleuchten und die durch gesonderte nationale Initiativen in dieser Form nicht möglich sind.

Vielfalt und Subsidiarität

Die EU-Kommission hat dieses Potenzial erkannt und durch ihr Programm „Connect" der JMI umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt, um das Projektziel von „Brundibár in Europe" zu erreichen. Auch dem Europäischen Parlament wird auf Bemühen der JMI Ende Februar das Programm in einer Anhörung des Kulturausschusses vorgestellt. Darüber hinaus werden in den Ländern, die an dem JMI-Programm teilnehmen, bereits auch auf Regierungsebene finanzielle Initiativen ergriffen, um die Durchführung des europäischen Programms – als Teil des globalen Projektes – auf nationaler Ebene zu ermöglichen. Das JMI-Programm Brundibár kann und muss demnach vorbildlich für eine den Prinzipien Vielfalt und Subsidiarität folgende Initiative gewertet werden und steht insofern vollends in Einklang mit den politisch gewollten Zielen formulierter Europäischer Kulturpolitik.

Europäische Kulturpolitik fordert und erfordert Maßnahmen, die gemeinschaftliche Relevanz verkörpern. EU-Mittel sind kein zusätzlicher Topf für Projekte, die auf nationaler Ebene besser gelagert sind und dürfen dies auch nicht sein. Es ist aus deutscher Sicht zu erhoffen, dass öffentliche Mittel aus der Länder- und Bundeskasse nach wie vor uneingeschränkt dort fließen, wo sie erforderlich sind und dass nicht mit Blick auf Europa Zuständigkeiten und finanzielle Verantwortlichkeiten an eine andere Ebene abgeschoben werden. Nur das interdependente Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen kann die Kulturpolitik Europas dahin führen, wo sie eine sinnvolle Ergänzung der vorhandenen Kulturpolitik darstellt. Stetes Fordern nach der Übernahme europäischer Verantwortlichkeit, auch und gerade in finanzieller Hinsicht, ist aber auch weiterhin notwendig, und zwar in konkreten Maßnahmen und Projekten, die eben diese europäische Dimension erreichen: Damit neben der politisch gewollten „Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas" auch die Nachfrage das Angebot bestimmt.

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