Unter den Amateuren gibt es drei Typen. Die einen fühlen sich bewusst als solche. Als Liebhaber der Musik sitzen sie tagsüber in Büros, Studios, Praxen, konstruieren, verwalten, richten. Neben dem Beruf beherrscht sie eine zweite, davon abgetrennte Welt. Das ist die bewusste Wahl, die Berufung in den Amateur-Status. Mit der Selbstverpflichtung für die eigene Aktivität. Jeden Montag beispielsweise ist ihnen der Quartettabend heilig wie anderen der Club oder Stammtisch. Ein Amateur sucht mit seinem Hobby – in der Regel oder in erster Linie – nicht den wirtschaftlichen Profit, sondern den persönlichen Gewinn.
Die andere Kategorie sind zwangsläufige Amateure, die sich mit Ach und Tränen diesem Status gefügt haben. Sie wollten wohl musikalisch hoch hinaus, aber nach einem vielleicht begonnenen Musikstudium hat das Leben sie eingeholt, in andere Bahnen und Fährten gebracht und so führen sie den Haushalt, die Kanzlei, Vaters Betrieb weiter. Forschen, Lehren oder Dienstleisten. Samstagnachmittag gehen sie in den Kirchen- anstatt in den Opernchor, in die Blaskapelle statt Philharmonie. Bei jeder Gelegenheit betonen sie, bei dem oder jenem immerhin einige Semester Klavier oder Gesang studiert zu haben. A- ber es sollte, musste dann doch ein „vernünftigerer“ (sicherer?) Brotberuf sein, meinten die Eltern oder die eigene Einsicht, eingestehend, dass die Studienkonkurrenz über das überzeugendere Talentpotential verfügte. Deshalb schwingt zeitlebens und unmerklich ein bisschen Wehmut mit über das nicht erreichtes Musikerparadies.
Und die dritte Kategorie gibt es eigentlich nicht. Es sind die Noch-nicht-echten oder besser die All round-Amateure, die einmal, vielleicht zweimal in der Woche beim Musiklehrer in der Musikschule, vielleicht im Musikverein, im Schulorchester oder beim Privatlehrer ihr „Date“ haben und dafür mehr oder weniger lust- und freudvoll ihr Pensum üben. Alle andere Freizeit ist gemäß vielseitiger Interessenlage gut und gleichgewichtig verplant mit Sportverein, Theatergruppe, Tanz- oder Malkurs. Wenn sie aber zufällig beim Laienwettbewerb „Jugend musiziert“ dann doch einmal eine Preisurkunde nach Hause bringen, fängt die Phantasie bei Vater, Mutter und Sohn oder Tochter zu arbeiten an: vielleicht gar doch zur Musikhochschule, eine Karriere auf den Brettern der Welt riskieren, Glück, Erfolg und Gagen sich erobern? Brotverdienen mit Musik oder doch besser nicht? Vielmehr den Spaß und die erreichte musikalische Technik weiterpflegen, weiterentwickeln. Neben einem kunstfremden Studium, einem anderen Brotberuf lieber ein kreatives ein aktives Pendant haben: Musizieren als Liebhaberei bewahren, als Ausgleich, als schönste Nebenbeschäftigung für mehr Lebensqualität. Mitspielen in der Wilden Gungl, in der Blaskapelle, im Sängerkreis. Dazu Konzerte erleben, wann und wo man will und kann, und nicht wann und wo man muss? So wird man Musik-Amateur.
Die Typisierung der Amateure mag man fortsetzen. Der Deutsche Musikrat, Umbrello deutscher Musikorganisation, gibt vor, für rund jene acht Millionen Menschen zu sprechen, die sich für Musik aktiv engagieren. Immerhin zehn Prozent der Bevölkerung. Sieben Millionen davon gehören, statistisch glaubhaft nachgewiesen, der organisierten Amateurszene an. Den Großteil davon machen die mehr oder weniger regelmäßig aktiven Sänger und Instrumentalisten aus, die sich in zigtausend Vereinen oder anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und Spartierungen mit ihrem Musik-Hobby zu Hause und in guter Gesellschaft fühlen. Ein Drittel der sieben Millionen ist jener soeben geschilderte Typ Drei, der nach Früherziehung, Schule, Musikschule, Privatunterricht und Volkshochschule sich bewusst für lebenslange Musikliebhaberei entscheidet, ganz gleich ob Pop, Folklore, Jazz-Combo, Kirchenchor, Sängerkreis oder Liebhaberorchester.
Darüber hinaus bleibt da noch jene Dunkelziffer zigtausender nichtorganisierter Amateurmusiker. Zum Beispiel die vielfältigen, ganz privat gestrickten Zyklen und Zirkel, die ihre musikalischen Rendevous in Heimeran-Manier betreiben, die mit Originalnachbauten sachkundig Alte Musik zum Steckenpferd erkoren haben, oder die mit Hackbrett, Zither, Mandoline ihren Spaß beim musikalischen Weekendstammtisch haben. Und alle können, was sie spielen, und spielen was sie können, mitunter ziemlich profi-like. Der Amateurmusiker ist mitunter alles andere als ein musikalischer „Nichtfachmann“. Denn als solchen erklärt ihn der Duden. Im Gegenteil: er gerät aus lauter Begeisterung am Fachidi-otismus leicht an den Rand des Sek- tierens. Der Weg zum Semi-Profi, der dem echten Profi das Wasser reicht, ist oft nicht mehr weit. Mag auch sein, dass der passionierte Hobby-Musiker sein musikalisches Tun und Fachwissen mit weit mehr Spaß und Intension betreibt als manch Geiger nach 30 Orchesterjahren am fünften Pult links innen.
Wie „Profi-like“ Amateure die Kunst beherrschen und wie sich beweisen, belegen inzwischen die unter ihresgleichen ausgetragenen Wettbewerbe. So der jährlich in Paris ausgetragene weltweite „Grands Amateurs de Piano“, dem die nmz wiederholt Aufmerksamkeit schenkte. Da wirbt ein Concours de piano amateur de l’Ecole Polytechnique im französischen Palaiseauder oder für die „Musikbesessenen“ in Paris ein Concours Européen pour les Mélomanes ab 25 Jahren aufwärts. Nachahmer und große Nachfrage auch in Amerika, zum Beispiel im neuen Amateur Piano Competition Van Cliburn in Fort Worth/Texas. Kein Wunder: die traditionelle Amateur Chamber Music Players gehört zu den mitgliederstärksten Musikvereinigungen in der Neuen Welt. Ähnlich die CAMAC, die Amateurmusikervereinigung Kanadas, o-der die Amateur Music Association im Vereinigten Königreich. Japan kündigt gerade einen weltweiten Folklore-Wettbewerb für Jung und Alt an. Und gut frequentiert sind die zahlreichen competitive Festivals der Volks-, Laien- und Chormusik ohne Alterslimit in aller Welt, die für Reiselust und Ansporn zur Niveau- und Repertoirepflege sorgen. Inzwischen laden hier-zulande gemeinsam der Klassik-Verlag Peters, die Bach-Stadt Leipzig und mdr-Kultur schon wiederholt zum Amateur-Wettbewerb alle Altersstufen in verschiedenen Fächern ein.
Sieben Millionen und mehr Menschen in Deutschland, die man der musikalischen Amateurszene zurechnet, eingeschlossen all jene, die im Ehrenamt der Sache dienen, das darf – zitiert nach dem Musik-Almanach – , „nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Kunst- und Traditionspflege gesehen werden. Die gemeinschafts- und gesellschaftsbildende wie auch jugendpflegerische Aufgabe der Laienmusik und ihrer organisatorischen Zusammenschlüsse haben hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert“. Vereinigungen der Musikamateure verstehen sich nicht nur als Ort regionaler Kunst-, Musik- und Heimatpflege, „sondern auch als Institution sozialer und kommunikativer Repräsentanz“. Vor allem sind die Mitglieder der zahlreichen Amateurverbände auch greifbare Wählerstimmen, also politisch relevant. So stellen sich Politiker bei Fest und Feier gerne mit auf den hohen Wagen und singen oder blasen mit oder reden zumindest wohlgetönt der Volks- und Laienmusik recht güldne Worte.
In hohem Maße ist alles rings um die Laienmusik auch wirtschaftlich bedeutsam. Allein für die eigene und der Kinder Musikausbildung wenden Familien alljährlich Millionen auf. So stellt die Amateur-Riege für die Musikbranche ein kommerziell bedeutsames, nutzbares Käuferpotential dar. Denn der Hobbymusiker muss schließlich seinen „hortus musicus“ bestellen. Dafür wird schwer verdientes Geld gern und leicht ausgegeben. Für Instrument, Noten, allerhand Zubehör, und ebenso für die Geselligkeit da-nach. So wirken Amateur-Aktivitäten überall hin. Gastronomie, Tourismus, Garderobe, und was immer als steuerrelevante Umwegrentabilität evident erscheint. Was wiederum deutlich macht, wie sich ein der Laienmusik zukommender Förderimpuls öffentlicher oder privater Hand letztlich rechnet. Auf das Geschäft, Amateure zu professionalisieren, verstehen sich die Medien auf ihre Weise. Spektakuläre Amateure zum Superstar der Popszene zu hieven und daraus ihr Kapital zu schlagen.
Wenn Bundespräsident Rau – jüngst bei der 100-Jahrfeier der musikalischen Verwertungsgesellschaft GEMA – vor weiteren Einsparungen bei der Musikerziehung in Deutschland warnt und Kinder und Jugendliche ermuntert, „wieder mehr zu singen oder ein Instrument zu spielen und damit vielleicht auch zu mehr Menschenfreundlichkeit in diesem Land beizutragen“, dann denkt er sicher nicht an weitere arbeitslose Musiker, sondern an das, was Musik und Musizieren an Lebensqualität bringt. Und weil er den Wert der Laienmusikpflege gesellschaftspolitisch hoch einschätzt, hält der Bundespräsident dafür zwei spezielle Auszeichnungen bereit, die „Zelter-Plakette“ und die „Pro Musica-Plakette“. Sie werden jährlich an besonders traditionsreiche Chöre und Orchester, „für künstlerische und volksbildende Verdienste“ verliehen. Und deshalb ist er auch Schirmherr der Laienwettbewerbe „Jugend musiziert“, die seit 40 Jahren der Breite des Amateurmusizierens in all seinen Facetten einen ebenso bedeutsamen Zuwachs an Qualität gebracht haben wie in der künstlerischen Spitze für den musikalischen Berufsnachwuchs. In der Quantität hat die Amateurszene hiervon zweifellos den noch größeren und nachhaltigeren Gewinn. Deshalb muss es „Jugend musiziert“ weiterhin geben, vielleicht mit noch mehr darauf abgestimmten Zielvorstellungen. „Jugend musiziert“ – das ist zu 90 bis 95 Prozent eine Demonstration für die über sieben Millionen jungen und sich musikalisch jung fühlenden Amateur-Musiker in unserem Land.