Ungewöhnlich vollbesetzt zeigten sich die Publikumsreihen im Sitzungssaal der Versicherungskammer zum diesjährigen Faschingsbeginn beim ersten Konzert der Saison der Reihe „Studio für Neue Musik“. Der Münchner Tonkünstlerverband hatte das vor allem dem Mann des Abends, Stephan Stiens, zu verdanken, der das Konzertprogramm mit Werkaufträgen und eigenen Kompositionen gestaltete
Unter dem Motto „My Generation“ verband Stiens verschiedenste Stile und Ausdrucksformen aktueller Kompositionen für Gitarre(n) zu einem stimmigen und abendfüllenden Geflecht von Werken, die es in sich hatten.
Träumerische, entschwindende Töne stimmte Stiens mit Robert F. Schneiders paraphrasenartigen Hommage à Edvard Grieg für Laute an: „Vanished Days“ (2003). Um keine Zweifel an der Modernität des Werks aufkommen zu lassen, spielte Stiens mit einer Adlerfeder die Saiten des mittelalterlichen Instruments. Der Abend im Hochgebirge war dem Publikum gesichert. Um welches Gebirge es sich dabei genau handelte, wollte der universelle Klang der Laute aber nicht preisgeben.
Stattdessen führte uns Stiens mit dem nächsten Werk auf den schwarzen Kontinent. Das Nachtstück „Op my ou Ramkietjie“ (2003) des gebürtigen Südafrikaners stellte zweierlei Traditionen gegenüber. Das Ramkietjie, ein südafrikanisches Saiteninstrument, hat nur noch eine Saite und so begann das Stück im besten Sinne einsaitig. Nach und nach konkurrierte dies immer mehr mit der Musik der Hutu. Bis zum Schluss wurde dieses Spannungsverhältnis nicht gelöst und die Konkurrenz von Musik, Volkslied und Hutumusik blieb. Stiens bewies auch in diesem „Southern Nocturnal“ Feingefühl und Überzeugungskraft an seiner Gitarre.
Trotz der ungemein abgegriffenen Methode, das Publikum in einer Bogenform an den hitzigen Kern eines Stücks in ruhigen Tönen herantasten zu lassen und sie davon bedingt folgerichtig sanft entgleiten zu lassen, konnte Stiens auch mit der Uraufführung von Nikolaus Brass‘ „Lines“ überzeugen.
Den atemraubenden Schluss bildete das älteste Stück des Abends. „Vermilion Sands“ hat Moritz Eggert 1999 für einen Gitarristen und zwei Gitarren komponiert. Hinzukamen – na klar – jede Menge Skordaturen und Präparierungen. Eggert verlangt hier vom Interpreten wesentlich mehr als vom Publikum, denn das Werk überzeugt musikalisch recht schnell. Doch die Augen erleben hier eine andere Geschichte. Stiens, der das Werk in Auftrag gegeben und uraufgeführt hat, kam an die Grenzen des Darstellbaren. Und er meisterte Eggerts Aufgabe souverän: eine Gitarre in üblicher Position, die andere zeigte mit dem Griffbrett in die entgegengesetzte Richtung und ruhte quer vor Stiens auf zwei Stühlen, ein Glas-Bottleneck, ein Plektron und ein Holzhämmerchen lagen parat. Was folgte waren nicht nur fortgeschrittene Spieltechniken, sondern in ihrer Kombination und Fülle wohl eines der schwierigsten und zugleich besten Werke der Gitarrenliteratur des 20. Jahrhunderts.