Sie hat es schon nicht leicht, die GEMA. Vielen Musikfans ist nicht einmal ganz klar, was genau eigentlich eine Verwertungsgesellschaft ist. Manch einer hält sie für so etwas wie die deutsche Filiale der Recording Industry Association of America (RIAA), dem klagewütigen Lobbyverband der US-Musikwirtschaft, und ignoriert damit gleich jeden Unterschied zwischen den einzelnen Rechteinhabern. Aber kann man es ihnen ganz verübeln, wenn sich die GEMA als Erfüllungsgehilfe der Plattenfirmen gebärt, obwohl sie doch eigentlich die andere Seite des Tisches repräsentieren sollte? Lässt es sich noch irgend jemandem schlüssig erklären, warum Becker auf der Popkomm. höhere Abgaben auf Leermedien forderte, wo doch das Recht auf Privatkopie mit dem neuen Urheberrecht praktisch ausgehebelt wurde?
Vielleicht ist es für GEMA-Mitglieder und Vorstände an der Zeit, einmal in sich zu gehen. Über den Kurs nachzudenken, den man als Verwertungsgesellschaft im Informationszeitalter einschlagen will. Die Debatte darüber, wie wir in Zukunft Musik konsumieren sollen, wird derzeit von zwei Kräften dominiert: den Plattenfirmen und den Herstellern von Computern und anderen Elektronik-Geräten. Beide sehnen sich eine Zukunft herbei, in der Musikkonsum und dessen Abrechnung durch digitales Rechtemanagement reglementiert werden. Gezahlt werden soll dann per Song oder per „Play“, also Abruf.
Über die neuen Medien soll die GEMA dann gleich auch in den alten zum Zaungast reduziert werden. So ließ der Phonoverbands-Vorsitzende Gerd Gebhardt sein Publikum auf der Popkomm. wissen, welche Rolle er für Verwertungsgesellschaften in der Zukunft sieht: „Das Sendeprivileg gestattet Rundfunkanstalten die Sendung von Musik, ohne dass vorher die Rechte einzeln eingeholt werden müssen, gegen anschließende Vergütung. Ein Film dagegen darf im Fernsehen nur ausgestrahlt werden, wenn die Sender vorher alle Rechte eingeholt (und auch bezahlt) haben. Warum sollte das nicht auch im Radio gehen?“
Als Quasi-Monopolist auf einem der größten Musikmärkte ist die GEMA eine der mächtigsten Verwertungsgesellschaften der Welt. Sie könnte diese Macht durchaus nutzen, um solchen Zukunftsplänen entgegenzutreten – im Interesse ihrer Mitglieder wie auch der Musikkonsumenten. Ein Beispiel: Als der Online-Musikanbieter MP3.com im Januar 2000 ein Streaming-Angebot ohne die dafür nötigen Lizenzen startete, musste er nicht lange auf die Klagen der Verwertungsgesellschaften warten. Als Universal Deutschland im Sommer 2002 seine Online-Plattform Popfile.de eröffnete, waren die Verträge mit der GEMA noch längst nicht unter Dach und Fach. Popfile startete trotzdem – und die GEMA schaute hilflos zu.
Warum nutzte sie diesen Moment nicht zur Stärkung ihrer eigenen Agenda? Warum tritt sie nicht als Verfechterin der Privatkopie und Gegnerin kopiergeschützter Audio-CDs auf, um Pauschalabgaben wieder einen Sinn zu geben? Warum vertraut sie weiter auf eine Musikwirtschaft, die nichts anderes kann als Produkte zu vermarkten – und das, obwohl Millionen von Tauschbörsen-Nutzer jeden Tag zeigen, dass ihnen die CD als Produkt herzlich egal ist?
Was der GEMA fehlt, ist Mut zum Dissenz. Mut zu radikalen Ideen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn sich der gesamte Internet-Tauschbetrieb legalisieren ließe? Wenn Internet-Provider, Tauschbörsen-Anbieter und Universitäten in einen großen Pauschalabgaben-Topf einzahlen würden und ihre Nutzer dafür machen dürften, was sie wollten?
Das wäre Musik für alle, von der die Rechteinhaber profitieren könnten – dank genauerer Messverfahren in der digitalen Welt möglicherweise sogar mehr als heutzutage. In den USA gewinnt diese Idee unter dem Namen „Compulsory Licensing“ mehr und mehr Anhänger. Dort gibt es kaum Pauschalabgaben, aber Millionen von Tauschbörsennutzern, die liebend gerne zu einer Renaissance der Verwertungsgesellschaften beitragen würden. Hier zu Lande dagegen gibt es die GEMA, die zwar fleißig Abgaben auf Datenträger durchsetzt, aber Nutzer verfolgt wissen will, die darauf Musik abspeichern. Dabei könnte sie auch anders.
nmz-Autor Janko Röttgers veröffentlichte zur Popkomm. das Buch „Mix, Burn & R.I.P. – Das Ende der Musikindustrie“ (heise Verlag, 16 Euro). Zudem unterhält er die Website http://www.mixburnrip.de