Nach 20 Jahren als Generalsekretär des Deutschen Musikrats hat sich Christian Höppner zum 29. Februar 2024 aus dem Amt verabschiedet. Die Liste seiner Tätigkeiten und Verdienste ist lang: 20 Jahre Musikschulleiter in Berlin, Präsident des Deutschen Kulturrates und des Deutschen Tonkünstlerverbandes, Rundfunkratsmitglied und Haushaltsberichterstatter der Deutschen Welle; seit 1986 unterrichtet er an der Universität der Künste Cello und ist als Dirigent unterwegs. Freut sich Höppner jetzt auf einen schrittweisen Rückzug aus der Kulturpolitik? Die nmz hat ihn zu einer Retrospektive auf seine Karriere eingeladen.
Das Ende einer Ära
neue musikzeitung: Eine beliebte Phrase für Ihren Zustand ist „wohlverdienter Ruhestand“. Wie fühlen Sie sich mit dieser Zuschreibung?
Christian Höppner: Ruhestand ist übertrieben, ich bleibe nach 50 Jahren ehrenamtlichen Engagements ein kulturpolitischer Mensch. Ich werde mich unter anderem weiter im Kulturrat, in der Deutschen UNESCO-Kommission und im Tonkünstlerverband engagieren, aber ich freue mich auf einen erheblichen Freiheitsgewinn.
nmz: Vielleicht ein kurzes biographisches Vorspiel: Haben Sie musikalische Früherziehung genossen?
Höppner: Nein, aber das häusliche Erleben der wöchentlichen Streichquartettproben hat mich mit acht Jahren zum Cello geführt. Dank eines reichen kirchenmusikalischen Lebens in meiner evangelischen Heimatgemeinde konnte ich seitdem in unterschiedlichen Ensembles mitspielen und hatte bis zu meinem 27. Lebensjahr das Glück, nahezu sämtliche Kantaten und Passionen J.S. Bachs als Basso Continuo-Spieler erleben zu dürfen. Bach hat für mich viele Tore, auch zu anderen Musikrichtungen geöffnet. Genauso habe ich Kirche damals als zentralen Ort gesellschaftlichen Lebens kennengelernt.
nmz: Sie sind zu einer Zeit in den deutschen Musikrat gekommen, als dieser regelrecht am Boden lag, was durchaus ein mutiger Schritt war. Was hat Sie denn dazu bewogen?
Höppner: Das waren zwei Erlebnisse: Zum einen noch der alte Musikrat unter dem geschätzten Franz Müller-Heuser, in dem ich als Präsidiums-Youngster vieles nicht verstand, mir aber dachte, dass etwas nicht stimmt. Dann habe ich alle Umbrüche dieser Zeit erlebt, in der grundsätzliche Fragen zum Selbstverständnis und der Arbeit des Musikrats neu gestellt und ausgehandelt wurden, was ein wahnsinnig spannender Prozess war. Nach einem halben Jahr als Vizepräsident hat mich Präsident Martin-Maria Krüger gefragt, ob ich den Posten des Generalssekretärs übernehmen möchte.
nmz: Damals kamen Sie in eine schwierige Situation, weil die Politik beschlossen hatte, den Musikrat in einen politischen Lobbyverein auf der einen und eine gemeinnützige Projekt-GmbH auf der anderen Seite zu teilen. Damit hatte man dem Musikrat bereits die Präsentationsform genommen.
Höppner: Die Aufteilung war der Preis für die weitere Unterstützung des Bundes. Präsidiumskollege Eckart Lange und ich erzielten diesen Durchbruch in einem Gespräch mit Abgeordneten der damaligen Regierungsfraktionen. Dass der Musikrat neu verfasst weiterarbeiten konnte, haben wir in großen Teilen auch der neuen musikzeitung zu verdanken, die mit ihren Berichten und einer Sonderpublikation der Politik gezeigt hat, dass sehr viele Menschen hinter dem Deutschen Musikrat und seiner Arbeit stehen. Um künftig näher am politischen Geschehen zu sein, hatte das Präsidium unser Generalsekretariat in Berlin eröffnet, eine überaus reizvolle inhaltliche wie operative und Aufgabe. Die Satzung des Deutschen Musikrates sieht seitdem drei Organe vor: die Mitgliederversammlung, das Präsidium und den Generalsekretär. Dass diese, meine Position heute als eines der mitgestaltenden politischen Kraftfelder des Musikrates anerkannt und nicht als alleinige Exekutive der Präsidiumsbeschlüsse gesehen wird, musste ich mir in den ersten Amtsjahren als Generalsekretär durchaus auch erkämpfen.
nmz: Ein weiterer Streitpunkt waren immer die zwei Pole der musikwirtschaftlichen und der musikpädagogischen Interessen. Wie vereinigt man diese Divergenzen?
Höppner: Lange Zeit gar nicht, obwohl die Schnittmenge gemeinsamer Interessen groß ist und die Vernetzung über die Gremien des DMR immer gegeben war. Das Zusammenführen unterschiedlicher Galaxien im weltweit größten nationalen Dachverband des Musiklebens gehört zu den Kernaufgaben der musik- und gesellschaftspolitischen Arbeit des Deutschen Musikrates. Ich bin froh, dass es in den letzten Jahren gelungen ist, eine gewisse Sprachlosigkeit durch vertiefte Kommunikation und gemeinsames musikpolitisches Handeln, etwa über das Forum Musikwirtschaft, aufzulösen. Schlussendlich befinden sich alle Mitglieder in musikwirtschaftlichen Kontexten.
nmz: Natürlich lebt die Musikwirtschaft auch davon, dass eine gewisse Qualität musikalischer Bildung vorhanden ist, oder?
Höppner: Gut, dass Sie das ansprechen. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D. und Ehrenmitglied des DMR, hat vom „lausigen Zustand der kulturellen Bildung“ gesprochen. So etwas sagt er nicht vorschnell. Die Studie zur Situation des Musikunterrichts in der Grundschule, die der Deutsche Musikrat gemeinsam mit den Landesmusikräten und der Bertelsmann-Stiftung herausgegeben hat, ergibt zum ersten Mal wissenschaftlich belegt, dass bis zu 70 Prozent des Musikunterrichts in der Grundschule ausfällt bzw. fachfremd unterrichtet wird. Ein desaströser Zustand, der sich leider auch auf das nahezu nicht mehr vorhandene Musizieren in den Kitas erweitern lässt. Verantwortlich für diese desaströse Entwicklung ist die Kultusministerkonferenz, die zum Beispiel die Personalbedarfsberechnungen in den Schulen jahrzehntelang verschlafen hat. Leider gleicht das Umsetzungstempo der KMK einer Griechischen Landschildkröte der Gattung Gopherus. Kurzfristig müssen endlich die Weichen für eine bedarfsgerechte Finanzausstattung der Musikhochschulen für die Musiklehrerstudiengänge, die Instandsetzung der Schulen in menschenwürdige Lernräume und deren sachgerechte Ausstattung sowie das Vorhalten einer bedarfsgerechten Personalstruktur seitens der Länder gestellt werden. Musikalische und damit auch kulturelle Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der der Bund mit dem Ziel einer nachhaltig angelegten Anschubfinanzierung den Ausbau einer bedarfsgerechten Infrastruktur vor Ort befördern kann. Der Deutsche Musikrat macht mit seiner frisch gestarteten Kampagne #WasBrauchenUsereKinder einmal mehr deutlich, dass die Musik und mit ihr die künstlerischen Schulfächer zusammen mit der Ensemblearbeit im Zentrum schulischen Erlebens stehen müssen
nmz: Nun steht die Drohung aufgrund der angeblich schlechten Wirtschaftslage, in der wir uns gerade befinden sollen, im Raum, dass großflächig gespart werden soll. Spürt man davon schon etwas?
Höppner: Ja – auf allen föderalen Ebenen. Dabei ist die finanzielle Ressourcenzumessung der Parlamente in der drittstärksten Industrienation der Welt immer noch eine Frage der Prioritäten.
nmz: Wir erleben momentan den merkwürdigen Trend, dass sich immer mehr Menschen für den Bundeswettbewerb Jugend musiziert qualifizieren. Jeder Landesverband möchte natürlich so viele seiner Schützlinge in den Bundeswettbewerb bringen wie möglich. Davon ausgehend zunächst die Frage, wie sinnvoll Sie den Föderalismus in diesem Kontext finden.
Höppner: Der Föderalismus gehört ganz einfach zu den ersten 20 Grundgesetzartikeln, an denen nicht zu rütteln ist. Die frohe Botschaft, dass sich immer mehr Kinder und Jugendliche aufgrund eines gestiegenen Leistungsniveaus für den Bundeswettbewerb Jugend musiziert qualifizieren, führt aktuell zu neuen Herausforderungen in der Finanzierung und Umsetzung. Bei den Weiterleitungen der Länder zum Bundeswettbewerb spielen inzwischen pädagogische Aspekte keine Rolle mehr. Die für die Finanzierung der Fördermaßnahme Jugend musiziert auf Bundesebene zuständige Bundesministerin Lisa Paus habe ich 2023 über diese Entwicklung informiert. Selbstverständlich kann der DMR nur das Geld ausgeben, das ihm zur Verfügung steht. Es käme aber einer gesellschaftspolitischen Bankrotterklärung der Bundesregierung gleich, wenn dieser erfreulichen Entwicklung nicht durch eine bedarfsgrechte Finanzierung seitens des Bundes, sondern durch eine Kontingentierung begegnet werden müsste.
nmz: Kürzlich hat unser aller Freundin, die MdB Birgit Connemann (CDU) in der Tagesschau behauptet, die Kultur täte viel zu wenig, um die Feindschaft breiter Teile der Bevölkerung Israel gegenüber zu bekämpfen. Sie ist auch nicht die einzige Politikerin, die die Künste hier verantwortlich macht.
Höppner: Die Kunstfreiheit hat obers-ten Verfassungsrang. Dennoch bin auch ich über das brüllende Schweigen nach dem 7. Oktober eines erklecklichen Teils der Kulturszene überrascht und bestürzt. Kulturrat wie Musikrat haben sich seit vielen Jahren zu dem Problem des steigenden Antisemitismus wie zu dem barbarischen Überfall der Hamas auf Israel klar positioniert. Mich schockiert, dass die Auseinandersetzungen an unseren Universitäten und Hochschule zunehmend von verbaler und tätlicher Gewalt geprägt sind.
nmz: Angesichts der Konflikte in unserer Welt werden 100 Milliarden für die Bundeswehr ex nihilo kreiert, aber in der Bildung, nicht nur in der kulturellen, wird immer wieder und auf lange Sicht gekürzt.
Höppner: Wenn unsere auseinanderdriftende Gesellschaft implodiert, nutzt auch eine starke Außenverteidigung nichts mehr. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen – national wie international – sind zuvorderst kulturell grundiert. Kultur und Bildung liefern das Fundament für unser Zusammenleben. Diese Binse wird von politischen Entscheidungsträgern gerne sonntags verkündet und im politischen Montagshandeln konterkariert. Es gibt also wahrlich kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.
nmz: Wie sehen Sie als Kulturpolitiker die Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz, die ja sagenhaften Reichtum ohne Arbeit versprechen?
Höppner: Die Tagung „Musik und KI“ des DMR im vergangenen Oktober hat ganz gut die Chancen und Risiken für kreatives wie für künstlerische Prozesse verdeutlicht.
nmz: Wenn Sie eine Fantasy Geschichte mit Ihnen in der Hauptrolle schreiben würden, worum ginge es?
Höppner: (lacht) Dann wäre ich ein unsichtbarer König, der des Nachts seinen Traumsand über aller Köpfe ausstreut, und am nächsten Tag will niemand mehr in seiner „Tiktok-Blase“ verharren, sondern alle wollen nur noch ganz analog miteinander singen, musizieren, Zusammenhänge erkennen, das Leben gestalten und genießen, das Schöne in dieser einen Welt befördern und und und...
Das könnte dann politische Entscheidungen beeinflussen. Nicht umgekehrt! Mit dem derzeitigen Rekord von 111 Dachverbänden ist der Deutsche Musikrat so gut aufgestellt wie noch nie, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
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