Als langjähriger Intendant der Berliner Festspiele GmbH war Ulrich Eckhardt ein Kulturmanager, der Maßstäbe gesetzt hat. Anlässlich seines bevorstehenden 90. Geburtstages am 28. Mai hat Albrecht Dümling mit ihm gesprochen.
Das zivilisatorische Erbe als Gegenkraft
neue musikzeitung: Herr Eckhardt, nach dem Ende Ihrer Intendantentätigkeit im Jahre 2001 haben Sie das Orgelspiel für sich entdeckt. Gerade gestern haben Sie wieder ein Konzert gegeben. Was bedeutet das Orgelspiel für Sie?
Ulrich Eckhardt: Damals wollte ich mich neu erfinden und fragte mich: Was kann ich denn alleine tun? Der Erfolg meiner fast 30 Jahre als Kulturmanager basierte auf Teamwork und der Herstellung von Kooperationen. Nun war ich allein. Da ich außerdem eine Tätigkeit suchte, die mich wieder mit dem Publikum verbindet, war die Entscheidung klar. Denn bevor ich Manager wurde, habe ich parallel zu meiner Jura-Ausbildung auch Musik studiert, zum Beispiel bei dem Pianisten Carl Seemann. Jetzt stand ich vor der Frage: Soll ich das Klavierspiel revitalisieren? Das war aussichtslos. Denn nach 30 Jahren ohne Üben kann man nicht wieder dort anfangen. Da fiel dann die Entscheidung für die Orgel. So ging ich zur benachbarten Kirche und fragte nach dem Schlüssel. Dieser wurde der Schlüssel zum Himmelreich, das heißt ich konnte mit diesem Schlüssel, wann immer ich wollte, Orgel spielen. Ich wollte oben anfangen und habe deshalb mit den Trio-Sonaten von Bach begonnen. Es muss furchtbar geklungen haben, aber es hat mich peu a peu fit gemacht. Das habe ich ein paar Jahre durchgehalten und im Eigenstudium das Orgelspiel so weit erlernt, dass ich jetzt regelmäßig Konzerte geben kann.
nmz: Sie spielen keine Potpourris, sondern gebaute Programme. Wie kommen Sie zu den Programmideen?
Eckhardt: Bach ist natürlich das A und O. Es ist aber mein Bestreben, immer etwas Neues zu haben, etwas Unbekanntes. Messiaen darf nicht fehlen, Jehan Alain, auch die Gubaidulina. Gerd Zacher verdanke ich einige Anregungen. Von Dieter Schnebel bekam ich ein Stück geschenkt, das spiele ich jetzt häufiger. Ein sehr interessantes Werk, das sich erstmal verschließt. Jemand schrieb mir, es sei ein Stück für die heutige Zeit, das diese ganzen Höhen und Tiefen darstellt, die Erschütterungen.
Musik als autonomes Erbe
nmz: Wir erleben jetzt die Kriege in der Ukraine und in Israel, bei uns ansteigenden Rechtsradikalismus. Kann die Musik darauf antworten? Oder sollte sie eher auf ihrer Autonomie, ihrer Eigengesetzlichkeit beharren?
Eckhardt: Ich neige zur zweiten Position, aber nicht im Sinne einer Autonomie. Die Kunst ist für mich eine eigenständige Sache, die sich aber nicht verschließen kann dem, was sie umgibt. Unsere ganze zivilisatorische Kraft spiegelt sich doch in der Musikgeschichte. Wir sind Verwalter eines großen Erbes, das müssen wir erhalten als Gegenkraft. Wir können nicht einfach sagen, wir wenden uns jetzt den Schrecknissen zu. Es kommt so oder so in der Kunst an. Wie es ankommt, wissen wir noch nicht. Wir sind ja jetzt in einer neuen Zeit, wo vieles nicht mehr gilt, was wir über Jahrhunderte versucht haben aufzubauen. Die ganze aufklärerische Arbeit wird im Moment in den Staub getreten von Diktatoren und Tyrannen. Das Menschenleben gilt nichts mehr. Da werden die jungen Männer auf dem Schlachtfeld atavistisch zum Opfer gebracht. Wir müssen aber erst einmal verteidigen, was wir ererbt haben.
„Die Vernetzung war mein erklärtes Ziel.“
nmz: Sie haben mit den Berliner Festwochen mehrfach russische Kultur nach Berlin geholt, zum Beispiel in der Ausstellung „Sieg über die Sonne“. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine haben manche Konzertveranstalter Werke russischer Komponisten abgesetzt. Was halten Sie davon?
Eckhardt: Gar nichts. Ganz im Gegenteil. Russland hat sich zwar einem Tyrannen unterworfen. Aber es gibt immer noch Gegenbewegungen und die Anknüpfung auch russischer Kultur an die Weltkultur. Man sollte es sogar verstärken, das kulturell Gemeinsame zwischen uns und den Russen. Dieser Krieg war natürlich für Leute wie mich, die den Ost-West-Dialog zum Programm gemacht haben, eine wahnsinnige Erschütterung. Da fallen ganze Gebäude in Trümmern, die man aufgebaut hat. Wenn jetzt aber russische Musik gespielt wird, soll das immer noch erinnern an unsere gemeinsame Geschichte, die wir ja auch haben. Insofern ist es vollkommen falsch, dies auszuschalten. Ich kann verstehen, wenn in der Ukraine alles Russische jetzt abgelehnt wird; sie sind ja die unmittelbaren Opfer einer Aggression. Aber das kann für uns hier nicht gelten.
nmz: Seit 1973 haben Sie für ein Vierteljahrhundert die Berliner Festspiele GmbH geleitet. Bei der Bewerbung haben Sie die bildungs-, sozialpolitischen und urbanistischen Komponenten von Kulturarbeit hervorgehoben. Was waren dabei Ihre Modelle, Ihre Vorbilder?
Eckhardt: Ich habe nicht in Berlin, sondern in Bonn begonnen. Das war sozusagen meine Lehrzeit, die Gesellenzeit. In Berlin musste ich mit großen Häusern kooperieren und mit einer großen Stadt. In Bonn aber gab es ein ideales freies Feld. Deswegen konnte ich die neue Musik da implantieren in einer Weise, wie sie einfach unfasslich war. Die neue Musik ging auf die Straße! In Bezug auf die theoretische Seite gab es diese Gruppe der kulturellen Jungtürken, angeführt von Hilmar Hoffmann. Die trafen sich einmal im Jahr in Loccum unter Leitung von Olaf Schwencke. Dieses theoretische Fundament ist für mich bis heute sehr wichtig. Da finde ich, dass die jetzigen Festspiele schon seit Jahren ihren Auftrag versäumen, was die urbanistische Komponente betrifft. Das Urbanistische war für uns damals programmatisch. Ich bin mit dem Bread and Puppet-Theater ins Märkische Viertel gegangen und mit einem Theater im Zelt zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie – das war Jean-Louis Barrault.
nmz: In Ihrer Berliner Kultur-Arbeit haben Sie mit Erfolg systematisch verschiedene Kulturinstitutionen, Ausstellungs-, Konzerthäuser und Theater, miteinander verknüpft. Funktioniert diese Vernetzung heute noch in gleichem Maße?
Eckhardt: Nein, das ist leider verloren gegangen. Ich habe den Eindruck, dass die Häuser jetzt alle so wie früher auch vor sich hin arbeiten. Die Vernetzung war mein erklärtes Ziel. Deswegen bin ich überall herumgerannt, habe die großen Institute besucht und sie eingeladen zur Zusammenarbeit. Es gab verschiedene Hebel, die ich da benutzt habe. Zum Beispiel war 1977 Berlin Kulturstadt Europas, das heißt ich konnte mit dieser Fahne in viele Häuser eindringen und sagen: Ihr müsst mitmachen! Dann kam das Stadtjubiläum 1987. Davon geblieben ist die Rückbesinnung auf Verlorenes, was man versäumt hat, wieder zurückzugewinnen.
Krieg und Bildung
nmz: Sie denken an das Thema Exil?
Eckhardt: Ja, die Leute aus dem Exil. Berlin hat noch Jahrzehnte nach Kriegsende nichts unternommen. Die Kultur hat sich nicht wieder erneuert, nicht schnell genug. Ein wichtiges Thema war es deshalb bei den Festwochen 1987, die Geschichte zurückzugewinnen. Dann gibt es noch die Dokumentation „Topographie des Terrors“ als das eigentlich wichtigste, weiterhin sichtbare Resultat des Stadtjubiläums.
nmz: Während Ihrer Amtszeit haben Sie ein stärkeres Engagement des Bundes gefordert. Welche Impulse erwarten Sie heute von der Hauptstadtkultur?
Eckhardt: Durch die Tatsache, dass ich eine Firma leitete, die zur Hälfte dem Bund gehörte, hatte sich damals immer schon der Bund hier in Berlin verankert. Diese Firma ist jetzt eine reine Bundes-Institution geworden. Ich kann aber nicht erkennen, dass sich da – abgesehen von den Filmfestspielen – irgendeine interessantere Konstellation ergeben hätte. Vor allem auf dem Gebiet der Außenkulturpolitik sehe ich das nicht. Das ist bedauerlich. Die Firma heißt jetzt KBB (Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin) und umfasst auch das Haus der Kulturen der Welt. Es gibt damit einen Nukleus, wo der Bund sich Geltung verschaffen könnte. Was er aber nicht tut.
Diese Firma wurde in erster Linie dazu berufen, außenkulturpolitisch aktiv zu sein. Man müsste sich ständig darum bemühen, die geistigen und kulturellen Kräfte zu vernetzen. Beim Thema Georgien haben wir beispielsweise präsentiert, was georgische Kultur ist. So ist der Komponist Gija Kantscheli zu uns gekommen und auf diese Weise emigriert. Ähnliches machten wir mit Litauen, was eben schon deswegen so wichtig ist, weil es Rückwirkungen gibt. Jede Aktion, die man macht, um etwas hereinzuholen, bleibt nicht ohne Rückwirkungen in den betreffenden Heimatländern. Zum Beispiel sind für die große Ausstellung „Berlin – Moskau“ im Gropius-Bau Kunstwerke mit List und Tücke aus den Moskauer Depots herausgeholt worden. Die konnte man, als sie zurückkamen, nicht wieder verstecken. Solche Zusammenarbeit wäre auch heute möglich, ist aber im Moment nicht zu sehen.
nmz: Ein steigender Anteil des Bundeshaushalts wird heute für Waffen ausgegeben. Sie haben einmal geschrieben, strategischer Ausgangspunkt der Verteidigung sei die Bildung. Gilt das heute immer noch?
Eckhardt: Heute gilt das erst recht. Die Bildung hat aber im Moment kaum eine Chance. Wenn ich das Wort von der Kriegstüchtigkeit unseres Landes höre – wo bleibt denn da die Bildungsoffensive, die wir ja schon einmal hatten? Eine nur militaristische Antwort bleibt in der Hochrüstung stecken. Sie bleibt dann da stecken, wo man es nicht mehr bezahlen kann. Alles, was darunter ist, leidet Not. Wir werden noch eine riesige Kürzungswelle bekommen, was die Kultur betrifft.
nmz: Siehe der öffentlich-rechtliche Rundfunk!
Eckhardt: Das sind erste Vorzeichen. In der Fläche wird das noch zunehmen, da werden ganze Häuser geschlossen werden müssen. Vor allem geht es dann wieder so, dass sich Berlin noch retten kann. Aber die Provinz? Sie ist ja die eigentliche Bildungsstätte. Wenn aber diese Bildungslandschaft austrocknet, dann vergeht uns eigentlich die geistige Kraft, um der Tyrannei der Gewalt zu widerstehen. Wenn wir uns aufgeben auch in Hinsicht unseres von der Aufklärung her determinierten Verständnisses von Mensch und Welt, dann haben wir am Ende auch verloren gegenüber den Tyrannen und den Machtmenschen, die sich überall jetzt breitmachen. ¢
Mehr Informationen zu Ulrich Eckhart auf: www.ulricheckhardt.de
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