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Die Tage des Weines und der Rosen

Untertitel
Im Alter von 96 Jahren starb der große Crooner Tony Bennett
Vorspann / Teaser

Sieben Jahrzehnte lang spukte er in den US-Charts herum: Tony Bennett. So nebenbei lässt sich an seinen Erfolgen die ganze Geschichte der Tonträgermedien zwischen 1951 und 2021 erzählen: von der Schellackplatten-Ära bis in die Streamingzeit hinein. Er war der Link zwischen den Sinatra-Jahren und dem Zeitalter von Lady Gaga. Und mit seinem warmen Timbre sang er mus­tergültige Versionen von Klassikern des „Great American Songbook“. Sein „Movie Song Album“ von 1966 ist eine „Platte für die einsame Insel“. Und die Ballade „I Left My Heart In San Francisco“ gehört zu den großen Evergreens der Jet-Set-Ära.

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Geboren wurde der Sohn italienischer Einwanderer 1926 in New York als Anthony Dominick Benedetto. Nach Lehrjahren in Militärorchestern und Big Bands erhielt er 1950 von Columbia Records einen Plattenvertrag. Columbia war damals die musikalische Heimat von Frank Sinatra gewesen, dessen Stern bei der Firma mit Merkwürdigkeiten wie „Mama Will Bark“ gerade im Untergehen war. Bis sich Sinatra 1953 bei Capitol gewissermaßen wiedererfand, dominierte Bennett die US-Charts, mit Coverversionen von Hank-Williams-Songs oder auch der Originalfassung von „Blue Velvet“. Bald aber setzte Tony Bennett auf das neue Album-Format, wie Sinatra, der das Format wie kein zweiter Crooner ausreizte.

Natürlich blieb Bennett immer der ewige Zweite. Aber einmal besiegte er seinen Konkurrenten doch in den Charts: 149 Wochen lang hielt sich seine LP „I Left My Heart In San Francisco“ in den Top 200. Wobei das Hit-Album nicht gerade zu den Favoriten von Bennett-Fans wie Will Friedwald gehörten. Er bevorzugt die wirklichen Perlen im Katalog: „My Heart Sings“, „Tony Bennett Sings A String Of Harold Arlen“, „When Lights Are Low“, „Alone Together“ und „Songs For The Jet Set“. Für Einsteiger unentbehrlich: „The Movie Song Album“. Tony Bennett wird dabei oft von den Filmkomponisten begleitet, die das Lied geschrieben haben: von Neal Hefti („Girl Talk“), Johnny Mandel („The Shadow Of Your Smile“) oder Quincy Jones („The Pawnbroker“). Obwohl Henry Mancini bei den Begleitern fehlt, liefert Tony Bennett hier die vielleicht schönste Version von „Days Of Wine And Roses“ ab. Mit seiner Stimme orchestrierte er den Lounge-Soundtrack der Sixties, der geprägt war von der Sehnsucht nach dem „Good Life“, das er besang.

In den frühen 1970er-Jahren lös­te Columbia Records seinen Vertrag. Es folgte eine lange Durststrecke, die er versuchte, mit Drogen zu „überwintern“. In diese Zeit fallen allerdings auch die Sessions mit Bill Evans. Das Repertoire ist geprägt von Bennett-Favoriten wie „Days Of Wine And Roses“ oder „Maybe September“ (aus dem Film „The Oscar“) und Evans-Lieblingsstandards wie Leonard Bernsteins „Some Other Time“ oder „Who Can I Turn To?“. Kongenial begleitet Evans den „jazzigen“ Sänger wie einst Monica Zetterlund in den Sechzigern. Beide Platten, „The Tony Bennett/Bill Evans Album“ und „Together Again“, blieben Mitte der 1970er- Jahre wie Blei in den Läden liegen. Heute gelten sie als Klassiker. Mit „The Art Of Excellence“ kehrte Tony Bennett 1986 zu Columbia zurück. Anfang der 90er-Jahre folgten zwei schöne Hommagen, an Fred Astaire und Frank Sinatra, der ihn einst als Lieblings-„Saloon Singer“ gepriesen hat. In dieser Zeit erschien auch ein Box-Set, das einen tollen Überblick über seine Columbia-Jahre bot: „Forty Years: The Artistry Of Tony Bennett“. Gleichzeitig würdigte ihn Will Friedwald ausführlich in seinem Standardwerk „Jazz Singing“. Eine neue Generation von Sinatra-Fans entdeckte so auch den „ewigen Zweiten“. 1994 schließlich wurde er auch für die MTV-Generation zu einer „Ikone“. In der damaligen „Unplugged“-Reihe hatte er einen Auftritt vor einer sehr jungen Gemeinde, die ihn danach zu lieben anfingen. Es war die queere Sängerin k.d. lang, die danach ein erstes Duettalbum mit ihm aufnahm. Später, als er schon an Alzheimer litt, folgten Amy Winehouse, Diana Krall und zuletzt Lady Gaga, mit der er seinen letzten Auftritt hatte. Am 21. Juli ist Tony Bennett im Alter von 96 Jahren in seiner Heimatstadt New York gestorben.

Viktor Rotthaler

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