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Vor elf Jahren entschied sich die Siemens AG, ihr breit gestreutes kulturelles Engagement zu bündeln und ein eigenes Kulturprogramm für künstlerische Projekte ins Leben zu rufen. Jens Cording, Projektleiter Musik, sprach mit der nmz über die Besonderheiten und Ziele dieser Art von Kulturförderung.
neue musikzeitung: Wie funktioniert das Programm? Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Jens Cording: Bei der Siemens AG wird traditionell Kultur gefördert, die Familie von Siemens hat sich immer für Kultur stark gemacht. Mehrere Stiftungen sind aus dieser mäzenatischen Tradition hervorgegangen: die Carl Friedrich von Siemens Stiftung im Nymphenburger Schloß in München mit ihren wissenschaftlichen Vortragsreihen, der Ernst von Siemens Kunstfonds, der Museen beim Ankauf und Ausstellen von Kunstwerken sowie bei Katalogpublikationen unterstützt, und die private Ernst von Siemens Stiftung in Zug/Schweiz, die jährlich einen der höchstdotierten Preise und weitere Förderpreise an Künstler und Wissenschaftler aus der Musikwelt vergibt. In diesem Jahr ging der Hauptpreis der Ernst von Siemens Stiftung, wie Sie wissen, an György Kurtág. Darüber hinaus gibt es verschiedene andere Stiftungen, die dem Unternehmen nahestehen.
nmz: Welche Bereiche spielen denn die Hauptrolle?
Cording: 1987 hat die Siemens AG – neben den bestehenden Stiftungen – ihr kulturelles Engagement durch ein eigenes Förderprogramm für künstlerische Projekte ergänzt und institutionalisiert. Das Siemens Kulturprogramm arbeitet vor allem im zeitgenössischen Bereich und zwar in den Sparten Bildende Kunst und Fotografie, Musik, Theater und Tanz sowie Kultur- und Technikgeschichte. So wie im Unternehmen auf technologischem Feld Forschung betrieben wird, um innovative Produkte auf den Markt zu bringen, ist die Beschäftigung mit kulturellen und künstlerischen Innovationen naheliegend, um wirtschaftsübergreifend auf der Höhe der Zeit zu denken und zu handeln. Dabei betreiben wir kein Sponsoring im klassischen Sinn. Statt reaktiv auf Anfragen Gelder zu verteilen, entwickeln wir vorrangig eigene Konzepte. Dabei fördern wir in erster Linie Experimente und Neuansätze im Bereich der zeitgenössischen Künste sowie von der öffentlichen Hand vernachlässigte Projekte oder Institutionen. Die Initiativen des Kulturprogramms zielen einerseits auf eine Positionierung in der Öffentlichkeit, andererseits auf die Vermittlung experimenteller Kunstformen bei den Mitarbeitern.
nmz: Gibt es Schwerpunkte, oder ist die Verteilung auf die Sparten ungefähr gleich?
Cording: Das wird jedes Jahr projektabhängig diskutiert, das heißt, je interessanter und einleuchtender die Projekte sind, um so mehr wird in dem einen oder anderen Bereich im jeweiligen Jahr getan. Außerdem sind die Projektzyklen natürlich unterschiedlich, das heißt, eine Ausstellung hat oft eine sehr lange Vorbereitungszeit. Das gilt auch für den Musikbereich: Manche Projekte, zum Beispiel im musiktheatralischen Bereich, werden über Jahre hinaus mitbegleitet. Deswegen schwankt die Verteilung projektabhängig.
nmz: Liegt die Initiative für Ihre Projekte bei Ihnen, oder fördern Sie Projekte, die an Sie herangetragen werden?
Cording: Wir bekommen natürlich sehr, sehr viele Anfragen, die auch alle gründlich studiert werden. Wir wissen ja, daß sich die Antragsteller meistens extrem viel Mühe geben und oft viel Herzblut in ihre Projekte geben. Daher lehnen wir keine Anfrage leichtfertig ab. Wir rufen aber vor allen Dingen eigene Projekte ins Leben. Das hängt auch mit den Personen zusammen, die für das Kulturprogramm arbeiten. Wir alle sind Leute, die direkt aus der Kunst
kommen und die eigeninitiativ tätig werden können und wollen. Ich zum Beispiel bin Musiker. Es ist eher so, daß wir Projektideen entwickeln, beziehungsweise Projekte aufgreifen, die in der Luft liegen, und dann auf mögliche Partner zugehen. Das heißt aber nicht, daß wir uns nicht über regelmäßige Informationen von Komponisten, Interpreten oder Institutionen freuen würden, wir brauchdn sie sogar sehr dringend. Insgesamt arbeiten wir eher in der Rolle eines Veranstalters oder, besser gesagt, in der eines Koproduzenten...
nmz: ...der die Projekte dann finanziert?
Cording: Der sie mitfinanziert. Es gibt kein von uns voll finanziertes Programm. Weitere Geldgeber sind die jeweiligen Kooperationspartner – Theater, Museen, die Ensembles selbst, andere Kultur- und Förderinstitutionen, Stiftungen, aber auch private oder industrielle Sponsoren und Mäzene. Wir selbst gehen für verschiedene Projekte oft aktiv auf die Suche nach Geldmitteln. Wir sehen uns, wie gesagt, selbst nicht als klassischen Sponsor. Wir verstehen unsere Arbeit als proaktive Kulturförderung, haben aber keine Berührungsängste mit den verschiedensten Koproduzenten und sehen uns vor allem als Partner für die Kultur.
nmz: Auch als Partner der öffentlichen Hand?
Cording: Mit Sicherheit wollen wir die öffentliche Hand nicht aus ihrer Verantwortung der allgemeinen, breiten Kulturförderung entlassen. Wir versuchen eher, durch eigene Initiativen auch die öffentliche Hand anzuregen, in bestimmte neue, andere Richtungen zu denken. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Industrie- und Arbeitswelt einerseits, die Kenntnis des Innovationspotentials von Kultur andererseits können neue Perspektiven erschließen.
nmz: Wenn Sie kein Sponsor sind, bedeutet das: kehne Gegenleistung?
Cording: Wir freuen uns natürlich, wenn wir erwähnt werden. Ich denke, wenn ein Theater koproduziert oder ein Museum eine Kooperation mit einem anderen Museum eingeht, dann erwähnt jede Seite selbstverständlich auch den Partner. Das ist das ganz normale partnerschaftliche Verhalten in einer Koproduktion.
nmz: Wie ist die inhaltliche Mitsprache von Siemens bei den einzelnen Projekten?
Cording: Das ist immer eine Gratwanderung. Wie Kuratoren in anderen Produktionen sind auch wir kuratorisch tätig – nicht mehr oder weniger. Mit Sicherheit sagen wir einem Komponisten nicht, wie er zu komponieren hat. Es kann aber sein, daß man zum Beispiel sagt: Ich hätte gerne etwas für diese oder jene Besetzung. So war das zum Beispiel bei unserem Projekt „mechanic“ mit fünf Kompositionsaufträgen für historische Jahrmarktorgeln. Hier gab es die ganz klare Vorgabe, für diese Musikmaschinen zu komponieren. Sie sehen aber schon an der Auswahl der Komponisten, daß ich da keine stilistische Richtung vorgeben wollte: Detlev Glanert, Peter Michael Hamel, Steffen Schleiermacher, Gerhard Stäbler und Jörg Widmann – die sind in ihrer Kompositionsweise so grundsätzlich verschieden, und im Endeffekt sind ja auch fünf völlig individuelle Werke dabei herausgekommen.
nmz: Sie haben von der Innenrichtung Ihres Programms gesprochen. Wird das von den Mitarbeitern angenommen, auch wenn es um schwerverdauliche moderne Kunst und Musik geht?
Cording: Das Kulturprogramm hat im Unternehmen eine Schaltfunktion zwischen zwei Praxisbereichen, dem unternehmerischen und dem kulturellen, deren Austausch unerläßlich ist. So entwickeln wir spezielle Programme für unsere Mitarbeiter. Wir arbeiten vor allem standortgebunden, das heißt, alle unsere Projekte finden in Orten statt, in denen die Siemens AG präsent ist. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, unsere Mitarbeiter an zeitgenössische Kunst heranzuführen – sozusagen als Kreativitätsschub.
nmz: Und das funktioniert?
Cording: Die Akzeptanz ist sehr hoch – das kommt durch die für jedes Projekt und jeden Ort individuelle Herangehensweise. Die Mitarbeiter bekommen nicht einfach nur etwas vorgesetzt, sondern sie werden mit verschiedenen Bereichen und Themen bekanntgemacht. Interessant sind hierbei die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede, die oft zwischen der künstlerischen und der industriellen Arbeitswelt zu entdecken sind. Wir veranstalten zum Beispiel Künstlergespräche oder Diskussionen mit Fachwissenschaftlern. Dabei versuchen wir immer wieder, Projekte aus einer völlig ungewöhnlichen Perspektive zu präsentieren. Wir entwickeln darüber hinaus auch spezielle Projekte im Werk, direkt für die Mitarbeiter. Es gab zum Beispiel im letzten Jahr ein Projekt in Amberg, das „How to Scratch ‘n’ Move“ hieß. Das war ein Tanz- und Techno-DJ-Workshop für die Siemens-Auszubildenden. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen. Die Auszubildenden hatten nicht nur ein wunderbares Wochenende, sondern gingen auf qualitativ hohem Niveau mit der Materie um, die sie normalerweise nur konsumieren. Sie durften selbst Stücke mixen, sie erlernten bestimmte, sehr artifizielle Tanzsequenzen und waren rundum zufrieden.
nmz: Wie ist das Kulturprogramm in die Struktur und Hierarchie des Unternehmens eingebunden?
Cording: Das Siemens Kulturprogramm ist eine eigenständige Abteilung, die nicht an die Werbeabteilung angebunden, sondern direkt an den Vorstand angegliedert ist. Durch die Ansiedlung des Programms an der Unternehmensspitze ist es, was die Inhalte angeht, auch sehr frei und hat im Unternehmen einen sehr hohen Stellenwert. Im Team des Kulturprogramms selbst wird ein intensiver Kunstdiskurs geführt. Wir sind alle dicht am Kunstprozeß dran und stimmen die Projekte nach der internen Diskussion mit dem Vorstand ab. Im
Normalfall kommen von dort keine Einschränkungen.
nmz: Warum haben Sie sich für diese Form der Kulturförderung entschieden? Was sind die Vorteile gegenüber dem eigentlichen Sponsoringgedanken?
Cording: Sponsoring ist wichtig und gut, kann aber mit Sicherheit nicht diegewünschte Nähe zur Kunst erfüllen. Eine eigene, wohldurchdachte inhaltliche Ausrichtung, die nicht das Geld nach dem Gießkannenprinzip verteilt, verringert die Gefahr, daß man etwas fördert, was nicht zum eigenen Profil paßt. Die Auswahl der Projekte ist streng. Bevor wir eine Idee realisieren, wird sie wirklich eingehend diskutiert. In der Diskussion mit Künstlern und Institutionen versuchen wir, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist dabei natürlich auch der verantwortungsvolle Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Erfolg zeigt uns, daß es der richtige Weg ist, den die Siemens AG geht – der Erfolg bei den Veranstaltungen zum Beispiel.
nmz: Wie messen Sie den Erfolg?
Cording: Wir haben sehr viel Presseecho, wir arbeiten mit Kunst- und Kulturinstitutionen als Partner zusammen, und wir merken dabei, daß die Leute zunehmend weniger Berührungsängste mit der Industrie haben. Die Leute arbeiten gerne mit uns zusammen, weil wir als Fachleute auftreten und handeln. Auch auf Seiten der zahlreichen Mitarbeiter – Siemens ist einer der größten Arbeitgeber der Welt – findet sich immer mehr Zuspruch für zeitgenössische Kunst. Kürzlich habe ich von einer Gruppe von Mitarbeitern gehört, die nun, nach dem Besuch einiger von uns initiierter Veranstaltungen, regelmäßig in die Konzerte des Ensemble Modern in Frankfurt am Main geht.
Unsere Projekte sind allerdings keine Werbeveranstaltungen. Für ein so großes und traditionsreiches Unternehmen wie Siemens erscheint es uns nicht angezeigt, mit Kultur Werbung zu betreiben. Werbung wird bei Siemens
natürlich auch gemacht, steht aber auf einem anderen Blatt. Unser Kulturprogramm versucht qualifizierte Arbeit zu machen, die sich den Bedürfnissen der Zeit anpaßt, also gesellschafts- und kulturpolitische Akzente setzt.
nmz: Können Sie uns von einem konkreten Beispiel Ihres Programms berichten?
Cording: Ein Projekt im nächsten Jahr, das mitarbeiterbezogen ist, aber auch eine gewisse Außenwirkung hat, ist die Veranstaltung „KunstWerk“ in Nürnberg. Wir vergeben in diesem Jahr ein internationales Stipendium an einen Musiker. Dieser bekommt dadurch Gelegenheit, vier bis sechs Wochen in
Nürnberg direkt in der aktiven Arbeitssituation in einem Werk zu recherchieren, sich von dem Arbeitsumfeld inspirieren zu lassen, zum Beispiel Geräusche von Maschinen aufzunehmen, Arbeitsabläufe zu studieren und so weiter. Das heißt, er bewegt sich nicht im musealen Raum, sondern es wird tagsüber in diesen Hallen gearbeitet. Die Künstler können sich mit der Industrie auseinandersetzen und high-tech- und computergestütztes Arbeiten kennenlernen. Die Auswahl des Stipendiaten trifft eine Fachjury. Die Ergebnisse der Werksresidenz des Künstlers werden im Juni 1999 bei einer Veranstaltung in einem Nürnberger Werk einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.
nmz: Ihre Projekte realisieren zumeist zeitgenössische Kunst?
Cording: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die Förderung von Experimenten in der zeitgenössischen Musik, die Vergabe von Kompositionsaufträgen in Zusammenhang auch mit Produktionsaufträgen, die natürlich immer dazugehören, und auch die Initiierung von Konzertreihen mit zeitgenössischer Musik. Das sind die drei Standbeine, die es im Bereich Musik gibt. Ein weiteres Beispiel ist die Video Opera „weather“, die zwei amerikanische Künstler, der Komponist Michael Gordon und der Videokünstler Elliot Caplan, in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Resonanz im vergangenen Jahr produziert und uraufgeführt haben. Das ist ein ganz typischer Fall für unsere Arbeit. Von Anfang an haben alle Partner des Projekts an der Sache gemeinschaftlich gearbeitet. Das geht natürlich mit einem so spritzigen und hochleistungsfähigen Ensemble sehr gut, und dann macht die Arbeit richtig Spaß. Wir haben eine ganz neue Kunstform gefunden: Eine Video Opera hat es in dieser Form bis dahin noch nicht gegeben. Das sind die Themen, nach denen wir suchen: neue, interessante Kunstformen, die vielleicht bis jetzt vernachlässigt wurden, oder Künstler, die auf dem neuesten Stand arbeiten und im Kunstbereich ganz vorne liegen.