Seit 1994 gibt es das Festival „Klangspuren Schwaz“. Die 16. Ausgabe widmet sich Aspekten zeitgenössischer Musik Südamerikas. In einem Interview mit Maria-Luise Mayr, die zusammen mit Thomas Larcher zu den Gründern des Festivals zählt, soll einem für das Festivalkonzept typischen Aspekt nachgegangen werden: dem networking auf organisatorischer und inhaltlicher Ebene.
neue musikzeitung: Wie wurde aus dem kleinen Nukleus das vierzehntägige Festival von heute?
Maria-Luise Mayr: Klangspuren sind immer noch ein kleines Festival nur der Radius ist durch die kontinuierliche Arbeit größer geworden. Mir fällt dazu das Bild ein: Wenn man einen Stein ins Wasser wirft – und das haben wir 1994 getan – dann zieht das Kreise, bis diese Wellen irgendwann ans Ufer schwappen. Wir haben 1994 den Stein geworfen und das zog zunächst engere Bahnen. Dass der Start geglückt ist und dass wir nicht gleich wieder vom Erdboden verschwunden sind, hat damit zu tun, dass wir die Region und wichtige Multiplikatoren sowohl in künstlerischer als auch in „marktwirtschaftlicher“ Funktion mit einbezogen. Das ist rein intuitiv passiert, keiner hat sich das vorher überlegt. Da wir keinen Konzertsaal in Schwaz haben, fragten wir Unternehmen, ob sie bereit wären, ihre Produktions- oder Lagerhallen für Konzerte zu öffnen und als Sponsor aufzutreten. Das machte damals Sinn und uns, um die Worte des Schwazer Bürgermeisters zu verwenden, zu einem Schwazer Kulturexport.
nmz: Und heute?
Mayr: Wenn ich fünf Mal in die Produktionshalle der Jenbacher Werke gehe, dann ist es für das Publikum nicht mehr interessant. Es läuft sich tot. Wir fanden andere Kooperationen, vor allem Werbekooperationen. Zum Beispiel die lokale Sennerei Zillertaler: Diese Firma hat für uns auf ihren Ein-Liter-Packungen Milch das Klangspuren-Programm abgedruckt. Das waren 600.000 Stück, fast für jeden Tiroler eine. Klangspuren benutzten über mehrere Jahre andere Marken um die eigene zu transportieren. Es gab dann eine Umfrage unter der Tiroler Bevölkerung und 84 Prozent kannten das Festival „Klangspuren“, fünf Prozent haben es schon einmal besucht.
nmz: Wie kamen die „Klangspuren“ zum Tourismus?
Mayr: Interpreten müssen irgendwo schlafen und dadurch ist jedes Festival touristisch interessant. Eine Zusammenarbeit mit der Tirol Werbung, der Dachmarke der Tiroler Tourismusverbände, hat es immer gegeben und ein Ergebnis dieser Kooperation war ein Kompositionsauftrag an Philip Glass. Der 2. Satz seines „Tirol concerto“ wird nun schon seit fast zehn Jahren als musikalisches Tirol-Logo verwendet.
nmz: Ist das Festival rein privatwirtschaftlich aufgestellt, oder zahlt das Land Tirol auch dazu?
Mayr: Wir haben es lange Jahre geschafft, etwa 60 Prozent selbst zu erwirtschaften. Die restlichen 40 Prozent sind von öffentlicher Hand gekommen. Vor einigen Jahren hat sich das Verhältnis umgedreht.
nmz: Welche künstlerischen Kooperationen sind denn entstanden, die heute das Profil des Festivals prägen?
Mayr: Das erste, was wir angeregt haben, war die Gründung eines Festivals für zeitgenössische Musik in Südtirol. Das erleichterte es uns, große und teure Projekte zu finanzieren. Weiter wurde uns ein Büro zum Selbstkostenpreis im Museumsquartier Wien zur Verfügung gestellt – ein Fenster in der Hauptstadt erleichtert Vieles. Mit dem Ensemble Modern ergaben sich einige Kooperationsprojekte, die Lucerne Festival Academy war unter der Leitung von Pierre Boulez zu Gast bei den Klangspuren, heuer haben wir eine Zusammenarbeit mit Linz 09, der europäischen Kulturhauptstadt. Gemeinsam vergaben wir einen Auftrag an Klaus Lang. Die Uraufführung ist bei „Klangspuren“, im November dann bei Linz 09. Auch mit Deutschlandradio haben wir letztes Jahr gemeinsam eine Komposition an Samir Odeh Tamimi vergeben. Dieses Jahr findet das Konzert „Im Sog der Klänge“, an dem die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, das ensemble resonanz und das composers slide Quartet beteiligt sind, auch bei Klangspuren statt. Neu ist die Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt München. Dort wird aktive Kulturpolitik betrieben – Münchener Interpreten zeitgenössischer Musik wird ein Sprungbrett finanziert. Wir haben uns das Kammerorchester Piano Possibile und die Pianistin Sabine Liebner ausgesucht.
nmz: Ist das längerfristig angelegt oder eine einmalige Sache?
Mayr: Wäre schön, wenn es weitergeht. Ich kann mir auch vorstellen, dass andere Städte diese wertvolle Idee aufgreifen und an derartigen Kooperationen interessiert sind.
nmz: Es gibt eine Kooperation mit dem Ensemble Modern. Wie begann diese?
Mayr: Das war schon immer ein Wunsch des früheren Festivalleiters und mir: Wir wollen kein Festival sein, bei dem die Musiker einfliegen, auspacken, spielen und wieder wegfahren. In Tirol lässt sich gut urlauben und dadurch auch gut arbeiten. Wir haben das Ensemble Modern gefragt, ob sie nicht eine Probenphase bei uns machen wollen und dann von dort eine Tournee starten möchten. Sie haben die „Alpensinfonie“ mit dem Ensemble Modern Orchestra in Schwaz für Luzern geprobt und eines Tages hat Roland Diry gesagt, sie würden jetzt einen eigenen Verein gründen, der sich darum kümmern wird, jungen Interpreten zeitgenössische Musik zu vermitteln. In Schwaz startete im Jahre 2004 dann die erste Internationale Ensemble Modern Akademie. Dieses Jahr erarbeitet die Internationale Ensemble Modern Akademie Werke von Johannes Maria Staud und Martin Matalon, einem Argentinier, den das Ensemble Modern gut kennt und vorgeschlagen hat.
Der Platz reicht nicht aus, um alle Beispiele zu erwähnen, klar ist, kleine Festivals überleben nur durch Vernetzung mit inhaltlich ähnlichen Institutionen. Erwähnenswert ist noch die Zusammenarbeit einerseits mit dem Klingenden Museum Berlin und Hamburg mit Professor Albrecht und dem Kinder- und Jugendmuseum München. Zurzeit zeigen wir die Ausstellung „Vom Krach zu Bach“. Das ist eine Sensation in Tirol, wir hätten das selber nie geglaubt, wir werden in drei Monaten 10.000 Kinder und Eltern erreichen.
nmz: Gibt es auch in Zukunft Kooperationen mit der Lucerne Festival Academy?
Mayr: Es passt leider nicht immer vom Termin her. Die Lucerne Festival Academy ist meistens etwas früher als unser Festivalstart aber irgendwann wird es wieder passen.
nmz: Gibt es sonst noch Kooperationen mit Festivals?
Mayr: Ja, mit dem Menuhin Festival Gstaad, MaerzMusik Berlin, auch mit dem „Eclat“-Festival in Stuttgart mit „musica viva“ in München, mit der Biennale Salzburg, die heuer zum ersten Mal stattfand und mit örtlichen Institutionen wie der Stadtgalerie Schwaz ...
nmz: Noch ein paar Sätze zum Motto „Südamerika“?
Mayr: Was ich interessant finde ist, dass es kaum Infrastruktur für das Schaffen zeitgenössischer Musik dort gibt, kaum Konzertsäle und trotzdem gibt es das Orquesta experimental de Instrumentos nativos, das schon seit Jahren auf traditionellen Inka-Instrumenten Werke lateinamerikanischer Zeitgenossen spielt und Aufträge vergibt. Dieses Orchester wird kommen und wir haben einen Auftrag an den Leiter, Cergio Prudencio, vergeben. Es hat sich dann eine interessante Parallele herausgestellt.
In Tirol wird in diesem Jahr der „Befreiung Tirols im Jahre 1809 und dem Helden Andreas Hofer gedacht. 1809 gab es auch in Sucre, Bolivien, den allerersten Aufstand gegen die spanische Obrigkeit, begleitet vom stürmischen Glockengeläut der Franziskanerkirche in Sucre. Zur Erinnerung an diesen Aufstand wird noch heute diese Glocke am 25. Mai geläutet und Cergio Prudencio verwendet selbige Klänge in seinem neuen Stück „el alto nombre“. Finanziert wird die Komposition aus dem Landes-Gedenkjahrestopf „Freiheit 1809 – 2009“. Und da soll noch einer fragen, was hat 1809 mit Südamerika zu tun.
Das Gespräch führte Andreas Kolb