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Das Ideal einer Gemeinsamkeit in Freiheit

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Ein Gespräch mit der Bratschistin Tabea Zimmermann
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In der nächsten Arbeitsphase des Bundesjugendorchesters wird die Bratschistin Tabea Zimmermann in einem zeitgenössischen Violakonzert des Engländers Mark-Anthony Turnage mitwirken. Reinhard Schulz, neue musikzeitung, führte mit der Interpretin ein Gespräch, bei dem sich kurz auch ihr Ehemann Steven Sloane (der die Tournee leiten wird) beteiligte.

neue musikzeitung: Frau Zimmermann. Sie haben früher schon mit dem Bundesjugendorchester zu tun gehabt.

Tabea Zimmermann: Ich war selbst 1981/1982 Mitglied und dann habe ich kurz darauf, 1984, einmal als Solistin zusammen mit Thomas Zehetmair mitgewirkt.

nmz: Ich glaube, dass das Orchester heute technisch weit besser ist als in den Jahren nach der Gründung 1969. Auf der anderen Seite beobachtet man eine Wegwendung der Jugend von der klassischen Musik. Das Publikum überaltert.

Steven Sloane: Ich glaube, die Nähe zur Kultur beginnt mit Bildung. Dass sich die Jugend den medialen Möglichkeiten der Popkultur zuwendet, ist verständlich und auch ihr gutes Recht. Aber wenn sie die Möglichkeit hat, sich, wie zum Beispiel im Bundesjugendorchester, mit klassischer Musik auseinanderzusetzen, dann kann das wie eine Droge sein. Das werden sie ihr Leben lang mitnehmen.

Zimmermann: Die Konzertbesucher überaltern außerdem nur als Spiegel unserer Gesellschaft. Die ist insgesamt zu alt. Dennoch muss man diese Schere beobachten und hier wird heute auch verstärkt etwas von Orchestern und Veranstaltern getan. Aber das ist nach wie vor schwer. Es ist nun mal eine Insider-Kultur. Und insbesondere wenn man sich mit zeitgenössischer Musik beschäftigt. Das dem Mann auf der Straße oder der Frau im Supermarkt nahe zu bringen, also dass da auch etwas für sie dabei ist, ist nicht einfach. Das Elternhaus ist sehr wichtig. Ich habe schon mit drei Jahren mit der Bratsche begonnen. Zu meinen Altersgenossen ist dadurch freilich kein richtiger Kontakt aufgekommen.

nmz: Mit drei Jahren Bratsche? Geht das?

Zimmermann: Das geht wahrscheinlich nicht wirklich, aber ich habe damals schon einen Dickschädel gehabt, den ich heute auch an meinen Kindern beobachten kann. Meine älteren Geschwister spielten Geige, Cello und Klavier.

nmz: Und da fehlte also die Bratsche.

Zimmermann: So kann man es sagen. Es war allerdings eine 1/8-Geige mit Bratschensaiten. Es muss jämmerlich geklungen haben.

Sloane: Es beginnt immer von klein an. In kleinsten Städten oder Dörfern sollten musikalische Kontakte, kammermusikalische oder in kleinen Orchestern aufgebaut werden. Dann wird die Faszination auch anhalten.

nmz: Mahler, Adams, Turnage, das ist ein kühnes Programm.

Sloane: Es ist mit Bedacht zusammengestellt. Die „Harmonielehre“ von Adams ist ja ein Kommentar, ja eine Parodie über Schönbergs Harmonielehre von 1911. Hier war der Bruch zwischen Ende der Romantik und Beginn der Moderne formuliert. Und gleichzeitig dazu ist Mahlers Zehnte angefangen worden: Das Ende der deutschen Romantik, das finde ich sehr spannend. Und John Adams ist für mich ein Meister des Minimalismus, mit viel Ausdruck fast im romantischen Sinne. Als Amerikaner kann ich, so hoffe ich, vieles davon dem BJO vermitteln. Turnage kam, weil ich irgendwelche Kontakte mit der Bratschistin habe.

Zimmermann (lacht): Wir wollten auch keinesfalls wieder Berlioz, Bartók oder Hindemith machen, sondern uns einem auch für uns ganz neuen Stück zuwenden.

nmz: Vielleicht auch als Brücke zwischen deutscher Romantik und den USA?

Sloane: Ja, England ist eine Insel. Man versucht eigenes zu machen und zugleich den Blick nach allen Seiten zu wenden. Es gibt heute fantastische Musiker dort, auch was die kompositorische Technik betrifft. Und dort gibt es wie in Amerika weniger Berührungsängste zu Pop, zu neuen Technologien.

nmz: Mahlers Zehnte ist ein Werk, in dem große Lebenserfahrung kulminiert. Kann das ein Jugendorchester?

Sloane: Ich war 25 Jahre alt, als ich zum ersten Mal Beethovens Neunte dirigierte. Da habe ich mir auch diese Frage gestellt. Damals sagte ein Lehrer zu mir: Wenn du dieses Stück wirklich dirigieren willst, wenn du 50 bist, dann musst du mit 25 anfangen. Die jungen Musiker im BJO werden das Stück erleben, wie sie jetzt denken. Aber die Erfahrung wird einen lebenslangen Prozess einleiten.

Zimmermann: Ich möchte noch hinzufügen: Die Beurteilung des Älteren, dass man mehr weiß, weil man älter ist, ist eine gefährliche Schiene. Kinder bringen von Geburt an eine Weisheit, eine Verbundenheit mit den Generationen davor mit. Es gibt durch Musik die Möglichkeit, Dinge zu fühlen, die man noch nicht gefühlt hat. Die Idee des kosmischen Gedächtnisses, auch der Ursprünglichkeit habe ich selbst auch oft an mir erlebt.

Sloane: Und das Fehlen von Vorurteilen, von Befangenheiten bringt eine viel größere Nähe zur Musik. Sie erleben es, wie es ist. Ganz ohne Schubladen, ohne die Frage nach alt oder neu. Das wird zeitlos.

Zimmermann: Diese Unmittelbarkeit überträgt sich dann auch – hoffentlich – aufs Publikum.

nmz: Das haben Sie ja selbst miterlebt.

Zimmermann: Davon zehre ich heute noch! In jedem Orchester in Deutschland, zu dem ich als Solistin komme, kenne ich jemand aus der BJO-Zeit.

nmz: Sie haben jetzt ein eigenes Quartett gegründet, das Arcanto-Quartett. Was war dafür die Triebfeder?

Zimmermann: Es war eine Entwicklung über Jahre. Schon von Kinderzeit an habe ich mit meinen beiden Schwestern Streichtrio gespielt. Das war eine phantastische Schulung: für das Gehör, für das Gefühl des Miteinander. Auch später habe ich natürlich viel Kammermusik gemacht. Doch ich begann festzustellen, dass meine Vorstellungen von Kammermusik für mich nur selten ganz zu befriedigen waren.

nmz: Lag das an den Partnern?

Zimmermann: Man erlebt manchmal Hierarchien. Kammermusik muss für mich aus dem inneren Bedürfnis entstehen, sich mit Menschen so zu verschränken, dass jeder seine Seele öffnet und man gemeinsam ausdrückt, was in den Noten steht. Die Gründung des Quartetts hing dann mit dem Tod meines ersten Mannes David Shallon zusammen. Das war auf einer Japan-Tournee, wo auch die Kammermusikfreunde Antje Weithaas und Jean-Guihen Queyras dabei waren. Am ersten Todestag habe ich diese beiden Freunde eingeladen und ich sagte, ich möchte an diesem Tag nur Streichquartett spielen. Wir haben einen riesigen Stapel Quartette gelesen. Da stellten wir fest, dass es das ist, was wir machen sollten. Da entstand die Zelle zum Quartett. Wir suchten noch den vierten Mann. Da war ein Geiger, den ich schon aus dem BJO kannte, Daniel Sepec. Auch Queyras kannte ihn schon. So ist dieser Traum verwirklicht worden. Ab 2002 haben wir zusammengearbeitet, im Jahr 2004 war der erste Auftritt.

nmz: Also Kammermusik als Dialog? Es gibt ja, pauschal gesagt, zwei Konzeptionen: der Primarius gibt die Richtung vor …

Zimmermann: …das passt nicht immer zu den Partituren …

nmz: Nun, eine gewisse Homogenität mag dadurch entstehen.

: Das ist aber nicht unsere Vorstellung. Ich sage es einmal so: Wir versuchen absolut zu einer Idee und Vorstellung zu gelangen, aber im Ausdruck ist jeder ganz frei. Wir spielen mit sehr individuellem Klang, aber es stellt sich eine innere Verschränkung her. Wir arbeiten hier sehr im Detail: was Klangfarben betrifft oder den Obertonreichtum durch die Intonation.

nmz: Darüber wird debattiert.

Zimmermann: Ganz intensiv! Wir tauschen uns aus, probieren Vorschläge. Dadurch entsteht die innere Vorstellung vom Stück, die gemeinsam verwirklicht wird, wobei sich jeder im Spiel Freiheiten nehmen kann. Es ist jeden Abend ein bisschen anders. Es muss immer ein lebendiger Austausch bleiben, keine Routine. Das hält uns frisch.

nmz: Also keine Quasi-Idealform, die jeden Abend auf die Bühne gebracht wird, wie wir es von manchen großen Quartetten kennen?

Zimmermann: Das macht einen irgendwie müde und erfüllt einen nicht wirklich. Man kann von der Bühne gehen und sagen, ich habe zwei Stunden schwer gearbeitet. Oder ich gehe von der Bühne und sage, ich bin glücklich, dass ich mit euch diese Musik spielen durfte, was etwas ganz anderes ist. Das hält mich wach und stark.

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