Zu dessen Abschied als GEMA-Vorstandsvorsitzender führte nmz-Herausgeber Theo Geißler mit Prof. Dr. Reinhold Kreile ein Gespräch in seinem Münchner Büro, das nicht nur Berufliches behandelte, sondern auch Persönliches streifte. Dabei machte er die Entdeckung, dass das Eine vom Anderen nicht zu trennen ist. Unsere Fotos sind Standbilder einer Aufzeichnung, die Sie unter http://media.nmz.de/ ansehen können.
Theo Geißler: Reinhold Kreile, einer der Textdichter, die Sie durch die GEMA ja auch vertreten, schmiedete den lyrischen Satz: „Abschied ist ein scharfes Schwert.“ Sechzehn Jahre hatten Sie hier in der Münchner Rosenheimer Straße Ihren Arbeitsplatz. Was empfinden Sie beim Auszug? Wie ist Ihre Stimmungslage?
Reinhold Kreile: Über diese Stimmungslage schrieb Goethe ein ganzes Gedicht mit dem wunderbaren Titel „Willkommen und Abschied“. Hier heißt es jetzt nun Abschied und Willkommen für eine andere, neue Phase eines Lebens, welches ja ohnehin aus Abschnitten besteht. Aber ungeachtet aller Abschnitte hatte ich das große Glück, dass mein Leben sich immer um zwei bis drei, maximal vier wesentliche Bereiche herum verschränkt hat. Der eine Bereich ist die Musik. Der andere Bereich ist die Juristerei, die Tätigkeit als Anwalt. Sehr nahe bei dieser Tätigkeit liegt die Tätigkeit der Politik, nämlich die Umsetzung dessen, von dem man glaubt, dass es das Richtige ist.
Schon während meiner Schulzeit spielte ich als Organist jeden Sonntag einen, teilweise zwei Gottesdienste. Dies hatte den angenehmen Effekt, dass ich mir mein Jurastudium durch die musikalische Nebentätigkeit finanzieren konnte. So wurde für mich relativ früh die essentielle Einsicht klar, dass das Leben von und mit Musik auch ein wirtschaftliches sein muss. Die Gesichtspunkte Musik und Wirtschaft haben mich dann letztendlich zur GEMA geführt. Schon als Rechtsreferendar, also mit knapp 23 Jahren schrieb ich zum ersten Mal in einer der GEMA-Zeitschriften einen Aufsatz über die Entwicklung des Urheberrechts, insbesondere im Hinblick auf das internationale Urheberrecht. Diese Verbindung mit der GEMA ist seitdem immer aktuell geblieben, so dass es nahezu ein logischer Weg gewesen ist, in der Verbindung von Musik und Rechtswissenschaft die Anwaltstätigkeit auszuüben, also der Anwalt des Urheberrechts zu sein – und nichts anderes ist man ja als Vorstandsmitglied und als Vorstandsvorsitzender der GEMA.
Dieser Berufsweg als Vorstandsvorsitzender der GEMA wird nun zu Ende gegangen sein. Aber die Beschäftigung mit Musik und mit dem Recht der Musik und die Verbindung mit den schöpferischen Musikern wird nicht aufhören.
Geißler: Sie spielen Klavier, Repertoire, aber auch Entlegenes. Was liegt Ihnen beim Pianoforte besonders am Herzen?
Kreile: Sozusagen das tägliche Brot ist nach wie vor das Wohltemperierte Klavier von Bach. Ich würde übertreiben, wenn ich sagen würde, dass ich dort jede Fuge spielen könnte. Aber immerhin, einige kann ich und das Wohltemperierte Klavier ist etwas, was mich mein ganzes Leben lang begleitet und mich hoffentlich, sofern es meine Finger mitmachen, noch länger begleiten kann. Dann ist natürlich der Weg über Beethoven zu Schubert und im Weiteren auch zu Chopin ein immer wieder von mir gesuchter. Ich freute mich sehr darüber, dass Wolfgang Rihm mir zu meinem Abschied von der GEMA ein Stück widmete. Als ich mich dann heute morgen ans Klavier setzte und versuchte, dieses Werk nachzuempfinden, es zu spielen, und befand, dass ich dies noch einigermaßen ordentlich kann, da dachte ich mir, wie schön es doch ist, einen Komponisten als Freund zu haben, der auch genau begreift, wie beschränkt die Fähigkeiten des Freundes Reinhold Kreile sind, und ihm trotzdem ein Werk, das er spielen kann, schreibt und komponiert. Meine Freude über dieses mir und dem ganzen Vorstand der GEMA gewidmete Stück war ebenso groß wie die Freude über einen alpenländischen Ländler, wel-chen mir unser Vorstandsvorsitzender Christian Bruhn schrieb und in dem ich höre, wie Bruhn es versteht, Schubert, ein wenig Brahms und moderne Unterhaltungsmusik perfekt miteinander zu verbinden.
Geißler: Als Sie noch kräftig in die Tasten des politischen Klavieres griffen, gelang es Ihnen, den Begriff „Geistiges Eigentum“ in einen Gesetzestext, sogar an prominenter Stelle, einzubringen.
Kreile: Ja, dies ist mir gelungen. Allerdings, wie es immer in der Politik ist, gelingt einem so etwas nicht allein. Hier braucht man Mitstreiter, und der damalige Mitstreiter Ludwig Stiegler auf Seiten der SPD – ich war ja auf der Seite der CSU – begriff, dass das Wort „Urheberrecht“ allein noch nicht jenen Impuls bringt, der die Menschen aufmerken lässt. Kann man es aber mit dem schönen Begriff des Eigentums und zwar mit dem des geistigen Eigentums verbinden und wird dieser dann als Rechtsbegriff in einem Gesetz lebendig, dann ändert sich die Wahrnehmung. So trägt die Urheberrechtsnovelle von 1985 jenen wunderbaren Untertitel, dass dies ein Gesetz zur Förderung des geistigen Eigentums ist. Dies ist ein Begriff, der Bewusstsein schafft.
Geißler: In die 16 Jahre Ihrer Amtszeit fällt die deutsche Wiedervereinigung. Es gibt – etwas frei zitiert – den Satz eines ehemaligen deutschen Bundespräsidenten: „Die Wiedervereinigung ist besonders gut bei der GEMA gelungen.“ Wie schafften Sie es, diese komplizierte Zusammenführung so lautlos, so konfliktarm – zumindest ist hier nichts nach außen gedrungen – über die Bühne zu bringen?
Kreile: Dies konnte uns deshalb gelingen, weil wir von der ersten Stunde der Wiedervereinigung an wussten, dass die Komponisten, welche in der bisherigen DDR gelebt hatten, bereits im weiteren Sinne GEMA-Mitglieder waren. Das war der Fall, weil die GEMA mit der DDR-Verwertungsgesellschaft – denn eine solche gab es natürlich auch dort – einen Gegenseitigkeitsvertrag geschlossen hatte und in diesem Gegenseitigkeitsvertrag vertrat jede Verwertungsgesellschaft auch die Komponisten und Textdichter der anderen Verwertungsgesellschaft.
Wir stellten sehr darauf ab, dass wir keine nachträgliche Fusion mit der dortigen Verwertungsgesellschaft, die ja zum staatlichen Bereich des DDR-Kultusministeriums gehört hatte, eingingen. Dies wollten und konnten wir nicht. Aber zu jedem einzelnen Mitglied konnten wir sofort sagen: „Du bist jetzt GEMA-Mitglied, und die ganze Zeit vorher rechnen wir dir so an, als wenn du GEMA-Mitglied gewesen wärst.“
Geißler: Eine Wiedervereinigung auf gleicher Augenhöhe also, eine Wiedervereinigung in einer menschlichen Parität?
Kreile: Ja, das war das Wesentliche. Gerade wenn man sich an diese Monate der Wiedervereinigung erinnert, an eine Zeit, in welcher der Fusionsgedanke, von dem ich eben sprach, auch im staatlichen Bereich auf einmal auftauchte: Doch es wurde das paritätische Modell des Beitritts einer Vereinigung zu einer bereits bestehenden bewährten Vereinigung sowohl im politischen als auch bei uns im musikalischen Bereich zum sehr erfolgreichen Modell. Bei der GEMA konnte dieser Vorgang deshalb so reibungslos funktionieren, weil die westdeutschen Komponisten, Textdichter und Verleger im Aufsichtsrat der GEMA diese Grundhaltung sofort einnahmen.
Geißler: In Ihre Amtszeit fiel auch die technische Revolution des letzten und auch dieses Jahrhunderts schlechthin, nämlich die Einführung des Internets: ein technisches Konzept, welches die Ausgangssituation für Urheber wie für Verleger dramatisch veränderte und auch in Zukunft dramatisch verändern wird. Sie waren als Chef der Verwertungsgesellschaft GEMA konfrontiert mit dem immer stärker wachsenden Netz an Datenautobahnen, ja mehr oder weniger im Zugzwang, auf diese technische Herausforderung zu reagieren oder ihr überhaupt erst einmal ein neues Urheberrechtsbewusstsein einzuflößen.
Kreile: In der Tat ist die digitale Revolution eine Revolution ähnlich nur der Erfindung und Einführung der Dampfmaschine. Nur: Damit ändert sich das geistige Eigentum und auch das Urheberrecht nicht! Es ändert sich möglicherweise etwas in der Handhabung. Wenn ich allerdings dann von sonst durchaus gescheiten Professoren in Amerika höre, dass nunmehr das Urheberrecht nicht mehr das Entscheidende sei, sondern dass eine neue digitale Rechtsordnung alles andere überwölbe, dann muss ich sagen: Es ist genau umgekehrt. Das Recht des geistigen Eigentums bleibt bestehen. Es bedarf zunächst einmal eines schöpferischen Geistes, ein Kunstwerk, ein Musikwerk zu schaffen. Und dann geht es darum, wie dieses Musikwerk dem Hörer nahe gebracht wird. Es geht also darum, wie die Musik genutzt oder gehört wird. Und genau diese Grundarten der Nutzung von Musik haben sich grundlegend geändert und werden sich auch in Zukunft noch grundlegend ändern. Aber das Urheberrecht bleibt genau das Gleiche.
Der Bundesgerichtshof hat dies bisher in jeder Phase, die er zu beurteilen hatte, sehr schön gesagt: dass jegliche Nutzung eines Werkes einen neuen Vergütungsanspruch nach sich zieht, dass also der Urheber an jeder Nutzung angemessen beteiligt sein muss. Und da ist es zunächst völlig gleichgültig, ob die Benutzung in den bisherigen Formen geschieht oder ob man die Transportwege über das Internet gestaltet. Es wird natürlich in Zukunft sehr schwierig sein, denjenigen zu finden, der die Musik nutzt und dafür eben auch die urheberrechtliche Vergütung bezahlen muss. Aber das ist eine Aufgabe, für welche die Juristen durchaus gewappnet sind.
Geißler: Einen Moment schien es so, als sei mit dem Aufkommen des Internets eine Art rechtsfreier Raum entstanden. Die Web-Gründerjahre brachten Firmen zum Blühen und auch sehr schnell wieder zum Zusammenbrechen. Aber es taten sich schlaue Köpfe – die vielleicht nicht schlau genug waren – zusammen und überschritten die Grenzen jeglicher Legalität. Sie haben versucht, geistiges Eigentum zum Allgemeingut zu machen. Die Idee der Public Domain kreist da noch immer durchs mentale Gebälk. Zeichnet sich ab, dass die Urheberrechts-, die Verwertungsgesellschaften, dass die GEMA jetzt Mittel und Wege gefunden haben, eine faire Abrechnung der Nutzung durchzusetzen?
Kreile: Es wäre wohl der Optimismus zu weit getrieben, wollte man sagen, dass die Möglichkeit und die Leichtigkeit, sich im digitalen Bereich gesetzwidrig zu verhalten, völlig aufgehoben und jedes Umgehen des Gesetzes verhindert werden kann. Dies wird nicht der Fall sein. Wer mit der digitalen Technik betrügen will, der wird Mittel und Wege finden. Aber es beginnt jetzt die Einsicht, dass dieses tatsächlich nahe am Diebstahl ist – wobei ich sage: Es ist Diebstahl! Denn der Schöpfer von Musik ist ja , um den biblischen Ausdruck zu verwenden, ein Arbeiter, der im Weinberg des Herrn seinen Lohn verdient. Und um diesen Lohn wird er hier gebracht. Dies in der Rechtsordnung immer wieder deutlich zu machen, ist eine der wesentlichen Aufgaben der Verwertungsgesellschaften, und der kommen sie ganz nachhaltig nach, nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt.
Wert des geistigen Eigentums
Geißler: Der Wert des geistigen Eigentums – und das ist ein Verdienst Ihrer Arbeit – stieg im Verhältnis zur Immobilie drastisch. Es ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ein Bewusstsein dafür entstanden, dass die Kreation ein Wert ist. Es ist ja bezeichnend, dass zur gleichen Zeit, als die Tauschbörsen hochkochten, als Datenaustausch und Filesharing aufkamen, die Absätze der konventionellen Majors der Plattenfirmen einbrachen. Die IFPI versuchte im Zuge dessen ganz drastisch, die Entlohnung der Kreativen via GEMA zu drücken. Da begannen Sie einen Kampf – denn wenn man einen Wert erhalten will, muss man augenscheinlich kämpfen –, den Sie letztendlich gewannen.
Kreile: Dieser Kampf wurde in der Tat zu einem sehr positiven, möchte sagen, siegreichen Ende gebracht. Die Tonträgerindustrie dachte im Jahr 2000 auf einmal, eines der Grundprinzipien der urheberrechtlichen Vergütung in Frage stellen zu müssen, nämlich das Prinzip, dass der Urheber prozentual zu beteiligen ist. Im Urheberrechtsgesetz steht hierzu, dass der Urheber „angemessen“ an den Vergütungen, welche mit seinem Werk erzielt werden, zu beteiligen ist. Diese Beteiligung sollte nach dem Vorhaben der Tonträgerindustrie von neun auf etwa fünf Prozent gedrückt werden. Zunächst einmal, zumindest bis zu dem siegreichen Ende, hat die Industrie eben nicht begriffen, dass die Form der prozentualen Beteiligung sowohl ein Aufsteigen wie ja auch einen Niedergang des Marktes berücksichtigt.
Über diese Frage führten wir zwei grundsätzliche Verfahren, zum einen beim Oberlandesgericht München, zum anderen bei der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt. Dort gaben uns die gerichtlichen Spruchkörper völlig Recht, dass diese prozentuale Beteiligung die richti-ge Beteiligung ist. Dabei nahm die Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt besonders nachdrücklich dazu Stellung, was die Angemessenheit einer Beteiligung ist. Und laut einer solchen Angemessenheitsregelung beträgt die Beteiligung etwas mehr als neun Prozent vom Herstellerabgabepreis.
Das war eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung zwischen der Verwertungsgesellschaft GEMA und der Tonträgerindustrie, und dies gerade deshalb, weil es um die philosophische Grundsatzfrage ging, was unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit angemessen ist und wie man diese Angemessenheit bemisst. Ich habe den Eindruck, dass nunmehr ein Frieden eingekehrt ist, ein Frieden durch eine Rechtsstreitentscheidung. Ich hoffe, zusammen mit meinen Nachfolgern, aber auch mit den Verantwortlichen und deren Nachfolgern bei der IFPI, dass der Frieden auf einer solchen Basis lange erhalten bleibt.
Internationaler Verbund
Geißler: Sie waren auch acht Jahre lang Präsident der CISAC. Die CISAC ist der große internationale Verbund der Verwertungsgesellschaften, innerhalb dessen es an verschiedenen Stellen unterschiedliche Fliehkräfte gab und gibt. Und es ist mit Sicherheit auch Ihr Verdienst, dass dieser Verbund noch existiert. Die Gefährdung der CISAC wird unter verschiedenen Aspekten jedoch immer größer. Auf der einen Seite haben wir mit GATS einen sehr starken Trend zur kompletten Durchkommerzialisierung all solcher Unternehmungen. Und auch in der EU gibt es die Bestrebung, den Wettbewerb zu stärken. Die gute Partnerschaft, die mit der SACEM und mit anderen Verwertungsgesellschaften besteht, wird möglicherweise in ein Konkurrenzverhältnis zwangsverordnet. So etwas steht doch als Menetekel an der Wand?
Kreile: Ja, aber einem Menetekel, das an der Wand steht und welches man rechtzeitig liest, dem kann man auch rechtzeitig beikommen. Und es ist die Aufgabe der Verwertungsgesellschaften in den nächsten fünf Jahren, diese menetekelhaften Hinweise so zu gestalten, dass es keine Entwicklung zu Lasten der Urheber sein wird.
Kürzlich traf ich in einer Diskussion mit den zuständigen Beamten der EU-Kommission zusammen, die durchaus durchdrungen sind von dem Vorhaben, die Prinzipien des freien ungehinderten Wettbewerbs des römischen EU-Vertrags auf allen Gebieten umzusetzen, auch auf dem weiten Feld der Kultur. Dies ist der Hintergrund der Forderung, dass man die Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften brechen und den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften ankurbeln müsse.
Doch zu einem „Ankurbeln“ brauchen die Verwertungsgesellschaften nicht die EG-Kommission – dies tun sie kontinuierlich für ihre Komponisten und Autoren ganz selbstständig. Diese EG-Hilfe braucht die GEMA nicht. Doch füge ich in Gesprächen in Brüssel dann nachdrücklich hinzu: Wenn dies, was sich die Beamten der Kommission vorstellen, wirklich geschieht, dann führt dies zu einer Stärkung der GEMA und zu einer Schwächung sehr vieler anderer kleinerer Verwertungsgesellschaften. Aber die Verwertungsgesellschaften in den kleineren Ländern sind ebenfalls notwendig, sie sind für den kulturellen Humus, in welchem Komponisten leben müssen, damit sie ihr Werk schaffen können, von größter Bedeutung. Dieses Argument hat den zuständigen Beamten, wie ich meine und wie ich sogar inständig hoffe, ein wenig nachdenklich gemacht.
Es kann ja nicht die Aufgabe der EU sein, die GEMA – ohnehin die größte Verwertungsgesellschaft in Europa – noch größer und noch stärker zu machen. Dies hat nur dann einen Sinn, wenn der einzelne Autor damit eine größere, zutreffendere Vergütung bekommt. Wenn aber die Verwertungsgesellschaften, um sich im Wettbewerb zu behaupten, niedrigere Tarife ansetzen – denn dies muss ein Wettbewerbspunkt sein – und eine Gesellschaft sagt dann: „Der Preis entscheidet“ – dann wird am Markt derjenige gewinnen, der den niedrigsten Preis macht. Dieses wollen wir nicht. Und dafür werden wir in den nächsten Jahren nachdrücklich kämpfen.
Aber Verwertungsgesellschaften sind lebendige Organisationen. Man wird künftig auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen müssen. Wenn uns entgegengehalten wird, es sei im Online-Bereich ein unerträglicher Zustand, dass ein Provider, der Musik online verschickt, bei 25 Verwertungsgesellschaften, nämlich für das jeweils einzelne Land, die Lizenz einholen muss, kann ich dazu nur sagen: Das ist eine Verdrehung der Realität. Die Lizenzen müssen zwar für 25 europäische Länder eingeholt werden, aber die Verwertungsgesellschaften verständigen sich ohnehin, dass dies gemeinsam erfolgen kann. Wir müssen daher darauf Wert legen, dass in den 25 verschiedenen Staaten, wo unterschiedliche wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse herrschen, die Vergütungen zu den jeweiligen dort gültigen Tarifen eingeholt werden. Dieses können die Verwertungsgesellschaften hervorragend untereinander selbst organisieren. Dazu brauchen sie die Hilfe – andere sagen die Drohung, ich spreche trotzdem von Hilfe – der EG-Kommission nicht.
Geißler: Dies bringt mich auf den Unterschied zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Urheberrechtsverständnis. Man kann feststellen, dass im Rahmen des Zusammenwachsens vieler Konzerne amerikanische Verfahrensweisen immer stärker nach Deutschland greifen. Eine ganze Reihe von privaten Fernsehsendern, zunehmend aber auch die Töchter unserer als Horte der Kultur gepriesenen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten befleißigen sich inzwischen dessen, was man Zwangsinverlagnahme nennen könnte. Sie lassen für ihre Serien nur noch nach dem kompletten Rechte-Buy-out-System komponieren. Dies sind Taktiken, die dazu dienen könnten, die gewachsene Struktur unserer Vergütung der geistigen Leistung auszuhöhlen. Sehen Sie das als eine Bedrohung?
Kreile: Es gibt eine ganze Reihe unserer Komponisten, die vor die Situation gestellt werden, dass sie einen Fernsehauftrag, den ein Verlag vermit telt, nur dann bekommen, wenn sie diesem Verlag die Rechte übertragen. Wenn diese Verlage von den Fernsehgesellschaften unabhängig sind, so ist dies ein Vorgang, der jetzt schon seit langer Zeit durchaus üblich ist. Denn man gibt auf freiwilliger Verhandlungsbasis einem Verlag, der einen ins Gespräch bringt, dann auch die Verlagsrechte. Wenn dies allerdings zu einer so genannten Zwangsinverlagnahme führt, ist das sicherlich ein Thema, mit welchem sich das Kartellamt einmal wird beschäftigen müssen, nämlich mit der Frage, ob solche Koppelungsgeschäfte den Grundsätzen eines fairen Wettbewerbs entsprechen. Da gibt es sehr starke Bedenken.
Geißler: Unserer Gesellschaft wird von ihren Intellektuellen, von manchen zumindest, immer wieder vorgeworfen, sie befände sich im Zustand einer zunehmenden kulturellen Trivialisierung. Nun hat die GEMA als eine der wenigen Urheberrechtsgesellschaften, die sich überhaupt darum kümmern, einen eigenen Kulturfonds. Wie wichtig ist der Blick auf das Mitgestalten im kulturellen Bereich für die GEMA?
Kreile: Die Verwertungsgesellschaften untereinander haben im CISAC-Gegenseitigkeitsvertrag die Vereinbarung getroffen, dass sie von ihren Einnahmen in den Aufführungs- und Sendebereichen einen bestimmten Betrag abziehen und diesen Betrag für soziale und kulturelle Zwecke verwenden können. Dies ist in Deutschland so, es ist in Frankreich so wie auch in fast jedem anderen europäischen Land – wie so oft, ist es in England ein bisschen anders, aber die Zielrichtung ist ähnlich. Wir, die GEMA, haben zur Stützung der sozialen und kulturellen Zwecke der Musik ein sehr ausgeklügeltes System, das so genannte Wertungs- und Schätzungsverfahren, und wir haben die Sozialkasse der GEMA.
Geißler: Wo sehen Sie Ihre Aufgaben in diesem kulturellen Bereich? Bedeutet es auch, dass man den Boden mitdüngt oder behutsam mitpflegt, auf dem ein Musikverständnis, ein Musikgeschmack entsteht? Und ist das auch etwas, was in Ihren Aufgabenbereich gehört?
Kreile: Das ist eine sehr schwierige Frage. Denn eigentlich könnte ich diese Frage nun wunderbar mit „Ja“ beantworten und sagen: „Ja, natürlich ist es die Aufgabe der GEMA, auch diesen Boden mitzubereiten.“ Denn das tut die GEMA ja auch wirklich. Aber dies kann sie nur in einem ganz bestimmten Maß tun, wobei das Maß dadurch definiert ist, dass die GEMA die Treuhänderin der wirtschaftlichen Interessen ihrer Autoren ist. Alles, was die GEMA einnimmt, ist Geld für den einzelnen Rechteinhaber, dessen Werk aufgeführt wird. Aber der Verteilungsplan der GEMA sieht hier durchaus auch vor, bestimmte kulturelle Aspekte und auch Ausbildungsaspekte zu fördern. Dies kann jedoch nur in einem ganz bestimmten wirtschaftlich vertretbaren Rahmen funktionieren.
Geißler: Herr Kreile, Sie hatten über all die Jahre einen guten Draht zu Ihren Kollegen im Bundestag. Es wurde in den Jahrzehnten zuvor – man kann es ruhig so sagen – für den Bereich der Urheber gesetzgeberisch nie so viel getan wie in den letzten zehn Jahren. Können Sie ein kleines Fazit ziehen und damit einhergehend vielleicht noch beschreiben, was auf uns zukommen wird?
Kreile: Das Fazit wurde im derzeitigen urheberrechtlichen Bereich sozusagen gezogen durch eine Richtlinie der EU-Kommission über das Urheberrecht in der neuen Informationsgesellschaft. Diese Richtlinie beschreibt, wie das Urheberrecht sich darauf einstellen soll, wie das Digitale, eben die gesamten neuen Transportformen der Musiknutzung, überhaupt bewältigt werden kann. Ich hätte es sehr gewünscht, dass diese Richtlinie ein wenig mehr unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Urhebers als unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Verbrauchers, des Nutzers gestanden wäre. Und es ist auch sehr interessant, in diesem Zusammenhang den entsprechenden Inhalt des derzeitigen Koalitionspapieres zu betrachten. Dort steht, dass Rechtspolitik ihren wesentlichen Kern in der Verbraucherschutzpolitik hat. An sich habe ich hier nichts dagegen einzuwenden, denn der Urheber ist ja in diesem Sinne auch ein Verbraucher. Wenn jedoch der Urheber gegenüber dem Verbraucher, nämlich dem Nutzer seiner Musik, geschwächt werden sollte, dann ist nachdrücklich auf den zweiten Satz in der Koalitionsvereinbarung hinzuweisen, der für mich sehr wichtig ist, dass der Schutz des geistigen Eigentums auch in der neuen digitalen Informationsgesellschaft gefördert werden muss. Das ist zugegebenermaßen ein gewisser Antagonismus: Man will auf der einen Seite durchaus den Schutz des geistigen Eigentums, man will auf der anderen Seite auch den Schutz des Nutzers. Hier gibt es seit nunmehr nahezu zwei Jahren den großen Streit darüber, wie der Grundgedanke der europäischen Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
Im Wesentlichen geht es hier um die private Vervielfältigung, die seit 1965 erlaubt ist – bis dahin war sie ohne Zustimmung des Rechteinhabers nicht erlaubt – und die man gleichzeitig, da man ja wusste, dass man damit in das Eigentumsrecht des Urhebers eingriff, vergütungspflichtig machte. Diese Vergütungspflicht wurde den Herstellern von Geräten zur privaten Vervielfältigung oder den Herstellern von Bild- und Tonträgern auferlegt. Nun kommt aber der große Bereich der Geräteindustrie sowie der Bild- und Tonträgerindustrie und sagt, die Welt habe sich seit 1965 völlig verändert. Wenn man schon bereit sei, die private Vervielfältigung zu erlauben – die Industrie ist ja eigentlich nach wie vor dagegen –, dann sollten keineswegs mehr die Pauschalvergütungen wie bisher gelten, sondern man könne, da man in der Lage ist, jeden digitalen Abruf an sich nachzuvollziehen und zu verfolgen, eine individuelle Vergütungsabrechnung ansetzen. Dieser zunächst verblüffende Gedanke, der ja technisch gesehen nicht so falsch ist, führt gleichwohl in die Irre. Aber jeder, der diesen Gedanken vorbringt, weiß, dass er praktisch nicht umsetzbar ist. Schon seit zwei Jahren ist dieser ganze Bereich und die Frage des Umgangs damit Gegenstand einer eminenten Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzung führte im Bundesjustizministerium zu einem Gesetzesvorschlag, dem so genannten „Korb II“. Zu dem Kernproblem wird dort gesagt, dass es beim Gestatten der privaten Vervielfältigung bleibt. Ebenso bleibt es dabei, dass der Schutz des Urhebers gewährleistet sein muss, weil ja erkannt wird, dass das private Vervielfältigen und das Gestatten dessen ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Urhebers ist.
Zum dritten Punkt: Im Zusammenhang mit der Erlaubnis der privaten Vervielfältigung, der Vergütungspflicht der verschiedenen Geräte oder Trägermaterialien bemerkt aber jener Gesetzesentwurf des Justizministeriums, dass zunächst einmal zwischen den Betroffenen, also der Industrie und der GEMA oder den anderen Verwertungsgesellschaften, versucht werden soll, die Vergütungen auszuhandeln. Nur dann, wenn dieses Aushandeln nicht gelingen wird – und ich habe die größten Zweifel, ob dieses Aushandeln je gelingt – soll ein Schiedsverfahren bei der Schiedsstelle des deutschen Patentamts eingesetzt werden, um eine angemessene Vergütung zu finden. Ich finde, dass dieser Grundgedanke so falsch nicht ist, und man sollte diesen Gedanken auch umsetzen. Allerdings sollte dabei der Gesetzgeber den Rahmen für eine solche Vergütung präzise abstecken. Es muss insbesondere bedacht werden, dass, wenn die Geräte- und Trägermaterial-Industrie auf einmal Geräte herstellt, welche sehr preisgünstig sind, es trotzdem zu einer angemessenen Vergütung kommen muss. Es hat für den Urheber keinen Sinn, eine Fünf-Prozent-Deckelungsregel vom Verkaufspreis einzuführen. Denn auch Billiggeräte können selbstverständlich die gesamte Fülle des musikalischen Materials vervielfältigen. Der Streit um eine Mindestvergütung für das schöpferische Werk ist deswegen von grundsätzlicher Bedeutung.
Aber ich meine, dass dieser Streit in den nächsten anderthalb Jahren wirklich durchgefochten sein wird, und ich ermuntere das Justizministerium sehr, den jetzigen Gesetzesentwurf zügig umzusetzen.
Geißler: Das heißt, in den nächsten anderthalb Jahren haben Sie eigentlich noch einen Vollzeitjob. Ich vermute, die GEMA ist froh darüber, so einen Wissensträger in ihren Reihen zu haben.
Kreile: Wissen Sie, ein kluger Vorstandsvorsitzender, der in Pension geht, wird wohl den Grundsatz berücksichtigen, dass man nur dann, wenn man gefragt wird, einen Rat geben sollte.