neue musikzeitung: Theo Brandmüller, worum geht es bei der Saarbrücker Kompositionswerkstatt?
Theo Brandmüller: Ich hatte die Idee, dass bei wirklich talentierten Leuten als Abschluss eines Kompositionsstudiums ein Orchesterstück stehen sollte. Das führt im Alltag aber oft zu einem Problem, denn die Hochschulorchester sind dazu in der Regel nicht willens und auch nicht in der Lage, diese Dinge in zeitaufwändiger Form zu proben, geschweige denn aufzuführen. Die Idee kam damals im Gespräch mit Frau Dr. Tomek vom Saarländischen Rundfunk auf. Wir wollten einen Wettbewerb ins Leben rufen, bei dem jungen talentierten Komponisten und Komponistinnen die Möglichkeit gegeben werden sollte, ihre Orchesterarbeiten zur Aufführung zu bringen. Und diese Idee ist, wie ich sagen kann, eingeschlagen.
neue musikzeitung: Dieses Projekt „Komponistenwerkstatt“ gibt es seit über zehn Jahren. Wer kann sich denn bewerben?
Brandmüller: Bewerben können sich prinzipiell Kompositionsstudenten, die am Ende ihres Studiums stehen oder es seit ein, zwei Semestern abgeschlossen haben. Wir wollen keine gestandenen, arrivierten Komponisten ansprechen, sondern solche, die am Beginn ihrer Karriere stehen und denen möglicherweise ein solcher Einschwingvorgang – so nenne ich es mal –, nämlich die Realisation eines komplexen Orchesterapparates, auch für ihre weitere Karriere hilft.
neue musikzeitung: Die Ausschreibung richtet sich an Absolventen deutscher Hochschulen. Gibt es irgendwelche Einschränkungen, was die Herkunft der Komponisten betrifft?
Brandmüller: Nein, im Gegenteil. Wir haben die Ansprechpartner sogar erweitert, auf mein Betreiben hin. Wir schreiben jetzt für ‚deutschsprachige‘ Hochschulen aus, das heißt, wir wenden uns auch an Komponisten in Österreich und in der Schweiz. Warum nicht europaweit? Das hat die Bewandtnis, dass ich die ausländische Musikhochschulszene in Bezug auf eine Realisation von Orchesterwerken nicht genug kenne und auch nicht weiß, ob es da irgendwelche Bedürfnislagen gibt. Zum anderen wollten wir erst einmal für die Leute, für die wir verantwortlich sind, Möglichkeiten schaffen. Natürlich sind unter den Bewerbern zum großen Teil auch ausländische Studierende, die an deutschen Hochschulen ihr Studium aufgenommen haben. Eigentlich sind wir international.
neue musikzeitung: Träger sind die Hochschule für Musik Saar und der Saarländische Rundfunk, der sein Orchester zur Verfügung stellt …
Brandmüller: … und das alles unter dem Dach von Netzwerk Musik Saar, das Projekte mit Neuer Musik institutsübergreifend fördert.
neue musikzeitung: Was reicht man ein, wie wird ausgewählt, wer ist in der Jury?
Brandmüller: Wir rufen auf, ein zirka 15-minütiges Werk zu schreiben, das den Bedingungen des großen Sendesaals des SR und der Stammbesetzung des Orchesters genügt. Selbstverständlich gibt es eine Jury und wir haben uns immer sehr viel Mühe gegeben, die Jury unter folgenden Aspekten zu sehen: wir wollten einen Teil Stammjury, also Leute, die immer da sind, um die Vergleichbarkeit der Werkstatt zu garantieren. Wir wollten auch die Nähe zu Frankreich betonen. Deswegen hatten wir immer Gilbert Amy, einen der wichtigsten Komponisten Frankreichs, mit an Bord. Dazu kamen Vertreter deutschsprachiger Hochschulen, ansonsten erfahrene Komponisten, die auch Erfahrung als Kompositionslehrer haben. Um das mit Namen zu unterstreichen: Wir hatten Toshio Hosokawa aus Tokio, wir hatten Beat Furrer aus Graz, Manfred Trojahn aus Düsseldorf, Detlev Müller-Siemens aus Basel, aus Luxemburg Claude Lenners, aus Metz Claude Lefebvre, Hanspeter Kyburz aus Berlin, Younghi Pagh-Paan aus Bremen.
neue musikzeitung: Zu der Jury stößt dann der Chefdirigent des RSO.
Brandmüller: Richtig, der jeweilige Chefdirigent, das war schon zu Michael Sterns Zeiten so; dann natürlich Herr Herbig, und jetzt hoffen wir auch auf Christoph Poppen. Dazu kommt meine Wenigkeit als Initiator, Kompositionslehrer und Komponist.
neue musikzeitung: Der Dirigent des Projektes ist nicht notwendigerweise der Chefdirigent des RSO?
Brandmüller: Das hat sich noch nicht so ergeben. Beim ersten Mal kam ein Vorschlag von Frau Dr. Tomek, Konstantia Gourzi diese Arbeitsphase anzuvertrauen. Sie hat das gut gemacht. Dann kam Andrea Pestalozza aus Genua und danach stellte sich eine mehrjährige Zusammenarbeit mit Professor Manfred Schreier ein, der ein sehr kompetenter Dirigent und ebenso ein Kenner der Neuen Musik ist und der auch intensiv bei der Seminararbeit mitmacht. Die Seminararbeit ist ja ganz zentral bei diesem Projekt. Deshalb heißt es auch Werkstatt. Es gibt das Nacharbeiten der Partituren auch nach den Proben mit den Bändern, die wir gemeinsam abhören, es gibt immer ein ästhetisches Diskutieren. Man kann die Werkstatt fast als ein verkapptes Minikompositionsstudium bezeichnen.
neue musikzeitung: Heißt das, dass Komponisten während der Probephase ihre Stücke auch noch ändern können?
Brandmüller: Ja, seitdem ich vor 30 Jahren über Debussy gelesen habe, dass er immer noch viel geändert hat, sage ich den Komponisten heute: Habt keine Scheu, auch bis zur Generalprobe noch Dinge zu ändern, um eure Stücke optimal zu realisieren. Das Orchestrieren braucht eine Lebenserfahrung, und wer 20 ist, hat diese Erfahrung noch nicht wie ein 60-Jähriger. Durch dieses Feedback mit den Instrumentalisten, aber auch durch das Hören der Aufnahme und durch die Ratschläge der Betreuer haben sich immer noch kleine Dinge verändert zugunsten einer strukturellen Verdichtung oder einer Aufhellung von Texturen.
neue musikzeitung: Wie partizipiert denn eigentlich das Publikum an dieser Arbeit?
Brandmüller: Die Idee ist natürlich, das Ergebnis einem Publikum im Konzert vorzustellen. Wir haben auch schon Publikum in die Generalprobe eingeladen. Manfred Schreier hat auch immer wieder die Stücke im Konzert angespielt und mit dem Komponisten zusammen auf der Bühne Dinge erklärt. Und es hat sich immer gezeigt, dass, wenn ein junger Komponist vor dem Publikum steht, sich ein Sympathikus regt, und schnell entstand immer eine gute Stimmung, eine Atmosphäre des Gewogenseins.
neue musikzeitung: Wer sind denn die Gewinner gewesen in den vergangenen zehn Jahren? Gibt es denn Leute, die man schon kennt?
Brandmüller: Ich glaube, man darf sagen, dass die Saarbrücker Komponistenwerkstatt der Einschwingvorgang von sich abzeichnenden Karrieren gewesen ist. Ich habe in der Jury der Studienstiftung des deutschen Volkes diese Namen immer wieder gelesen. Und wenn ich mal einige so Revue passieren lasse … Da gab es Jörn Arnecke, der anschließend von der Hamburgischen Staatsoper einen Opernauftrag bekommen hat, oder Steingrimur Rohloff, der den Bernd-Alois-Zimmermann-Preis bekam, Minas Borboudakis, der in München arbeitet, Gordon Kampe, der verschiedentlich ausgezeichnet wurde, Anno Schreier, der einen Opernauftrag für die Stadt Mainz bekam, oder Michael Langemann, der jetzt bei Tristan Murail in New York studiert. Außerdem sind zwei Schüler von mir dabei; eine, die geradezu mit Preisen überhäuft wird im Moment, Karola Obermüller, und Lin Wang, die ähnlich erfolgreich ist. Das kann sich schon sehen lassen.
neue musikzeitung: Wann findet die nächste Werkstatt statt?
Brandmüller: Voraussichtlich im Jahre 2009. Die Deadline für die Einsendung steht noch nicht fest. Man kann sich aber über die Saarbrücker Musikhochschule, das Netzwerk Musik Saar oder den Saarländischen Rundfunk informieren. Die Handzettel schicke ich früh genug an alle Kompositionslehrer, so dass die Informationen direkt an die richtigen Adressen kommen.