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Winrich Hopp: Foto: Lucie Jansch
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Ein klares Statement für die Orchester

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Winrich Hopp im Gespräch über die zehnte Ausgabe des Musikfests Berlin
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Das Musikfest Berlin ist ein Orchesterfestival, das von den Berliner Festspielen alljährlich in der Berliner Philharmonie Anfang September veranstaltet wird. Das Festival wurde erstmals 2005 präsentiert, 2006 übernahm Winrich Hopp die Festivalleitung, 2007 folgte sein erstes Programm. In diesem Jahr besteht das Musikfest Berlin in seinem zehnten Jahr. Die neue musikzeitung sprach mit Winrich Hopp über Funktion und Bedeutung des Festivals.

neue musikzeitung: Wie kam es zur Gründung des Musikfest Berlin?

Winrich Hopp: Die Berliner Festspiele, die vormals die sogenannten Berliner Festwochen veranstalteten, stellten nach dem Millennium ihr Veranstaltungsprofil neu auf. An die Stelle der Berliner Festwochen trat eine ganze Familie von verschiedenen Fes-tivals über die laufende Saison. Der Kern der Berliner Festwochen war ein großer Reigen von Konzerten mit Gastorchestern und den in (West-)Berlin ansässigen Ensembles, der zugleich die neue Konzertsaison eröffnete. Mit dem neuen Veranstaltungsprofil fiel – aus vielerlei Gründen, die gar nicht so sehr bei den Berliner Festspielen selbst lagen – diese traditionsreiche Saisoneröffnung zunächst weg. Man hat das sehr bald als ein ziemlich problematisches Manko empfunden. Auf Initiative der damaligen Kulturstaatsministerin Christina Weiss setzten sich die Berliner Festspiele und die Stiftung Berliner Philharmoniker an einen Tisch und gründeten ein neues  Festivalformat für die Orchesterkonzerte. Seither wird das Musikfest Berlin von den Berliner Festspielen in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker veranstaltet.

nmz: Das Musikfest Berlin steht also in Kontinuität zu den früheren Festwochen?

Hopp: Ja, durchaus. Neu allerdings ist die kondensierte Präsentation von Orchesterkonzerten in einem Zeitraum von rund zweieinhalb Wochen, die eine konzise Programmarbeit möglich macht: Die Orchester ziehen an einem Strang. Aus dem früheren Festwochen-„Beitrag“ ist inzwischen ein deutliches „Statement“ für die Institution „Orchester“ geworden, finanziert aus Mitteln der Bundesregierung. Klarer kann die Botschaft nicht sein.

nmz: Können Sie Funktion und Aufgabe des Musikfest Berlin näher umreißen?

Hopp: Berlin hat – wie übrigens London auch – eine Reihe großartiger Orchester vor Ort. Zusammen mit ihnen zeigt sich die Stadt beim Musikfest Berlin von ihrer gastfreundlichen Seite. Denn wer in die weite Welt eingeladen und von ihr wahrgenommen werden möchte, wer die Gastfreundschaft anderer genießen will, muss selbst gastgebend sein. Außerdem ist Berlin Hauptstadt eines Landes, das international für seine einzigartige Orches-terlandschaft gerühmt wird. Und so präsentiert das Musikfest Berlin auch die aus den Bundesländern stammenden Orchester und die Ensembles, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk getragen werden.

nmz: Wie sehen Sie das Musikfest Berlin im internationalen Kontext der Musikfestivals?

Hopp: Das Musikfest Berlin ist Bestandteil dieses Kontextes. Denn Gastkonzerte von Orchestern lassen sich kaum exklusiv realisieren. Das geht nur im Kontext von Tourneen. Festivals tragen hier eine ungeheure Verantwortung. Denn sie müssen in sowohl finanzieller wie auch zeitlicher Hinsicht eine verlässliche Größe sein, damit dieser internationale Austausch überhaupt möglich ist. Gesellschaftlich jedoch „tickt“ das Musikfest Berlin notwendig anders als beispielsweise Salzburg oder Luzern. Denn das sind Sommerfestivals, eingelassen in die Ferienzeit und eine pittoreske Landschaft. Man ist in der schönen Provinz, derweil die Metropole Berlin in den großen sommerlichen Mittagsschlaf verfallen ist. Mit dem Saisonstart aber erwacht wieder das urbane Leben. Die Schule beginnt, das Berufsleben, und die Kunst- und Kulturinstitutionen werfen ihre Motoren an. Das Musikfest Berlin steht in einer agonalen Beziehung zu den anderen Künsten und Veranstaltungen in Berlin. Gehe ich ins Kino, ins Theater oder zu einer Ausstellungseröffnung oder zum Musikfest? Die Entscheidung, nach Berlin zu reisen, ist genau durch diese Vielfalt der Stadt motiviert. Man reist wegen dieses vielfältigen Kulturangebotes nach Berlin. Das Musikfest Berlin ist Teil dieser urbanen Vielfalt und muss sich darin behaupten, ebenso die Musik gegenüber ihren Schwesterkünsten.

nmz: Sie haben die Musikfest-Berlin-Programme für die musikalische Moderne und Avantgarde geöffnet.

Hopp: Ja, das ist sehr wichtig. Künstlerisch gesehen, wird die Zukunft des Orchesters von den Werken der Komponisten entworfen. Sie eröffnen die Perspektiven.

Dennoch ist das Musikfest Berlin kein Format des Experiments. Das Experiment enthält wesentlich die kalkulierte Möglichkeit des Unkalkulierbaren. Das aber verträgt sich nicht mit einer Orchestermaschine, die mit mehr als hundert Musikern aufwartet, mit einer Veranstaltung in einem Saal, der bis zu 2.400 Leute fasst, und deren Tickets zwischen 20 und 130 Euro kos-ten. Das heißt nicht, dass ich mir die Lust an der riskanten Programmarbeit versagen würde, nur hat das Musikfest Berlin ganz klar eine Funktion gesellschaftlicher Repräsentation.

Werke der Gegenwartsmusik, die im Rahmen des Musikfest Berlin aufgeführt werden, werden unweigerlich auf einen wie auch immer gearteten Wertekanon klassischer Musik bezogen. Das ist eine Herausforderung. Jedoch sind Festivals, die – wie die MaerzMusik der Berliner Festspiele – emphatisch auf experimentelle Musik ausgerichtet sind, bei denen die „Tradition“ nicht wie ein Riese vor oder hinter einem steht und die eine repräsentationsentlastete Rezeption ermöglichen, gleichermaßen bedeutsam.

Interview: Andreas Kolb

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