Vom 3. bis 11. Juni findet in Hannover der Deutsche Chorwettbewerb (DCW) statt, der in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert. Der Deutsche Musikrat und das DCW-Team vor Ort erwarten rund 4.000 Sängerinnen und Sänger, die in 15 Kategorien antreten werden. Für die nmz hat Juan Martin Koch den Beiratsvorsitzenden des DCW Jan Schumacher befragt.
neue musikzeitung: Nach fünf Jahren findet endlich wieder ein Deutscher Chorwettbewerb statt. Welches Signal soll von der Ausgabe 2023 in Hannover ausgehen?
Jan Schumacher: Der Deutsche Chorwettbewerb (DCW) ist ja sozusagen das „Finale“, zu dem diejenigen Chöre anreisen, die vorher in ihrem Bundesland von der Jury für eine Teilnahme am DCW zugelassen wurden. Insofern versteht sich der DCW als Exzellenzwettbewerb und es ist zu wünschen, dass wir trotz den Problemen, denen die Chöre während der Covid-19-Pandemie ausgesetzt waren, an die Qualität früherer Deutscher Chorwettbewerbe anknüpfen können. Ich bin durchaus optimistisch. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es nur dann Exzellenz geben kann, wenn diese aus einer breiten und starken Basis hervorgeht. Und was dies betrifft, bin ich derzeit weniger optimistisch, denn an vielen Stellen ist die Basis brüchig. Insofern hoffe ich sehr, dass vom DCW in Hannover ein positives und motivierendes Signal an die ganze deutsche Chorszene ausgeht!
nmz: Wie war die Resonanz auf die Auswahlverfahren vorab in den Bundesländern? Gibt es einen Corona-Knick?
Schumacher: Ja, in manchen Bundesländern sind die Anmeldezahlen für die Landeswettbewerbe sehr hinter den üblichen Zahlen zurückgeblieben. Natürlich konnten sich viele Chöre wegen Corona nicht langfristig auf den Wettbewerb vorbereiten. Die ersten Landeswettbewerbe waren ja schon im Sommer 2022 – kurz vorher wurde vielerorts noch mit Masken und Abständen geprobt. Da überlegt natürlich jeder Chor, ob er sich überhaupt für einen Wettbewerb anmelden soll. Die Frage ist aber, ob es ausschließlich an Corona liegt oder ob wir die Attraktivität der Landeswettbewerbe generell stärken müssen. In einigen Bundesländern wurden die Landeswettbewerbe als kleine Chorfestivals ausgerichtet und dort war der Zulauf deutlich größer als in Bundesländern, wo es ausschließlich um die Qualifikation für den Bundeswettbewerb ging.
nmz: Hat sich in den Wettbewerbskategorien etwas geändert? Wenn ja, warum?
Schumacher: Der Beirat Chor evaluiert nach jedem Wettbewerb, ob das Angebot der Kategorien zur Realität der Chorszene passt. Für den Wettbewerb in Hannover wurde eine Kategorie für Hochschul- und Landesjugendchöre eingeführt. Bei den Wettbewerben in Freiburg (2018) und Weimar (2014) haben außergewöhnlich viele Hochschulchöre teilgenommen, daher erschien diese neue Kategorie sinnvoll. Außerdem haben wir wegen Corona das Durchschnittsalter in den Kinder- und Jugendchorkategorien etwas angehoben, da viele Chöre in dieser Zeit nur schwer jüngere Sängerinnen und Sänger rekrutieren konnten.
nmz: Nach welchen Kriterien bewerten die Jurys? Wie transparent sind deren Entscheidungen?
Schumacher: Mit großem Interesse habe ich in der letzten NMZ den Artikel zum Thema Jurys bei Musikwettbewerben gelesen. Ehrlich gesagt war ich aber auch etwas beruhigt, denn viele der Dinge, die zu Recht von der Autorin Nora Sophie Kienast angeprangert werden, können wir beim Deutschen Chorwettbewerb vermeiden. Es gibt sehr klare Jury-Richtlinien, die alle Jurorinnen und Juroren schriftlich, aber auch noch einmal in einem Jury-Meeting vor Ort zur Kenntnis nehmen. Bewertet werden technische Parameter (wie Intonation, Rhythmik, Phasierung, Artikulation) und die künstlerische Ausführung, also beispielsweise Agogik, Dynamik, Stiltreue, Textinterpretation oder der Chorklang. In jeder Kategorie bewerten fünf, teils internationale Jurorinnen und Juroren die Chöre nach einem 25-Punkte-System. Die Punkte werden schon bei der Ergebnisbekanntgabe veröffentlicht und alle Chöre sind eingeladen an einem individuellen Beratungsgespräch mit der Jury teilzunehmen. So versuchen wir die Entscheidungen sehr transparent, fair und klar zu kommunizieren.
nmz: Seinem Selbstverständnis nach möchte der DCW Leistungsvergleich, Fortbildung und Begegnung ermöglichen und darüber hinaus zur Beschäftigung mit Zeitgenössischem anregen. Wie soll all das erreicht werden?
Schumacher: Alle diese Ziele spiegeln sich im Programm und im Ablauf des Wettbewerbs wider. Es liegt in der Natur eines Wettbewerbs, dass ein Leistungsvergleich stattfindet. Aber wir wollen erreichen, dass der Leistungsvergleich immer fair und wertschätzend ist. Dafür ist die gegenseitige Begegnung ausgesprochen wichtig. Bei den letzten Wettbewerben gab es zum Beispiel Abendkonzerte mit Chören der Pop-Jazz Kategorie in lockerer Atmosphäre, das war immer großartig und das wird es auch diesmal wieder geben. Fortbildung hoffen wir durch die Jurygespräche und durch die abendlichen Sonderkonzerte erreichen zu können. Da ist sicher für die nächsten Wettbewerbe noch etwas Luft nach oben. Es könnten zum Beispiel gezielt Chorleitungs-Studierende als Gäste am Wettbewerb teilnehmen. Zuhören und Beobachten ist ja auch eine Art der Fortbildung. Die Beschäftigung mit der zeitgenössischen Musik ist in der Ausschreibung angelegt: In vielen Kategorien sind die Chöre verpflichtet ein Werk des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts aufzuführen. Außerdem gibt es in beiden Wettbewerbsteilen eine Sonderwertung für zeitgenössische Musik. Hier werden nur Werke zugelassen, die nach 1980 komponiert wurden. Aber auch hier könnte man für zukünftige Wettbewerbe nachbessern. Gerade durfte ich als Juror beim Nationalen Chorwettbewerb Litauens dabei sein. Dort ist man schon einen Schritt weiter: Als zeitgenössisch zählen nur Werke, die nach dem Jahr 2000 komponiert wurden!
nmz: Inwieweit ist der DCW offen fürs Publikum? Was ist vor Ort in Hannover geboten?
Schumacher: Alle Wertungen sind bei freiem Eintritt öffentlich zugänglich und natürlich freuen wir uns über reges Interesse! Karten für die Eröffnungs- und Preisträgerkonzerte, sowie für die Sonderkonzerte mit Preisträgerchören des DCW 2018 sind über Reservix erhältlich. Zusätzlich wird während des Deutschen Chorwettbewerbs ein buntes Rahmenprogramm in und um Hannover geboten. Die teilnehmenden Chöre singen in Fußgängerzonen, Kirchen und öffentlichen Einrichtungen, darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit zu Begegnungskonzerten mit Chören aus der Region. So soll der DCW auch über die Wettbewerbsrunden hinaus die Chorstadt Hannover zum Klingen bringen. Das ganze Rahmenprogramm, aber auch eine Übersicht zur Kartenbestellung für die Konzerte findet man auf der Website des Wettbewerbs, www.deutscher-chorwettbewerb.de. Die Teilnehmer und die Veranstalter freuen sich immer über viel Publikum! Also herzliche Einladung nach Hannover!