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Die Frau im jungen mittleren Alter moderiert vorm Orchester stehend. Die aus vielen unregelmäßgen Akustik-Panelen bestehende Elbphilharmonie-Rückwand ist rost-rot angeschienen.

Charlotte Oelschlegel bei „Let‘s play“ in der Hamburger Elbphilharmonie. Foto: Sebastian Madej

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„Ich schätze das Überwinden von Genregrenzen“

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Charlotte Oelschlegel, freie Kulturjournalistin und Moderatorin, über das zukunftsweisende klassische Konzert
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Im Kulturbetrieb gibt es immer häufiger Programmkürzungen. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf das Kulturangebot. Umso wichtiger wird es, das bestehende Publikum zu halten und gleichzeitig neues Publikum zu gewinnen. Wie das in der Kulturvermittlungsarbeit gelingen kann, erzählt die freie Kulturjournalistin und Moderatorin Charlotte Oelschlegel im Interview mit Valeska Baader und Martina Jacobi. Das vollständige Interview ist zudem in Folge 8 von Laut & leise, dem Podcast der neuen musikzeitung zu hören.

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neue musikzeitung: Haben Sie das Gefühl, dass Sie beim Moderieren von Konzerten ein völlig neues Publikum erreichen? Oder begegnen Sie dort doch eher einem „klassischen Publikum“, das die Musik meist schon kennt?

Charlotte Oelschlegel: Ich glaube, es ist sehr unterschiedlich, und genau das finde ich so spannend daran. Wenn ein Konzert geplant wird, stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum möchte ich überhaupt eine Moderation oder Einführung anbieten? Daraus entwickelt sich dann der Inhalt. Die Konzertmoderation hängt daher immer stark vom Ziel der Veranstaltung ab. Ich versuche, mir im Vorfeld vorzustellen, welches Publikum mich erwarten könnte, aber mit den Prognosen liege ich natürlich nicht immer richtig. Für mich bietet eine Moderation das Potenzial, ein Konzert zu gestalten und zu verändern. Man kann einen neuen Zugang schaffen, auch bei Werken, die das Publikum schon in- und auswendig kennt. Eine Einführung oder neue Geschichten können die Musik dabei immer auch auf eine unerwartete Weise erlebbar machen. So kann man auch Brücken zu unbekannten Stücken bauen und zeigen, dass diese gar nicht so fremd sind, wie man vielleicht dachte. Eine Moderation sehe ich dabei als ein Element, ähnlich wie den Einsatz von Licht oder die Entscheidung, die Bühne anders zu gestalten – etwa, das Publikum im Kreis um die Musikerinnen und Musiker sitzen zu lassen oder sie im Raum umhergehen zu lassen. Es gibt viele Parameter, an denen man drehen kann, und die Moderation ist eine dieser Möglichkeiten.

nmz: Gehen Sie dann gezielt darauf ein, dem Publikum einen neuen Aspekt zu vermitteln, sei es thematisch oder in der Art und Weise, wie Sie moderieren?

Oelschlegel: Ich bemühe mich immer, einen Dreh zu finden, der vielleicht noch nicht bekannt ist. Oft starte ich mit einem unerwarteten Moment oder einer überraschenden Information, um sofort die Aufmerksamkeit zu wecken und das Publikum ein wenig aus der gewohnten Konzert-Routine zu holen. In dieser Überraschung sehe ich eine große Chance der Moderation. Es geht darum, Menschen direkt anzusprechen, sie zum Mitmachen einzuladen und möglicherweise einen neuen Zugang zur Musik zu schaffen. Natürlich hat die Konzertmoderation auch einen praktischen Aspekt. Wenn es wichtige Informationen gibt, die das Publikum wissen muss, integriere ich das ebenfalls. Man stellt die Musizierenden vor, gibt Hintergrundinformationen zu den Werken – das alles hängt stark vom Kontext und dem Ort des Konzerts ab. Jede Moderation ist deshalb ein bisschen anders und passt sich den Gegebenheiten an.

nmz: Wie gelingt es Ihnen, bei diesen Einführungsveranstaltungen auch Menschen anzusprechen, die normalerweise nie ins klassische Konzert gehen?

Oelschlegel: Das ist tatsächlich eine Herausforderung, aber ich denke, die Schwierigkeit beginnt schon früher: überhaupt diese Menschen durch Marketing-Tools für ein klassisches Konzert zu begeistern. Ich habe selbst erlebt, wie so etwas funktionieren kann, als ich vor wenigen Wochen als Gast das „Detect Classic Festival“ im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern besucht habe. Dieses Fes­tival setzt einen Schwerpunkt auf elektronische Acts und klassische Künstler*innen und zieht ein Publikum an, das normalerweise eher auf andere alternative Festivals in der Region geht. In diesem Jahr gab es dann aber auch beispielsweise den Neuen Kammerchor Berlin und Mitglieder der jungen norddeutschen philharmonie zu hören, die zwischendurch Kammermusik gespielt haben oder ein interaktives Chorkonzert in der gro­ßen Scheune gegeben haben. Das Faszinierende war, wie nahtlos diese unterschiedlichen Musikrichtungen miteinander harmoniert haben. Es war kaum spürbar, welches Genre gerade präsentiert wurde. Natürlich gibt es Musik, die eher später in der Nacht gespielt wird, weil sie zum Tanzen animiert, aber ich erinnere mich besonders an eine Blockflötistin, die nachmittags eine Stunde lang Musik von Hildegard von Bingen und zeitgenössische Werke gespielt hat. Die Leute lagen einfach im Schatten auf der Wiese und haben zugehört. Es wurde überhaupt nicht darüber diskutiert, ob das jetzt klassische Musik oder elektronische Musik ist. 

nmz: Wenn Sie ein gemischtes Publikum haben, also einige, die sich sehr gut mit dem Werk auskennen, und andere, die komplett unbedarft sind – haben Sie da einen Trick, wie Sie alle abholen?

Oelschlegel: Ehrlich gesagt, habe ich da keinen speziellen Trick. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es mir immer gelingt, wirklich alle mitzunehmen. Natürlich wäre das schön, aber ich glaube, das ist sehr schwierig und hängt stark von den individuellen Erfahrungen der Zuhörenden ab. Man spürt auf der Bühne zwar, ob das Publikum reagiert, ob es still ist oder viel nebenher gesprochen wird, aber letztlich ist das immer auch eine Frage der Interpretation und des Gefühls. Der Vorteil bei solchen Veranstaltungen ist natürlich, dass man sein Publikum sehen kann – was beim Radio, wo ich auch als Moderatorin arbeite, nicht der Fall ist.

nmz: Unterscheidet sich die Kulturvermittlungsarbeit im Radio denn von dem, was Sie moderativ bei Konzerten machen? Müssen Sie die Menschen dort anders ansprechen, um Kultur vermitteln zu können?

Oelschlegel: Ja, ich finde, das ist eine sehr unterschiedliche Arbeit. Am Radio schätze ich besonders, dass wir die Hörerinnen und Hörer in ganz privaten Situationen begleiten dürfen – sei es am Frühstückstisch, unter der Dusche oder im Auto. Das ist etwas sehr Besonderes, und ich schätze es, dass wir diese Rolle als Tagesbegleiter einnehmen können. Man weiß nicht genau, wer gerade zuhört, was es anders macht als auf der Bühne, wo man eine direkte Reaktion des Publikums hat. Natürlich gibt es auch im Radio Mittel und Wege, digital zu kommunizieren, aber das erfordert viel Fantasie, gerade beim Moderieren. Im Radio ist die Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer wahrscheinlich eine andere als im Konzert, wo man auch visuelle Eindrücke hat. Meis­tens gehe ich davon aus, dass das Radio eher nebenherläuft. Das ist zugleich eine große Chance für den Musikjournalismus. Ich selbst nutze viele Streamingdienste und bin oft von Algorithmen abhängig, die bestimmen, welche Musik in meine Playlisten gespült wird. Das kann manchmal anstrengend sein, immer entscheiden zu müssen, was man hören will. Gute musikjournalistische Sendungen mit ungewöhnlichen Musikzusammenstellungen bieten da einen schönen Gegenpol. In meiner eigenen Erfahrung höre ich im Radio gerne Leuten zu, deren Musikgeschmack ich schätze und die mich immer wieder überraschen. Einen Song, den ich privat nach zehn Sekunden ausschalten würde, höre ich im Radio dann in voller Länge und werde oftmals dann doch positiv überrascht. Deshalb glaube ich, dass Radio auch im Jahr 2024 eine besondere Qualität hat. Es bietet eine Art persönliche Empfehlung, die nicht von einem Algorithmus, sondern von Menschen kommt, die man mit der Zeit auch irgendwie gut kennenlernt.

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Dieses Interview ist ein Text-Ausschnitt aus unserem Podcast „Laut & leise“ – Folge 8: „Das klassische Konzert in der Krise?!“

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nmz: Was ist Ihr Geheimtipp, um besonders viele Menschen mit den Moderationen zu erreichen und zu inspirieren?

Oelschlegel: Ich glaube, der beste Weg, Menschen zu inspirieren, sei es bei einer Moderation im Radio oder bei einem Konzert, ist, selbst begeistert zu sein. Wenn ich wirklich von der Musik oder einem Projekt begeistert bin, dann teile ich diese Freude oder Vorfreude auf das nächste Stück oder den nächsten Song mit dem Publikum. Ich denke, diese Begeisterung überträgt sich automatisch. Bei Konzert­einführungen sehe ich meine Aufgabe nicht darin, vorne zu stehen und einen Vortrag mit Jahreszahlen und Daten zu halten. Stattdessen gehe ich zum Beispiel über einen persönlichen Eindruck – darüber, was die Musik in mir auslöst oder was an einer bestimmten Aufnahme gerade besonders ist. Jedes Konzert, jede Aufnahme hat seine eigene Einmaligkeit, sei es durch die spezielle Zusammensetzung von Künstlerinnen und Künstlern, den Ort oder den Kontext. Das ist für mich ein idealer Aufhänger, um ein Stück vorzustellen und darüber zu sprechen. Ich glaube, das ist wirklich der Schlüssel, wie man ein erfahrenes Publikum mit einem neuen Publikum zusammenbringen kann, weil jeder etwas Neues mitnimmt. Und wir können uns dem gar nicht entziehen. Wenn ich zum Beispiel erzähle, dass ich mir später noch einen Toast Hawaii machen werde, bleibt das wahrscheinlich eher im Gedächtnis als die Epochenbezeichnung oder das Geburtsjahr einer Komponistin. Unser Gehirn funktioniert eben so. Bestimmte Keywords und Momente bleiben haften, besonders wenn sie unsere Aufmerksamkeit wecken.

nmz: Kürzlich gab es in München eine große Konzertreihe, bei dem ein Pianist am Kran hängend morgens zum Sonnenaufgang spielte. Solche Formate können sicherlich auch ein ganz neues Zielpublikum ansprechen, das normalerweise nicht ins klassische Konzert geht. Was müsste sich Ihrer Meinung nach konkret ändern, um zukünftig noch mehr Publikum für klassische Musik zu gewinnen?

Oelschlegel: In Bezug auf Diversität denke ich, dass wir alle an den bestehenden Kanon herangehen müssen, den wir immer wieder reproduzieren. Der Kanon umfasst Werke und Künstler*innen, die als besonders erfolgreich oder exzellent angesehen werden und daher etabliert sind. Sobald sich das Wissen über diese Künstlerinnen und Künstler und Werke durchgesetzt hat, wird es schwer, andere Perspektiven einzubringen. Es ist aber wichtig, neue Perspektiven auf diesen Kanon zu zeigen und diese auch sichtbar zu machen. Ein weiterer Punkt ist das Power Sharing – wie kann Macht und Einfluss geteilt werden? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem gängigen Kanon und mehr Perspektivvielfalt in Teams und Institutionen sind dafür essenziell. All das bedeutet aber keinesfalls, dass Werke von Beethoven oder Mozart nicht mehr gespielt werden – wir haben in der Statistik vom Archiv Frau Musik und Musica Femina gesehen, dass Beethovens Werke dort fast zehn Prozent ausmachen. Bei diesen Zahlen schaffen im ersten Moment auch kleinere programmatische Entscheidungen Platz für Neues und Beethoven-Fans kommen trotzdem noch auf ihre Kosten. Es ist wichtig, verschiedene Möglichkeiten und Optionen zu bieten, ohne das klassische Konzertformat vollständig zu ersetzen. Was ich persönlich sehr schätze, ist das Überwinden von Genregrenzen. Beim Streaming wird nicht mehr nur darauf geachtet, ob Musik aus einem bestimmten Genre stammt. Stattdessen wird mit Stimmungen und Atmosphären gearbeitet und basierend auf den Vorlieben und dem Hörverhalten der Nutzenden Empfehlungen ausgesprochen. Diese Entwicklung erlaubt es, Musik nicht mehr nur nach Genres zu betrachten, sondern als Ganzes zu erleben und zu verstehen, wie sie uns in verschiedenen Situationen berührt. Es geht weniger darum, ob etwas klassisch ist oder nicht, sondern mehr darum, wie Musik unsere Emotionen anspricht und welche Stimmungen sie erzeugt. Das bedeutet, dass wir uns von starren Labels und Kategorien lösen und neugierig darauf werden sollten, was es außerhalb der traditionellen Grenzen gibt und wer die Menschen hinter der Musik sind. So können wir eine umfassendere und vielfältigere Sicht auf Musik entwickeln. 

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