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Tobias Könemann. Foto: J. List
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Junge, flexible, einsatzfähige Organisation

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Tobias Könemann, neuer Geschäftsführer der VdO, im Gespräch mit der neuen musikzeitung
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Tobias Könemann, zuvor schon als Rechtsanwalt für die Vereinigung deutscher Opernchorsänger und Bühnentänzer (VdO) tätig, trat im April 2009 als Nachfolger des verstorbenen Stefan Meuschel das Amt als Geschäftsführer der VdO an. Mit der neuen musikzeitung sprach Könemann über seine Pläne sowie über das 50-jährige Jubiläum, das die VdO am 25. Oktober 2009 begeht.

neue musikzeitung: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie zum Geschäftsführer der VdO ernannt wurden?

Tobias Könemann: Wesentliche Voraussetzung für eine solche Position ist gewerkschaftliche Erfahrung. Ich habe diese in den Jahren 1988 bis 1993 als Referent für Kunst und Medien beim Bundesvorstand der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) sammeln können, damals unter dem Bundesberufsgruppenleiter Stefan Meuschel. Zur Arbeitsgemeinschaft Kultur der DAG gehörte damals auch schon die VdO. Nachdem ich aus dem hauptamtlichen Dienst der DAG, bei der ich im Wesentlichen für die Tarifpolitik bei Film, Funk und Fernsehen zuständig war, ausgeschieden war, wurde ich im Ehrenamt stellvertretender Vorsitzender der Bundesberufsgruppe Kunst und Medien und war auch in einer ersten Wahlperiode Mitglied des Vorstandes des entsprechenden Bundesfachbereichs der neu gegründeten Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Diese Erfahrungen sind wesentliche Grundlagen dafür, jetzt ein hauptamtliches politisches Amt bei der VdO anzutreten. Hinzu kommt natürlich die Notwendigkeit eines gewissen Verständnisses dafür, was an so einem Opernhaus eigentlich erarbeitet wird. Ich selbst habe neben der juristischen Ausbildung ein Studium der Theater- und Musikwissenschaft absolviert und in früheren Zeiten schon an verschiedenen Stellen am Theater gearbeitet.

nmz: Welche Aufgaben sind in den ersten Monaten auf Sie und Ihren Stellvertreter Gerrit Wedel zugekommen? Können Sie nach sechs Monaten schon eine erste Bilanz ziehen?

Könemann: Für eine Bilanz ist es definitiv zu früh; die Phase des Übergangs ist aus meiner Sicht noch nicht abgeschlossen. Die VdO hat ja in den letzten beiden Jahren praktisch ihr ge-samtes hauptamtliches Personal ausgetauscht. Die damit verbundene, im Prinzip gewollte Neustrukturierung ist jedoch durch die Erkrankung und den unerwartet frühen Tod von Stefan Meuschel nicht ganz so planmäßig verlaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Dennoch kommen wir ständig vorwärts, sei es etwa in der Tarifpolitik, sei es im Aufbau neuer Rechtsschutz-Strukturen.

nmz: Wie sehen Sie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Zukunft der Theater?

Könemann: Die sehe ich mit sehr großer Sorge. Die Wirtschaftskrise führt dazu, dass sich die öffentlichen Haushalte – entgegen allen Planungen bis vor gut einem Jahr – massiv neu verschulden. In den Kommunen ist insbesondere der Einbruch der Gewerbesteuer-Einnahmen höchst bedrohlich. Wir hatten bis Mitte 2008 die Hoffnung, dass sich die finanzielle Situation aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs wieder normalisieren würde und wir dadurch auch von den sogenannten Haustarifverträgen wieder ein Stück weit wegkommen könnten. Dies erscheint kurzfristig nicht mehr realistisch. Durch diese Haustarifverträge wird in besonders finanzschwachen Theatern ein befristeter Gehaltsverzicht, der in der Regel durch Reduzierung der Arbeitszeit sowie eine Stellengarantie ausgeglichen wird, vereinbart, um eine finanzielle Sanierung zu ermöglichen.

nmz: Wie können Künstler-Gewerkschaften dazu beitragen, den Stellenwert von Kunst und Kultur in der Gesellschaft zu stärken?

Könemann: Die VdO versteht sich ja gerade nicht nur als bloße Gewerkschaft, die sich ausschließlich die tarifvertraglichen Forderungen der Beschäftigten und deren Rechtsberatung und Rechtsschutz zur Aufgabe macht. Es geht uns vielmehr auch darum, die kulturpolitischen Positionen der von uns vertretenen Gruppen und der Institutionen, in denen sie arbeiten, zu stärken – und das grundsätzlich auf allen Ebenen, etwa indem wir dazu beitragen, künstlerisch wie wirtschaftlich effiziente Strukturen zu entwickeln. Andererseits sind Organisationen wie die VdO – und das gilt letzten Endes auch für alle anderen Künstlergewerkschaften und künstlerischen Berufsverbände – größenmäßig in einer Weise begrenzt, dass wir auf dem ganz großen Parkett der Politik nicht ohne weiteres die Aufmerksamkeit finden, die der Materie gebühren würde. Hier müssen unbedingt neue Wege beschritten werden.

nmz: Was für eine Organisationsform schwebt Ihnen da vor?

Könemann: Ich halte es für wünschenswert, dass sich die Berufsverbände, die es im Bereich von Kunst und Kultur gibt – und da denke ich durchaus über das Theater hinaus  – zu einer Art von Kartell oder kulturpolitischem Spitzenverband zusammenschließen, ohne dabei ihre politische und berufsständische Autonomie zu verlieren. Das klingt einfach, ist aber kompliziert, weil das Selbstverständnis der verschiedenen Verbände von großem Individualismus geprägt ist. Es gab bereits gute Ansätze dazu, zum Beispiel mit der eingangs erwähnten Arbeitsgemeinschaft Kultur der DAG, in der gerade Vereinigungen wie die VdO, die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, die Deutsche Orchestervereinigung, Regieverband, Tonmeisterverband, Kameraverband und ähnliche Institutionen zusammengeschlossen waren und durch die DAG, die ihnen damals die verbandliche Autonomie ganz bewusst und gezielt ließ, ein Sprachrohr bis in die große Politik hinein hatten. Dies ist uns genommen worden. Wir müssen jetzt als Verbände versuchen, derartiges neu zu schaffen. Ansätze dazu gibt es. In diese Entwicklungen möchte ich die VdO unbedingt mit hineinführen.

nmz: Welche aktuellen Krisenherde beschäftigen Sie derzeit am meisten?

Könemann: Leider sehr viele. Da ist zum Beispiel Cottbus: Hier sind wir bereit, wie in vielen vergleichbaren Fällen auch, einen Haustarifvertrag abzuschließen. Der Rechtsträger aber will partout die Beschäftigten der Brandenburgischen Kulturstiftung dauerhaft von der Vergütungsentwicklung des sonstigen öffentlichen Dienstes des Landes abkoppeln – und das, obwohl das ganze Land nur ein einziges Drei-Sparten-Theater unterhält. Dann ist da Hagen zu nennen, wo der Regierungspräsident die Stadt dazu zwingen will, ihr erfolgreiches Theater, das demnächst sein 100-jähriges Bestehen feiert, zu schließen. Überhaupt macht uns Nordrhein-Westfalen Sorgen: Die angespannte Lage der öffentlichen Kassen könnte dort die Politik verleiten, schmerzhafte Breschen in diese einmalige Theaterlandschaft zu schlagen. Die abstrusen Politiker-Aussagen zur Reduzierung des Kölner Kultur-Etats sind da nur ein Signal.

nmz: Zu wieviel Prozent muss eine Vereinigung wie die VdO Krisenmanager sein, und zu wie viel Prozent kann sie strategisch beziehungsweise kulturpolitisch wirken?

Könemann: Das lässt sich natürlich nie genau trennen. Jede Verhandlung eines Haustarifvertrages beispielsweise ist sowohl ein Akt des Krisenmanagements als auch von strategischer Bedeutung. Außerdem kommen weitere wichtige Aufgaben hinzu, etwa die individuelle arbeits- und sozialrechtliche, manchmal auch steuerrechtliche Betreuung unserer Mitglieder oder die Öffentlichkeitsarbeit. Das alles muss in einer relativ kleinen Organisation mit begrenzten materiellen, vor allem aber auch personellen Ressourcen bewältigt werden. Dies bedeutet, dass eine ständig aktuelle und flexible Prioritätensetzung erforderlich ist. Dabei kommen strategische und kulturpolitische Aspekte manchmal etwas zu kurz. Unter dem Strich möchte ich sagen, dass – grob geschätzt – die operative Alltagsarbeit mindestens achtzig Prozent ausmacht, wirkliche strategische Arbeit bestenfalls zwanzig Prozent. Aber, wie gesagt, solche Werte sind nicht sehr aussagekräftig.

nmz: Thema Berliner Opernstiftung: Wowereit sagte bei der Anhörung vor dem Kulturausschuss, die Verhandlungen mit den Gewerkschaften seien nicht abgebrochen? Wie geht es also weiter?

Könemann: Was da in Berlin abläuft, ist sehr undurchsichtig. Der künstlerische Bereich ist die einzige Beschäftigtengruppe des öffentlichen Dienstes in Berlin, die seit 2001 an keiner tariflichen Vergütungsanpassung mehr teilgenommen hat. Dennoch wird gerade für diesen Tarifbereich die von uns immer wieder geforderte Aufnahme von Tarifverhandlungen vom Senat notorisch verweigert, zuletzt in einem Schreiben des Kultur-Staatssekretärs, das heute morgen bei uns eingegangen ist. Insofern ist die Aussage, die Verhandlungen seien nicht abgebrochen worden, richtig – allerdings nur vor dem Hintergrund, dass sie mit den Künstlergewerkschaften gar nicht erst aufgenommen worden sind. Wenn hier nicht sehr bald der Senat von seiner Blockadepolitik abrückt, werden wir uns überlegen müssen, wie wir dies der großen Öffentlichkeit präsentieren. Was wirklich hinter dieser gezielten Benachteiligung einer für eine Hauptstadt so bedeutsamen Beschäftigtengruppe steckt, ist uns allerdings weiterhin rätselhaft.

nmz: Was sind die großen Herausforderungen für die Künstlergewerkschaften in der Zukunft?

Könemann: Wichtig ist, die Lebensgrundlage für Künstler dadurch zu sichern, dass das Bewusstsein für Kunst und Kultur in der Gesellschaft weiter fortgeschrieben und gestärkt wird – und auch das Bewusstsein dafür, dass Kunst und Kultur in einem professionellen Umfeld nur stattfinden können, wenn bestimmte finanzielle Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Kunst ist kein subventionsträchtiger Luxus, keine, wie es im Kommunalrecht so schön heißt, „freiwillige Aufgabe“, sondern ein öffentlich zu finanzierender notwendiger Grundbestandteil einer lebendigen Gesellschaft. Dabei ziehen wir übrigens mit unserem Tarifpartner, dem Deutschen Bühnenverein, an einem Strang.

nmz: Die VdO feiert am 25. Oktober 2009 ihr 50. Jubiläum. Bitte noch ein paar Worte dazu.

Könemann: Mit 50 ist man ja zuweilen am Ende der „Midlife-Crisis“. Das trifft für die VdO nach meiner Beobachtung nicht zu. In den 50 Jahren hat sich der Beruf des Opernchorsängers erheblich verändert. Die Spielpläne sind vielfältiger und dichter geworden; die – insbesondere szenischen – Anforderungen heutiger Opernproduktionen in modernen Regiekonzepten sind sicher gestiegen. Nicht umsonst ist heute ein abgeschlossenes Hochschulstudium in der Regel die Grundlage, auf der man in dem Beruf erfolgreich ist. Dies bildet sich auch in der Mitgliedschaft der VdO ab. Wir haben viele gut qualifizierte, selbstbewusste Leute mit klaren Vorstellungen in unseren Reihen. Anders als manche Verbände haben wir kein Überalterungsproblem, sondern eine gesunde Altersstruktur und einen stabilen Mitgliederbestand. Der Organisationsgrad ist in den allermeisten Häusern gut – jedenfalls im Chor. Etwas anders sieht es im Bereich Tanz aus. Zwar gibt es dort naturgemäß kein Überalterungsproblem, aber die Vielzahl der Kolleginnen und Kollegen, die aus anderen Ländern kommen und – neben Sprachbarrieren – mit den Strukturen hier nicht vertraut sind oder schlechte Erfahrungen mit dem Gewerkschaftswesen ihrer Länder haben, sowie die hohe Fluktuation machen es hier schwierig, eine kontinuierliche Arbeit aufzubauen. Wir arbeiten daher intensiv daran, auch hier tragfähige Strukturen herzustellen. Ein Thema, dem wir uns derzeit besonders widmen, ist die sogenannte „transition“, der Übergang in ein zweites Berufsleben, wenn der Tänzerberuf rein physisch nicht mehr ausgeübt werden kann. Hier haben wir gute Resonanz. Alles in allem fühlen wir uns mit 50 Jahren als junge, flexible und einsatzkräftige Organisation. Insofern blicke ich trotz der massiven Probleme, die dem Theater in Deutschland drohen, zuversichtlich in die Zukunft. 

Das Gespräch führte Andreas Kolb

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