Tripeljubiläum: Vor 60 Jahren die Gründung der Jeunesses Musicales in Deutschland, schon im ersten Jahr zählte sie 2.500 Mitglieder und namhafte Ensembles zwischen Berlin, Hamburg und München. Hier, während der ersten Festwoche der Musikalischen Jugend Deutschlands, trommelt ein junger, energischer Mann aus Hannover die Delegierten aus 21 örtlichen Gruppen der Jeunesses Musicales im Sitzungssaal des Münchner Rathauses zusammen und sagt, „wo es langgeht“, muntert erfolgreich und nachhaltig zur musikalischen Eigeninitiative auf: Klaus Bernbacher, gerade 20 Jahre jung, mutiger Impulsgeber und nimmermüder Initiator, energisch, nicht immer bequem, nicht immer geliebt, gerne auch streitbar, aber dann auch wieder hoch dekoriert, gelobt und ausgezeichnet, und, weil er verstand, Ideen überzeugend zu verkaufen, energisch und erfolgreich umzusetzen. Von seinem Enthusiasmus, musikalisch-künstlerisch ebenso wie im kulturpolitischen Engagement, hat er bis heute nichts verloren, jetzt, da er, wie es die Franzosen liebenswürdig ausdrücken, die „quatre-vingt“ erreicht hat. Auch in den 60 Jahrgängen der neuen musikzeitung hat Klaus Bernbacher sich immer wieder lautstark zu Wort gemeldet. Für die nmz hat Eckart Rohlfs ihn gebeten, sein persönliches Resümee auf das gemeinsam erlebte Fast-Jahrhundert zu ziehen.
neue musikzeitung: Wer lehrte Dich die Kunst zum Olymp zu segeln, oder prosaisch gefragt: Wie kam es dazu, dass Musik Dein lebenbestimmendes Wahlfach wurde?
Klaus Bernbacher: Mein Leben war natürlich bedingt durch mein Elternhaus. Mein Vater war Kammermusiker (Geiger) am Opernhaus Hannover. Dadurch bin ich sehr früh mit Musik und allen Dingen, die dazu gehören, in Verbindung geraten, habe mit Klavierspielen angefangen und Konzerte besucht, vor und während des Krieges, zum Beispiel die Richard-Wagner-Festspiele in der Waldoper Zoppot (Danzig). Ich war fasziniert vom Orchesterklang, wollte immer schon Kapellmeister werden, das erstrebte Ziel im Studium.
nmz: Nenne mir Begegnungen, die Dich geprägt, Deinen Weg markiert oder beeinflusst haben.
Bernbacher: Ich muss da Musik und Politik trennen. Als Musiker haben mich in meiner Jugend die großen Dirigenten der damaligen Zeit geprägt, die ich aus der Nähe in Proben und Aufführungen erlebte und auch persönlich kannte. Ich nenne da Furtwängler, Karajan, Knappertsbusch und Clemens Krauss in Bayreuth, dazu Konwitschny, Scherchen und Johannes Schüler. Ein für mich einzigartiges und überwältigendes Erlebnis, ich war damals 18 Jahre alt: Da war mir im Sommer 1949 vergönnt, durch Vermittlung meines Großvaters Zeuge des letzten kurzen Dirigats von Richard Strauss bei einer Probe des „Rosenkavaliers“ im Münchner Prinzregententheater zu sein.
nmz: Und wie wurdest Du zugleich zum Kulturpolitiker?
Bernbacher: In der Politik erlebte ich unmittelbar nach dem Krieg in Hannover Kurt Schumacher und Hanns Lilje, später unterstützte ich aktiv die Politik Willy Brandts. Unvergesslich jedoch ist mir auf dem Höhepunkt der „Spiegel-Krise“ im November 1962 im Bundeshaus in Bonn ein Gespräch mit dem alten Kanzler Adenauer. Anlässlich des Volkstrauertages dirigierte ich die musikalische Umrahmung mit dem Studio-Orchester Hannover (Studenten aus Hannover, Hamburg und Detmold) und wurde auf einem Empfang dem alten Herrn vorgestellt. Er unterrichtete mich über Pläne, im Frühjahr 1963 mit Frankreich einen Vertrag für die Jugend beider Länder abzuschließen, ich sollte mich dafür interessieren. Kein Problem: Das spätere Deutsch-Französische Jugendwerk wurde für die JMD ein großes Betätigungsfeld.
nmz: Du hast im Umfeld Musik in vielen Tonarten Takt geschlagen, als Musiker, Dirigent, als Programmgestalter, vor allem der Neuen Musik, dann als Musik- und Verbandspolitiker Musikpolitik betrieben und als Mittel eingesetzt, als das im deutschen Musikleben noch fremd war, so in der Jeunesses Musicales, im Deutschen Musikrat, Landesmusikrat, in der Bremischen Bürgerschaft und im Rundfunkrat. Wenn Du aus rund acht Jahrzehnten „Leben für die Musik“ Bilanz ziehst, über welche Erfolge, geglückte Ereignisse, Ergebnisse freust Du Dich am meisten? Welches sind die bedeutendsten, auf die Du stolz sein kannst, weil sie nachhaltig wirken?
Bernbacher: Zunächst haben wir beide uns ja kurz nach dem Krieg als Studenten in den Wiederaufbau des Musiklebens eingemischt! Der Aufbau der Jeunesses Musicales in der BRD seit 1951, die Schaffung und Entwicklung des Musikzentrums Schloss Weikersheim bis zum heutigen Tag und darüber hinaus unter der derzeitigen tüchtigen Leitung von Hans-HerwigGeyer, Barbara Haack und Ulrich Wüster. Man blickt auf 60 Jahre zurück, gemeinsam mit Dir, mit Bernd Bosse und den verstorbenen Fritz Büchtger und Klaus Hashagen. Speziell freue ich mich, dass die von mir 1965 initiierte „Oper im Schlosshof“ nach wie vor Bestand hat. Das gilt auch für meine frühe Anregung, aus der nmz ein kulturpolitisches Medium zu machen, von Bosse, Rohde, Rohlfs, Geißler im Team hervorragend umgesetzt.
40 Jahre „Tage der Neuen Musik Hannover“ (1958–1998) in Verbindung mit dem NDR, der Musikhochschule, der Staatsoper und Radio Bremen waren ein wichtiger Teil meines Lebens und Klaus Hashagens. Eine Dokumentation für diese Zeit zählt über Geschichte, Komponisten und Interpreten auf. Einige Namen: Henze, Stockhausen, Kagel, Otte, Riedl, Heider, Hespos, Engelmann, Lachenmann, Yun, Ruzicka, Flammer und Heusinger.
nmz: Dann gab es für Dich und Deine Familie einen willkommenen Ortswechsel von Deinem Geburts-, Studien- und Wirkungsort Hannover nach Bremen.
Bernbacher: Mein beruflicher Weg führte mich 1962, durch Hans Otte, als Dirigent an den Bremer Sender, 1969 dann in fester Funktion und viele Jahre in Verantwortung. Der Sender war in den guten Jahren bis 1995 besonders für seine Pflege der Neuen Musik bekannt mit der meisten Sendezeit dafür in der ARD. Die Weltmusik war hier zu Hause. Glücklich bin ich, dass es Peter Schulze und mir gemeinsam mit einer Bürgerinitiative und dem Unternehmer Klaus Hübotter gelungen ist, den für seine Akustik berühmten Sendesaal von Radio Bremen vor dem Abriss zu retten.
Mit der Nordwestdeutschen Philharmonie, dem Bremer Philharmonischen Staatsorchester und anderen habe ich in 40 Jahren circa 600 Rundfunkproduktionen, dazu Konzerte mit vielen Ur- und Erstaufführungen geleitet. Schönbergs „Gurre-Lieder“ in der Originalbesetzung und Mahlers 2. Symphonie im Bremer Dom sind bleibende Erinnerungen.
nmz: In Bremen hat Dich die Lokalpolitik eingeholt?
Bernbacher: Für eine Wählervereinigung war ich nach meiner Pensionierung noch vier Jahre (1995–1999) Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft, später zwölf Jahre im Rundfunkrat. Als MdBB initiierte ich den Antrag, Kultur als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen, was einstimmig beschlossen wurde. Außerdem sorgte ich mit für die Umwandlung des Direktorats zur Intendanten-Verfassung von Radio Bremen.
Letztlich liegt mir daran, die seit den 50er-Jahren bestehenden Verbindungen mit Musikern meiner Generation der DDR zu erwähnen. Je nach politischer Lage habe ich mich mit Kollegen für den künstlerischen Austausch besonders zwischen Dresden und Ostberlin einerseits und Bremen und Hannover andrerseits eingesetzt. Der Gedanke war, durch die Ostpolitik Brandts, den Dialog zwischen den Menschen zu ermöglichen. Dieses wurde am „Tag der Einheit“ am 3. Oktober 2010 in Bremen besonders gewürdigt.
nmz: Gab es auch Begebenheiten, die Dich nicht oder noch nicht befriedigt haben?
Bernbacher: Sicherlich! Der langjährige Plan, in Bremen einen modernen Konzertsaal („Musicon“) mit 2.500 Plätzen zu bauen, für den Daniel Libeskind 1995 einen großartigen Entwurf erstellt hatte, ist im Augenblick in Bremen, auch angesichts der Kostenexplosion der Elbphilharmonie, schwer zu realisieren. Man braucht Geduld wie in der Kulturhauptstadt Essen. Dort hat es 30 Jahre gedauert, bis das wunderbare Aalto-Opernhaus gebaut wurde.
Eine andere Sorge ist, dass das gegenwärtige extrem kommerzielle Konzertleben die Neue Musik in den normalen Orchesterkonzerten stark vernachlässigt. Auch die Rundfunkanstalten bauen ab. Wir waren schon einmal weiter!
nmz: Stell Dir vor, Du hättest drei Wünsche offen, abgesehen vom Wohlergehen, von Gesundheit, das Leben von Dir und Deiner Familie – welche wären das?
Bernbacher: Das Musicon habe ich schon erwähnt. Generell hoffe ich, dass endlich in den Schulen der BRD zwei Stunden Musik durchgehend selbstverständlich sind. Kestenberg und Richard Strauss haben das schon in der Weimarer Republik gefordert! Schließlich der Wunsch, dass die Förderung der Künste in einer Kulturnation nicht mehr nur zu den freiwilligen Leistungen der öffentlichen Hände gehört, sondern zu den Kernaufgaben. Kultur ist ein Grundrecht der menschlichen Gesellschaft!