neue musikzeitung: Der Musikschulkongress ’05 steht vor der Tür. Heißt es wie in den vergangenen Jahren schneller, weiter, größer?
Gerd Eicker: Die sprichwörtlichen Attribute des Leistungssportes kennzeichneten eigentlich nie das Musikschulwesen. Sicherlich haben wir in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren ein permanentes Wachstum an den Musikschulen zu verzeichnen gehabt. Im europäischen Vergleich jedoch sind wir nicht unbedingt Rekordverdächtig, vielmehr hat die Pisa-Studie gezeigt, dass in Bezug auf die Jugendbildung erheblicher Nachholbedarf besteht und – wenn wir denn in der Sportterminologie bleiben – die gesamtdeutsche Bildungspolitik sich tatsächlich schneller, weiter und größer bewegen muss. Auch der Deutsche Musikschultag, zu dem zum vierten Male die knapp 1.000 öffentlichen Musikschulen von ihrem Verband, dem VdM, aufgerufen worden sind, dient nicht einem institutionsbezogenen Selbstzweck, sondern vielmehr einer Bewusstmachung der Notwendigkeit musikalischer Bildung.
Haben im Jahr 2002 rund 70 Prozent der Musikschulen diesen Tag genutzt, um in der Verbundenheit mit anderen Schulen eine größere Öffentlichkeit ansprechen zu können, so hoffen wir, dass in diesem Jahr die Beteiligung noch deutlich größer ausfallen wird. Manche öffentlichen Musikschulen sind heute in der Tat vom harten Verteilungskampf um öffentliche Mittel betroffen, wenn Kommunen keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen können. Es besteht die Gefahr, dass durch kurzsichtige Spar- oder gar Schließungsbeschlüsse (derzeit im Promille-Bereich), Kindern und Jugendlichen der Zugang zum Kultur- und Bildungsgut Musik versperrt wird. Das höchste Gut einer Nation ist die optimale Förderung der Jugend, da in ihr die Zukunft begründet ist. Diese wird zur Zeit an einigen wenigen Orten leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Der vierte Deutsche Musikschultag soll durch die Präsenz in der Öffentlichkeit mit einer Fülle von musikalischen Beiträgen, Veranstaltungen, Auftritten, größeren und kleineren Kooperationsprojekten auch die nicht unmittelbar beteiligten Bürger auf das Kulturgut Musik aufmerksam machen. Musikalische Bildung ist keine „sättigende Beilage“ für finanziell bessere Zeiten, sondern die Sicherung der Zukunftsfähigkeit eines Kulturraumes wie der Bundesrepublik Deutschland. Sie setzt im frühen Kindesalter an und ist, falls dieser Zeitraum versäumt wird, nicht mehr einholbar.
neue musikzeitung: „Partner Musikschule“ heißt ein Slogan des VdM im Jahr 2005. Was ist darunter zu verstehen?
Gerd Eicker: Der Slogan „Partner Musikschule“ ist der zweite Teil des Themas unseres diesjährigen Musikschulkongresses, der lautet: „Musik verbindet – Partner Musikschule“. Unter dem ersten Teil dieses Themas steht auch der Deutsche Musikschultag, um deutlich zu machen, dass Musik über ihren eigenen Wert als Kulturgut, der nicht hoch genug einzuschätzen ist, hinaus weitere „Sekundärfunktionen“ einschließt. Wir sprechen so oft von der sozialen Kompetenz, mit der Menschen im Bildungsprozess ausgestattet werden müssen. Diese Kompetenz ist mittlerweile in vielen Bildungsplänen verankert. Leider wird sehr oft übersehen, dass das Medium Musik hervorrragend dazu geeignet ist, soziale Kompetenz auszuformen, da eben die Musik in einem hohen Maße einen Menschen-verbindenden Charakter trägt. Die Musikvermittlung ist das zentrale Anliegen der Musikschulen. Deshalb bieten sie sich als ideale Partner für alle Institutionen, Gruppen und Organisationen an, die sich in irgendeinem Zusammenhang mit Musik beschäftigen oder auch nur von ihr tangiert sind. Seien es Kindergärten und –tagesstätten, Jugendhäuser, die allgemein bildenden Schulen oder aber das Kulturamt der Stadt, das Opernhaus, das Sinfonieorchester, die Musikvereine, die Kirchen, die Einrichtungen für Erwachsenenbildung…, die Liste kann nicht vollständig sein.
Mehrere tausend Kommunen unterhalten Musikschulen. Nur die wenigsten davon verfügen über professionelle Theater und Orchester. Daher sind die Musikschulen nahezu zwingend die zentralen Partner für die Musikkultur im öffentlichen Raum. Dieser besonderen Rolle müssen sich die Musikschulen aber auch bewusst sein, sich selbst als Partner definieren und auf potentielle Partner zugehen. Die „offene“ Musikschule, wie sie der VdM formuliert, beinhaltet eben die Offenheit nicht nur nach innen bezüglich der Unterrichtsgegenstände und -verfahren, sondern auch in der Außenwirkung nach dem Motto „Offen für alle“! Hier sei allerdings kritisch angemerkt, dass diese Offenheit und Kooperationsfähigkeit einer gewissen finanziellen Basis bedarf.
neue musikzeitung: Eine Phase konstruktiver Zusammenarbeit zwischen VdM und der Regelschule hat begonnen. Wo sehen Sie Chancen für die Musikschulen?
Gerd Eicker : Es ist sicher richtig, dass die Aufgeregtheit über bevorstehende Ganztagsschulen sich weitgehend gelegt hat und konstruktiven Konzepten, die die neuen Möglichkeiten zum Inhalt haben, Platz gemacht hat. Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den VdM-Musikschulen und den Regelschulen hat allerdings nicht erst jetzt begonnen, sondern ist vielerorts schon seit vielen Jahren Normalität. Bei der in vielen Kommunen errichteten offenen Ganztagsschule ergeben sich für die Musikschulen neue Aufgabenfelder. Durch neue Bildungsangebote, die nicht den unmittelbaren Kernbereich der Musikschularbeit darstellen, können weitere Kinder und Jugendliche mit musikalischer Bildung erreicht werden. Ich sehe diese neuen Bildungsangebote nicht als Werbeveranstaltungen für die Musikschule, sondern als neuen integrativen Faktor gemeinsamer Bildungsverantwortung von Schulmusik und Musikschule. Hierzu bedarf es auch der Weiterqualifikation der Musikschullehrer/-innen beziehungsweise der Vorausqualifikation in den Musikhochschulen.
neue musikzeitung: Was sind die Schwerpunkte/Highlights des Musikschultages 2005?
Gerd Eicker: Den konkreten Schwerpunkt des Musikschultages ’05 setzt letztendlich jede Musikschule selbst. Unter dem Gesamtthema „Musik verbindet“ soll die besondere gesellschaftlich verbindende Wirkung der Musik durch das gemeinsame Musizieren eindrücklich in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Darüber hinaus sollen Partnerschaften und Freundschaften deutlich gemacht werden. Sie finden sich in Kleingruppen bis zu den großen Formationen, sie finden interkulturell statt oder auch integrativ gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen. Schließlich soll für den gesellschaftlichen Wert des gemeinsamen Musizierens und seine weitreichenden politischen Konsequenzen geworben werden. Diese Betätigung ist nicht nur lebensbereichernd und sinnstiftend, sondern beinhaltet eine Fülle von Schlüsselqualifikationen. Schließlich soll deutlich gemacht werden, dass bei alledem die öffentliche Musikschule eine zentrale Bedeutung innehat.
neue musikzeitung: Was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser zentralen und bewährten Veranstaltung des VdM?
Gerd Eicker : Ich wünsche mir, dass alle für Musikschulen Verantwortliche die Chance des Deutschen Musikschultages erkennen und sie ausgiebig sowie erfolgreich nutzen. Die Aktion ist dann erfolgreich, wenn dadurch in den Köpfen der politisch Verantwortlichen die Erkenntnis reift, dass eine Nation wie eine Familie bei den Schwächsten, nämlich den Kindern, zuallerletzt den Rotstift ansetzen darf. Was die Gestaltung im Einzelnen betrifft, so ist sicherlich der Satz auch hier anzuwenden, dass nichts so gut ist, als dass man es nicht verbessern könnte. Die Verbesserungen werden sich sicherlich nach der Situation der einzelnen Schule zu richten haben. Um zu eruieren, was sich Besucher wie auch die Nutzer wünschen, hat der VdM zwei Qualitätsmanagementsysteme eingeführt: E-DuR und QsM. Beide Systeme, die von unterschiedlichen Ansätzen ausgehen, ermöglichen es einer Schule, sehr genau ihre eigene Qualität in Stärken und Schwächen zu analysieren und sich weiter zu entwickeln. Die Systeme entsprechen europäischen Maßstäben und sind neben den Strukturen und Inhalten, zu denen sich eine VdM-Musikschule verpflichtet, weitere Qualitätskriterien, die in Zukunft für den Nutzer von noch größerer Bedeutung sein werden. Musikalische Bildung wie überhaupt jegliche Jugendbildung muss nach meiner Überzeugung in der Verantwortung der Gesellschaft und damit der für die Bildungspolitik Verantwortlichen bleiben. Sie darf nicht der Beliebigkeit und Unwägbarkeit eines nach kommerziellen Aspekten agierenden freien Marktes überlassen werden.