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Berno Odo Polzer. Foto: Hufner
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Nachdenken über die Regime der Zeit

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Berno Odo Polzer, der neue Leiter des Berliner Festivals MaerzMusik, im Gespräch
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neue musikzeitung: Herr Polzer, was hat Sie an MaerzMusik so interessiert, dass Sie jetzt glücklich sind, der neue Leiter des Festivals zu sein?

Berno Odo Polzer: Die MaerzMusik war ja schon unter seinem langjährigen Leiter Matthias Osterwold interdisziplinär angelegt. Sie war offen gegenüber Installation, Musiktheater, Performance. Da kann ich anknüpfen. Ich möchte allerdings einen Horizont aufzeigen, der über das rein Ästhetische hinausgeht – der die zeitgenössische Musik einbettet in größere Fragestellungen. Mich interessiert für die MaerzMusik die Auseinandersetzung mit der politischen Dimension von Zeit – Zeit als die vielleicht wertvollste Ressource, die wir haben.

Die Wohlstandsgesellschaft ist von Zeitarmut geplagt. In der Musik aber ist ein ganz anderes Wissen über die Zeit vorhanden. Das kann uns dabei helfen, Strategien für den Umgang mit Zeit in der  Zukunft zu entwickeln.

nmz: MaerzMusik – Festival für Zeitfragen: Das ist ein sehr knapper, wie am Reißbrett des Dramaturgen entwickelter Titel, der das Wort Musik möglichst sparsam verwendet. Auf welchen Gedanken wollen Sie das Publikum allein durch die Titelgebung stoßen?

Polzer: Ich möchte das Publikum auf drei Gedanken bringen. Zunächst geht es hier natürlich um Musik – das heißt für mich aber in erster Linie eine Haltung des Hörens, ein Zugang zur Welt, der aus dem Hören entwickelt ist. Die anderen beiden Gedanken sind im Begriff Zeitfragen enthalten, der bewusst zweideutig und spielerisch ist. Einerseits deutet er an, dass dieses Festival, als öffentlicher Raum, ein Ort sein soll, der sich mit unserer Gegenwart in all ihrer Komplexität beschäftigt. Andererseits möchte ich anregen, öffentlich nachzudenken über Zeit selbst. Wie überformen Zeitregime die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und produzieren? Wie organisieren wir innerhalb des Zeitkorsetts Gesellschaft und Gemeinschaft? „Zeitfragen“ spielt auf beide Bedeutungen an.

nmz: Ein neues Format des Festivals heißt „Thinking Together“. Was soll diese öffentliche Diskussion mit dem Publikum zeitigen? Wie sollen die Besucher niederschwellig beteiligt werden?

Polzer: Ich bin kein Freund des Wortes „niederschwellig“. Weil ich glaube, dass die Schwelle in einem zunehmend kommerzialisierten Kulturbetrieb in der Regel zu niedrig angesetzt wird für ein emanzipiertes Publikum. Ich möchte intensive Erfahrungen und das gemeinsame Nachdenken ermöglichen.

Dafür brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen jenseits gängiger Wissensperformances. In üblichen Diskurs-Formaten gibt es kaum Zeit, Fragen zu stellen oder ein gemeinsames Vokabular zu finden. Mir ist es wichtig, einen Ort zu schaffen, wo eine direkte Kontaktaufnahme zwischen den Gästen des Festivals und dem Publikum stattfindet. Ich möchte Raum und Zeit schaffen, um gemeinsam nachzudenken.

nmz: Ihr Programm liest sich auf den ersten Blick wie eine Tour de force durch innovative Konzertformate: Konzerte, die nur aus einem Stück bestehen, 30-stündige Performances, ein Konzert im Dunkeln...

Polzer:Eine Tour de force ist das nicht, das Festival ist ruhig getaktet, es gibt verschiedene Rhythmuswechsel. Die Frage der „Zeitlichkeit“ ist auch in der Festivalstruktur selbst weitergedacht. Gleichzeitig soll dieses Thema kein konzeptuelles Korsett sein. Es wird auch frei stehende Konzerterlebnisse geben, die nicht rückgebunden werden müssen an diese Beschäftigung mit Zeit. Ich möchte dem Publikum Erlebnisräume eröffnen, die sich mit Reflexionsräumen verbinden lassen und ganz bewusst mit Veränderungen des Konzert-Settings arbeiten. Bei der Eröffnung „Liquid Room“ kann sich der Hörer frei bewegen. Bei der Aufführung im Dunkeln, Georg Friedrich Haas’ „In iij. Noct.“ wird die Wahrnehmung durch die Abwesenheit des Sehsinns verändert.

Beim Abschlussprojekt The Long Now kann man in eine 30-stündige Extremerfahrung eintauchen. Was ganz fehlt, sind Stückzusammenstellungen aus rein pragmatischen Gründen, zum Beispiel orientiert an einer Instrumentalbesetzung. Ich denke eher wie ein Ausstellungskurator: Wie gestaltet man einen gesamtheitlichen Hörraum und Erlebnisraum, in dem sich Musik entfalten kann? Das ist eine ganz wichtige Ebene: dass Musik, wie wir Menschen auch, Zeit braucht, sich zu entfalten.

Das Gespräch führte Matthias Nöther

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