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Portät von Udo Dahmen. Ein leicht lächelnder Mann mit dicker schwarzer Brille, Dreitagebart und hell-kariertem Sakko über einem T-Shirt.

Udo Dahmen.

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Trommeln für den deutschen Pop

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nmz-Gespräch: Gründer Udo Dahmen verlässt die Popakademie Mannheim und wird Teil des „Popländ“
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Udo Dahmen ist Schlagzeuger, Vizepräsident des Deutschen Musikrats und vor allem künstlerischer Leiter der Popakademie in Mannheim. In seinem samstäglichen Podcast erklärt der umtriebige 71-jährige den SWR2-Hörerinnen und -Hörern die Welt des Pop. Georg Rudiger hat mit ihm für die nmz über seinen Abschied von der Popakademie gesprochen, aber auch über neueste Trends und alte Vorurteile.

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neue musikzeitung: Nach 20 Jahren verlassen Sie die Mannheimer Popakademie, die Sie 2003 als künstlerischer Direktor mitgegründet und in den Folgejahren gemeinsam mit dem Business-Direktor Hubert Wandjo stark geprägt haben. Was wollten Sie mit dieser neuen Einrichtung erreichen?

Udo Dahmen: Unser Hauptanliegen war es, die Berufschancen von Musikerinnen und Musikern sowie von denjenigen, die im Musikmanagement tätig sein möchten, zu verbessern. Dafür haben wir die Studierenden untereinander vernetzt. Und auch die Studieninhalte der beiden ersten Bachelor-Studiengänge – Popmusikdesign und Musikbusiness – gegenseitig geöffnet, so dass die Musiker etwas über Musikmanagement erfahren haben und umgekehrt. Im künstlerischen Bereich galt die Maxime, dass nur eigene Kompositionen, Texte, Arrangements und Produktionen Gegenstand des Studiums sind – alleine oder in Teams. Anders gesagt: In der Popakademie werden keine Songs nachgespielt.

nmz: Haben Sie die Ziele erreicht?

Dahmen: Wir haben im Laufe der Jahre viele erfolgreiche Beispiele gesehen wie Alice Merton, Joris oder auch Konstantin Gropper von Get Well Soon. Diese drei Künstlerinnen und Künstler schreiben ihre eigene Musik, aber haben auch unternehmerisch von der Popakademie profitiert. Alice Merton hat ihre Band und ihren Manager im ersten Semester hier kennengelernt. Ähnliches gilt für Konstantin Gropper, dessen Management an der Popakademie entstanden ist. Die gesamte Band von Joris kommt ebenfalls von der Pop­akademie. Und Joris wurde beim Label Four Music von Absolventen der Popakademie unter die Fittiche genommen.

nmz: Seit Gründung der Popakademie haben Sie drei weitere Studiengänge eingeführt. Einen Bachelor für Weltmusik und zwei Masterstudiengänge Popular Music und Music & Creative Industries. Warum haben Sie das Angebot erweitert?

Dahmen: Die beiden Masterstudien­gänge haben wir 2011 aufgesetzt – sozusagen auch räumlich, weil wir das Bestandsgebäude um zwei Stockwerke erhöht haben. Von Beginn an spürten wir den hohen Bedarf zum Beispiel für Studierende, die zuvor Jazz oder klassische Musik an der Musikhochschule studiert haben. Auch für Studierende an unserem Haus ist häufig eine Vertiefung des Studiums erwünscht. Im Musikbusinessbereich machte die große Diversifizierung einen Masterstudiengang notwendig.

nmz: Und der Weltmusikstudiengang?

Dahmen: Der wurde im Jahr 2015 eingeführt – just zu dem Zeitpunkt, an dem in Deutschland die ersten Geflüchteten ankamen. Im Wesentlichen wird bei uns türkisch-arabische Musik gelehrt inklusive Percussion. Bağlama, also die türkische Langhalslaute, die Kastenzither Kanun und die Oud, eine Kurzhalslaute aus dem arabischen Raum sind dafür wichtige Ins­trumente. Schon im ersten Studienjahr kamen viele syrische Schutzsuchende zu uns, die sich durch das Studium sehr schnell integrieren konnten. Viele von ihnen haben schon in Damaskus oder Aleppo Musik studiert. Die deutschen Studierenden mit türkischem Hintergrund konnten hier ihre Kultur pflegen und weiterbilden. Wir sind hier im Stadtteil Jungbusch angesiedelt, in dem viele Bewohnerinnen und Bewohner einen Migrationshintergrund haben. Seit 15 Jahren ist hier auch die orientalische Musikakademie beheimatet, mit der wir gut zusammenarbeiten.

nmz: Jeder an der Popakademie muss Mitglied eines Ensembles oder einer Band werden. Gilt das auch für die Weltmusikstudent*innen?

Dahmen: Auf jeden Fall. Wir verfolgen einen transkulturellen Ansatz. Neben der Pflege der eigenen Musikkultur sollte auch hier etwas Neues entstehen. Es gibt ganz gemischte Bands wie das Pulse Project, das orientalische Klänge mit Fusion mischt. Auf der anderen Rheinseite bei der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz hat sich das Ensemble Colourage gegründet, in dem sich mehrere unserer Studierenden befinden. Hier entstehen transkulturelle Kompositionen für Orchester.

nmz: Welches sind für Sie die wichtigsten Veränderungen der Musikindustrie der letzten 20 Jahre?

Dahmen: 2003 haben wir die freie Download-Szenerie erlebt – ich erinnere an Napster. Das führte dazu, dass die Musikindustrie zwischen 40 und 50 Prozent ihrer Umsätze verloren hat. Dann wurden neben der CD kostenpflichtige Downloads eingeführt – Vinyl war sehr klein. In den Folgejahren erhielt das Live-Geschäft größere Bedeutung, weil man mit Tonträgern fast kein Geld mehr verdienen konnte. Für uns als Popakademie war diese Entwicklung gut, weil die hier gebildeten Bands viele Auftrittsmöglichkeiten bekamen. Im Laufe der Zeit wurde Streaming immer wichtiger – heute liegt der Anteil am Gesamtumsatz bei rund 80 Prozent. Durch Plattformen wir Spotify und Social Media können sich die Musikerinnen und Musiker selbst vermarkten, was wiederum die Unternehmerseite, die wir schon immer vermittelt haben, noch wichtiger macht.

nmz: Und wie hat sich die Popmusik in Deutschland verändert seit 2003?

Dahmen: Der deutschsprachige Pop hat große Erfolge gefeiert – das war 2003 noch nicht abzusehen. Dass auch deutsche Künstlerinnen mit englischen Songs international ganz vorne landen können, zeigte Alice Merton 2016 mit ihrem Hit „No Roots“. Parallel hat sich Independent als eigenes Genre etabliert. Hip-Hop ist zu Mainstream geworden. Die Durchlässigkeit zum internationalen Markt hat sich dank der Digitalisierung und Plattformen wie Facebook oder Instagram verstärkt. Es gibt aus unserem Haus etliche Producer, die für die Rapper Drake oder Kanye West gearbeitet haben. 2021 hat Dua Lipa für ihr Album „Future Nostalgia“ einen Grammy gewonnen, bei dem der Stuttgarter Produzent und Songwriter Michel „Lindgren“ Schulz den Song „Good in Bed“ beigesteuert hat. Im Bereich der elektronischen Musik ist Deutschland überhaupt international sehr präsent.

nmz: Für zwei Jahre fand durch die Coronapandemie der boomende Livemarkt ein Ende. Hat die Popszene in dieser Zeit neue Formen der kreativen Arbeit entdeckt, auf die man jetzt zurückgreifen kann?

Dahmen: Absolut. Songwriting und gemeinsames Produzieren übers Internet hat sich extrem verstärkt in diesen Jahren. Das funktioniert sehr gut. Unsere Songwriting-Camps haben durch die Online-Ausrichtung an Internatio­nalität gewonnen. Wir hatten auch Teilnehmer*innen aus dem Senegal und aus Namibia, vor dem Krieg auch aus Russland und der Ukraine.

nmz: Früher hat man Alben produziert, heute muss ein Song von Beginn an funktionieren, sonst wird geskippt. Wie gehen Sie damit um in der Ausbildung?

Dahmen: Wir haben ungefähr 400 Studierende, wir haben 50 Bands im Haus und ungefähr 30 Studioteams. Wir schreiben nicht vor, welche musikalische Präferenzen die oder der einzelne haben sollen. Die Phänomene aber müssen wir beschreiben und erklären. Die Entscheidung, ob ich mich in diesen Streaming-Zirkus hineinbegebe oder nicht, bleibt beim Studierenden. Auch Gegenentwürfe können erfolgreich sein. Aber wenn man im Mainstream Erfolg haben will, dann muss man bei einem Song in den ers­ten zehn Sekunden etwas Markantes entwickeln, bevor die Aufmerksamkeit des Hörers schwindet.

nmz: Und Sie beeinflussen Ihre Studierenden wirklich nicht? Sie möchten doch, dass ihre Studentinnen und Studenten erfolgreich sind.

Dahmen: Natürlich möchten wir das, aber was bedeutet Erfolg? Man kann auch in der sogenannten Nische erfolgreich sein. Wer weiß denn heute schon, was der Mainstream in ein oder zwei Jahren abbilden wird? Der große Erfolg von Apache 207, um ein Beispiel zu nennen, war nicht vorhersehbar. Das Brechen des Klischees, die eigene Farbe wird immer wichtig sein.

nmz: Geht die Ausbildung an der Pop­akademie in Mannheim, die ganz bewusst marktorientiert gehalten ist, nicht zu Lasten der Individualität?

Dahmen: Keineswegs. Jede unserer 50 Bands spielt ein 40-minütiges Abschlusskonzert im Sommer. Da ist von Hardcore über Hip-Hop und Songwriting bis zu Elektronik alles dabei. Das Wissen über den Mainstreammarkt ist ja nicht hinderlich. Ich kann mich immer entscheiden, was ich mache. Timo Kumpf, der Bassist von Get Well Soon, hat hier am Haus studiert und mit dem Maifeld Derby ein großes Independent-Festival ins Leben gerufen. Den Vorwurf, vor allem Mainstream zu produzieren, haben wir immer wieder gehört. Er ist nicht stichhaltig.

nmz: Die Popakademie hat kommerziell erfolgreiche Künstler und Bands hervorgebracht wie Joris, Max Giesinger und Revolverheld. Pathos ist wieder in. Inwieweit war die Popakademie auch Trendsetter für die Szene?

Dahmen: Hier wurden schon viele Dinge ausprobiert, die dann eine größere Ausstrahlung bekamen – auch durch die Vernetzung, die wir hier betreiben. Max Giesinger hat selbst zwar nicht an der Popakademie studiert, seine komplette Band aber schon. Max war bei uns im Bandpool dabei, so dass er mit seiner Band 18 Monate lang durch unsere Workshops gefördert wurde – und zwar in der Richtung, in der er bereits unterwegs war. Ähnliches gilt für Bands wie Revolverheld, ClockClock oder Betterov.

nmz: Welche Trends sehen Sie noch, die in Mannheim gestartet sind?

Dahmen: Get Well Soon mit Konstantin Gropper im Indie-Bereich habe ich schon genannt. Christian „Crada“ Kalla, einer unser Producer-Absolventen, hat für Drake und Alicia Keys geschrieben und produziert. Der bereits erwähnte Michel Schulz und Jonas Mengler sind ebenfalls sehr erfolgreiche Produzenten. Als deutschsprachige Songwriterin würde ich noch Mine nennen.

nmz: Welche Chancen bietet KI für die Popmusik – und welche Gefahren?

Dahmen: Viele Produktionsprozesse werden sich durch KI weiter vereinfachen, gerade bei den Arrangements. Es wird auch noch einfacher werden, einen Mainstreamsong nachzubauen nach den Erfahrungen, die man bereits gemacht hat. Das führt natürlich zu mehr vom Gleichen. Und hat keinen künstlerischen Impact mehr. Das Gefühl dafür, warum ich einen bestimmen Text auf eine spezielle musikalische Art und Weise vertone, besitzt die KI nicht. Dazu kommt, dass in der Kunst Kreativrevolutionäre Dinge tun, die genau anders sind, als man es erwarten würde.

Rock 'n' Roll, die Beatmusik der 60er-Jahre, Punk, Hip-Hop, elektronische Musik sind das Gegenteil von stromlinienförmig. Uns an der Popakademie geht es darum, genau dieses Potenzial zu fördern.

nmz: Inzwischen gibt es an vielen normalen Hochschulen Pop-Studiengänge – zum Beispiel in Mannheim, Trossingen, Köln, Berlin. Ist die Ausbildung vergleichbar zur Popakademie?

Dahmen: Es gibt vor allem in Hannover, Osnabrück, Münster und an der privaten Hochschule der populären Künste Berlin vergleichbare Studiengänge. Alle anderen heißen „Jazz und Popularmusik“ und haben nach wie vor einen starken Jazzschwerpunkt. Bei uns steht die Künstlerin oder der Künstler im Mittelpunkt mit seiner eigenen Musik und eigenen Texten in Verbindung mit seiner unternehmerischen Tätigkeit und die Ausbildung von zukünftigen Managern – ohne stilistische Vorgaben. Das gibt es nur an der Popakademie Mannheim.

nmz: Arbeiten Sie mit anderen Musikhochschulen zusammen?

Dahmen: Auf jeden Fall. Gerade die Zusammenarbeit mit der Mannheimer Musikhochschule mit ihrem Jazzstudiengang ist sehr eng. Am 13. Juni hatten wir auf der Landesgartenschau in Mannheim ein Konzert mit Joris, seiner Band und dem Orchester der Musikhochschule Mannheim. Im pädagogischen Bereich wird es ab dem Wintersemester eine neue Koopera­tion mit der Karlsruher Musikhochschule geben. Dort werden wir Popularmusik unterrichten.

nmz: Einige der Absolventinnen und Absolventen der Popakademie werden Musiklehrer. Was macht die Popakademie in der Ausbildung anders als die Musikhochschule?

Dahmen: Wir bilden keine Instrumentallehrer aus, sondern unsere Absolventen können an allgemeinbildenden Schulen, aber auch an Kindergärten und Jugendhäusern Popmusik unterrichten. Dafür haben wir in unserem Masterstudiengang einen Bereich „Education Artist“ eingerichtet. In unserem Projekt „Pop macht Schule“ lassen wir unsere Studentinnen und Studenten an den Schulen arbeiten – auch die Lehrerinnen und Lehrer erhalten eine Fortbildung.

nmz: Sie können nicht ganz vom Pop lassen und arbeiten nun für das Minis­terium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg bei einem Projekt namens Popländ. Was machen Sie da?

Dahmen: Ich bin Teil des POPLÄND – Dialog Popkultur, einem Dialogprozess zwischen Künstlern, Veranstaltern, Musikmanagern, Hochschulen und Landesmusikratsverbänden zum Thema Popkultur.

Es geht um eine Bestandsaufnahme und eine Perspektive, wie man Förderstrukturen verbessern kann. Die erste von vier Konferenzen mit dem Thema Identität hat schon stattgefunden. Wir beschäftigen uns mit Räumen: Proberäumen, Zwischennutzungsmöglichkeiten und Locations für Veranstaltungen. Auch Künstliche Intelligenz wird ein großes Thema sein. Im Mai 2024 gibt es dann auf der „About Pop“-Messe in Stuttgart die Abschlussveranstaltung dazu.

nmz: Geben Sie noch Schlagzeugunterricht?

Dahmen: Nach 20 Jahren habe ich 2022 mit dem regulären Unterricht aufgehört. Aber Workshops gebe ich nach wie vor, zurzeit bei „Drums und Percussion“ in Paderborn. Das möchte ich noch ein bisschen ausbauen.

nmz: Welchen Tipp haben Sie für eine junge Band in Deutschland?

Dahmen: Was ist besonders an euch? Wie schafft ihr es, das Besondere herauszuarbeiten? Was kann in diesem Zusammenhang auch musikalisch weggelassen werden? Wer übernimmt welchen Job in der Band, organisatorisch und musikalisch? Gibt es Leute im Umfeld, die Social Media, PR und das Booking für Euch machen?

nmz: Das sind ja gleich mehrere Tipps.

Dahmen: Das war eben 20 Jahre lang mein Job.

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