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Barbara Scheuch-Vötterle
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Verpflichtung, Menschen für Musik zu begeistern

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Ein Interview mit der Verlegerin Barbara Scheuch-Vötterle zu ihrem 60. Geburtstag
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Vor wenigen Tagen feierte die Verlegerin Barbara Scheuch-Vötterle ihren 60. Geburtstag. Seit mehr als 30 Jahren leitet sie erfolgreich die Geschicke des Bärenreiter-Verlags, der 1923 von ihrem Vater Karl Vötterle gegründet wurde. Mit Susanne Fließ sprach Barbara Scheuch-Vötterle über die Anfänge von Bärenreiter, über notwendige Neuorientierungen und über die Perspektiven eines inhabergeführten Musikverlags im Zeitalter des Controllings.

neue musikzeitung: Frau Scheuch-Vötterle, am 27. November feierten Sie Geburtstag, herzliche Glückwünsche und viel Erfolg auch im kommenden Lebensjahr! Wie haben Sie den Festtag denn begangen?
Barbara Scheuch-Vötterle: Es gab zunächst einen Empfang mit den Mitarbeitern im Hause Bärenreiter, am Tag darauf fand dann in der Alten Brüderkirche in Kassel ein Konzert mit tschechischen Liedern, gesungen von der Mezzo-Sopranistin Dagmar Peckova aus Prag, statt. Womit Bärenreiter abermals eine Brücke nach Prag schlug.

neue musikzeitung: Inwiefern ist Prag ein Bezugspunkt für Sie?
Scheuch-Vötterle: Mein Vater Karl Vötterle hatte schon in den 50er-Jahren Kontakte zu den tschechischen Staatsverlagen aufgenommen. Sie mündeten in die Vertretung der tschechischen Verlage für Westeuropa durch den Bärenreiter-Verlag.
Kurz nach der „sanften Revolution“ haben wir den tschechischen Staatsverlag Supraphon übernommen, der sich noch vor der Wende von seiner Schallplattenproduktion getrennt hatte. Bärenreiter beteiligte sich an der Privatisierung des Verlags, was ein sehr steiniger Weg war. Den jüngsten Spross haben mein Mann und ich „Editio Bärenreiter Praha“ genannt, produzieren inzwischen dort mit großem Erfolg und empfinden Prag als eine zweite Heimat.

neue musikzeitung: Seit wann leiten Sie den Verlag und seit wann ist er Teil Ihres Lebens?
Scheuch-Vötterle: Ich bin 1972 in die Geschäftsleitung bei Bärenreiter eingetreten, aber der Verlag ist eigentlich seit frühester Kindheit aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Wenn man ins Haus eines Musikverlegers geboren ist, so wächst man mit und in Musik auf. Der Wunsch mitzuarbeiten, kam sehr früh. Ich hatte damals gerade begonnen, Jura zu studieren und wollte mich auf Urheberrecht spezialisieren. Da erkrankte mein Vater schwer und bat mich, ihn bei der Verlagsarbeit zu unterstützen. Plötzlich wurde mir bewusst, wie wenig gemeinsame Zeit wir vielleicht noch miteinander haben würden. So begann ich bei Bärenreiter eine Verlagslehre und habe noch ein paar wunderbare Jahre an seiner Seite verbringen können.

neue musikzeitung: Ihnen geht der Ruf voraus, den Bärenreiter-Verlag erfolgreich durch schwere Zeiten manövriert zu haben. Worin bestanden die?
Scheuch-Vötterle: Das Unternehmen bestand ursprünglich nicht nur aus dem Verlag, sondern hatte auch die gesamte technische Verarbeitung im Haus: Setzerei, Druckerei, Buchbinderei. Recht sorglos wurden alle Umsätze in einen Topf geworfen und dann umgekehrt aus diesem Topf die einzelnen Betriebsteile bedient, so dass es keine Übersicht darüber gab, welche Betriebsteile sich rentierten. Als sich die Situation zuspitzte, beschloss ich gemeinsam mit meinem Mann, den Bärenreiter-Verlag von einer Unternehmensberatung durchleuchten zu lassen. Aufgrund dieser Analyse trennten wir uns von den Betriebsteilen, die nicht wirtschaftlich arbeiteten, auch wenn das für mich persönlich sehr schmerzlich war, denn damit war auch die Entlassung von Mitarbeitern verbunden, die ich seit meiner Kindheit kannte.

neue musikzeitung: Als der Verlag 1923 gegründet wurde, welchen Schwerpunkt gab es da und welche Schwerpunkte setzen Sie heute?
Scheuch-Vötterle: Der Impuls meines Vaters, den Verlag zu gründen, kam aus der Wandervogel-Bewegung. Für die „Wandervögel“ wollte er passende und preiswerte Noten herstellen. Sein Startkapital waren nicht mehr als 70 tschechische Kronen, damals eine sichere Währung, denn in Deutschland herrschte Inflation. Dass der Verlag bald so stark wachsen würde, hat mein Vater sicherlich nicht erwartet. Als nächstes öffnete sich der Verlag der evangelischen Kirchenmusik. Beim Herausgeben der Werke Bachs stellte mein Vater fest, wie mangelhaft die alte Bach-Gesamtausgabe und auch die alte Mozart-Ausgabe waren. Das war die Geburtsstunde der Urtext-Ausgaben. Mit den neuen Gesamtausgaben von Bach, Händel, Mozart, Schubert, Berlioz und anderen ist Bärenreiter schnell international bekannt geworden, auch wenn die etablierten Verlage die Vorhaben dieses enthusiastischen Anfängers zunächst belächelten. Doch auf diesen großen Erfolgen dürfen wir uns nicht ausruhen. Wenn Projekte abgeschlossen werden wie die Neue Mozart-Ausgabe, die Neue Bach-Ausgabe oder die MGG, muss Neues an ihre Stelle treten. So finden sich heute im Sinne einer Erweiterung des Verlagsprogramms mit Rossini, Brahms, Elgar, Lalo, Vierne und Rachmaninow Komponisten im Programm, die für Bärenreiter Neuland sind.

neue musikzeitung: Eine Reihe junger Komponisten hat ein geistiges Zuhause unter dem Dach von Bärenreiter gefunden. Wie entsteht der Kontakt zu ihnen?
Scheuch-Vötterle: Mein Mann und ich haben uns von Anfang an vorgenommen, dass wir nur Komponisten in den Verlag aufnehmen, deren Werk und deren Persönlichkeit wir gleichermaßen schätzen. Denn man kann sich als Musikverleger nicht für einen jungen Komponisten einsetzen, wenn es menschlich nicht funktioniert, umso mehr, als viele Gespräche ja nicht im Büro stattfinden, sondern zu Hause oder irgendwo unterwegs. Nicht wenige „unserer“ Komponisten sind schon fast Familienmitglieder. Bevor wir neue Komponisten an das Haus binden, prüfen wir sehr genau. Zum einen empfehlen die schon festen Komponisten Schüler, die wir uns dann anschauen und anhören. Zum anderen sind wir beide viel bei Konzerten unterwegs und hören uns neue Werke an. Michael Töpel, dem Lektor für Zeitgenössische Musik, und seinem Urteil vertrauen wir sehr, dazu kommt seit kurzer Zeit noch eine Musikdramaturgin, Marie Luise Mainz, die sich stark um die Kommunikation zwischen Bärenreiter, den Komponisten und den Veranstaltern bemüht.

neue musikzeitung: Der Markt hat sich in den vergangenen Jahren sehr verschärft und auch Bärenreiter hat die Aufgabe, sein Verlagsprofil zu schärfen, neu zu definieren und sich zu positionieren.
Scheuch-Vötterle: Aus meiner Sicht ist die Entwicklung im Musikverlagswesen besorgniserregend. Industrieverlage kaufen Musikverlage, und die Eigenständigkeit der Verlage verschwindet. Statt Fachleute an die Spitze zu berufen, werden Controller eingesetzt, die nur noch auf die Zahlen schauen. Im Bereich der zeitgenössischen Musik können die Zahlen natürlich niemals schwarz sein, denn dort investiert man in die Zukunft, also schwindet das Engagement für zeitgenössische Musik mehr und mehr. Genauso werden auch die wissenschaftlichen Bereiche gekürzt. Es wird nur noch in die Bereiche investiert, die in kurzer Zeit einen hohen Ertrag bringen. Aber Neue Musik kann man nicht an ihrem Erstumsatz messen, die Dinge müssen reifen und benötigen auch einen Schutzraum, um sich zu entwickeln. Ganz zu schweigen von den Mitarbeitern, die dem Profit geopfert werden. Wir wollen mit unserem Familienunternehmen ein Gegengewicht zu dieser fatalen Entwicklung bieten.

neue musikzeitung: Gibt es denn auch Dinge, auf die Sie ganz persönlich stolz sind?
Scheuch-Vötterle: Alles, worauf ich stolz bin, oder sollte ich besser sagen, was wir erreicht haben, haben wir gemeinsam erreicht: mein Mann, das Team im Hause Bärenreiter und ich.

neue musikzeitung : Immerhin sind Sie ja für die Personalpolitik verantwortlich …
Scheuch-Vötterle: Dieses Team von 160 Mitarbeitern, nicht nur in Kassel, auch in Prag und London, steht hinter dem Verlag und setzt sich für die Produkte des Hauses ein. Dass wir diesen Personalstand über Jahre mehr oder weniger gehalten haben, macht mich zufrieden. Es ist doch ein großer Unterschied für die Mitarbeitermotivation, ob ein Geschäftsführer eingesetzt wurde oder ob die Inhaber selbst den Verlag leiten. Und das schönste Geschenk für meinen Mann und mich war, dass unser Sohn Clemens inzwischen engagiert und intensiv bei Bärenreiter mitarbeitet und der Verlag damit später einmal in die Hände des Enkels übergeht.

neue musikzeitung: Die Kunde, wie engagiert und mit wie viel Herzblut Sie die Verlagsarbeit betreiben, hat inzwischen auch die Regierung von Hessen erreicht.
Scheuch-Vötterle: Im Juli 2007 hat mir der hessische Kultusminister den Ehrentitel „Professor“ verliehen. Diesen Titel habe ich allerdings stellvertretend für alle Mitarbeiter hier im Haus angenommen. Er wurde auch für den gemeinsamen Einsatz im Bereich Musikpädagogik vergeben, ein Einsatz, den ein Musikverlag uneingeschränkt leisten muss. Wir können gar nicht oft genug sagen, was Singen und Musizieren bei Kindern bewirken. Deshalb müssen alle versuchen, junge Leute das ganze Leben lang für Musik zu begeistern. Es ließe sich mit vergleichsweise geringen Mitteln viel erreichen …

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