Die Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik waren ein von 1986 bis 2016 jährlich stattfindendes Festival in Weingarten/Württemberg. Das Festival wurde 1986 von der Pianistin und PH-Dozentin Rita Jans und den Publizisten Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn begründet und mit einem Programm von Klavierabenden und Vorträgen erstmals durchgeführt. Nach dem Tod von Rita Jans im Jahr 2017 wurde das Festival zunächst nicht weitergeführt.Inzwischen hat der Förderkreis eine Fortsetzung vorgestellt, das den Markenkern des früheren Festivals beibehält und konzeptionell weitet. Dieses Nachfolgefestival der Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik heißt weit! neue musik weingarten und findet vom 26. bis 28. November 2021 statt. Die neue musikzeitung sprach mit dem Festivalleiter Rolf W. Stoll.
neue musikzeitung: Ein Festival gründen in Corona-Zeiten, ist das nicht ein tollkühnes Unterfangen?
Rolf W. Stoll: Ein bisschen länger als Corona jetzt im Land ist haben wir schon geplant, genauer gesagt seit Mitte 2019. Der Verein weit! weingarten e. V. in Ravensburg-Weingarten und ich sind damals übereingekommen, dass wir das Festival „Internationale Weingartener Tage für Neue Musik“, das immerhin 30 Jahre lang Bestand hatte, nicht einfach sterben lassen können, sondern dass wir damit weitermachen müssen.
nmz: Die Partner sind die gleichen wie früher?
Stoll: Die Partner sind im Wesentlichen die Stadt Weingarten und die Pädagogische Hochschule Weingarten – die Pädagogische Hochschule unter anderem deshalb, weil es in Weingarten nicht genügend Spielstätten gibt – wir brauchen also die Aula und den Festsaal der Hochschule –, außerdem haben wir einen Schwerpunkt auf Education, also auf Projekten, die, wenn sie nicht gleich mit Schülerinnen und Schülern stattfinden, dann doch über Studierende der Pädagogischen Hochschule Weingarten in die Schulen getragen werden.
nmz: Früher bestand das Publikum des Festivals zum großen Teil aus zugereistenFachhörern und -hörerinnen – auf die setzen Sie vermutlich weiterhin, aber gibt es auch ein interessiertes Publikum vor Ort?
Stoll: Es gibt sogar ein ziemlich starkes Publikum, dass aus der Region kommt beziehungsweise aus Weingarten-Ravensburg bis zum Bodensee. Wir hatten bisher zwei Einzelkonzerte, eines mit dem Arditti Quartet und eines mit dem Ensemble Ascolta, und beide Konzerte waren ausverkauft – natürlich unter Corona-Bedingungen mit jeweils 75 zugelassenen Gästen.
nmz: Mit 75 Karten pro Konzert kann man kein Festival finanzieren. Wie stemmen sie das?
Stoll: Wir haben ein Budget von 100.000 Euro, um das wir uns natürlich jedes Jahr wieder neu bemühen müssen, aber: Es gibt eine feste Finanzierungszusage von Seiten der Stadt, die Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule, dazu mehrere Sponsoren aus der Region und erstmalig das Engagement einer großen Schweizer Stiftung, der „Art Mentor Foundation“ in Luzern, die fast die Hälfte des Budgets beiträgt.
nmz: Das Prinzip des Composers in residence, das bereits die Musiktage unter Rita Jans prägte, behalten Sie bei?
Stoll: Das behalten wir bei. Das war sozusagen der Markenkern des bisherigen Festivals und gerade in der Neuen Musiklandschaft wäre es nicht sehr klug, diesen Markenkern und dieses Alleinstellungsmerkmal aufzugeben.
nmz: Ein Blick ins Programm der Festival-Premiere zeigt, dass es nicht nur um Musik, sondern auch um japanische Malerei geht. Wie ist das gedacht?
Stoll: Ursprünglich waren die „Weingartener Tage für Neue Musik“ eigentlich ganz fokussiert auf die Neue Musik. Ich möchte das Festival ausweiten und halte es für wichtig, dass die Neue Musik, die da erklingt, auch kontextualisiert wird. Da bietet es sich bei Toshio Hosokawa, der dieses Jahr Composer in residence ist, an, sich auf die traditionellen japanischen Künste zu beziehen. Deswegen haben wir dieses Jahr zwei Performances: einmal die Performance einer japanischen Ikebana-Meisterin und das andere Mal die einer japanischen Kaligraphie-Meisterin. Im Zentrum seiner Musik und unseres Festivals steht unser Verhältnis zur Natur. Das nächste Jahr – das kann ich jetzt schon verraten – wird Sarah Nemtsov als Composer in residence bei uns sein. Ihre Werke haben unter anderem einen sehr starken Literaturbezug. Entsprechend wird auch beim Festival – neben Fragen von Flucht, Emigration und Exil – die Literatur eine große Rolle spielen. Derart wollen wir die Neue Musik immer in Bezug zu gesellschaftlichen Fragen und anderen Künsten setzen.
nmz: Erzählen Sie doch bitte etwas zu den einzelnen Projekten.
Stoll: Wir starten im Eröffnungskonzert, das den Titel „Sakura“ trägt, mit einer Ikebana-Meisterin beziehungsweise einer Ikebana-Performance. Dazu treten die Sho-Meisterin Mayumi Miyata und der Geiger Irvine Arditti als Solisten auf mit Werken von Hosokawa, aber auch von John Cage. Damit knüpfen wir an die ganz frühen Tage der „Weingartener Tage für Neue Musik“ an, denn John Cage war der erste Composer in residence in Weingarten. Das zweite Konzert trägt den Titel „Flowers & Raven“ mit dem Ensemble Musikfabrik, der Mezzosopranistin Christina Daletska, der Hornistin Christine Chapman sowie dem Tubisten Melvyn Poore als Solisten. In der ersten Hälfe werden Kammermusikwerke von Hosokawa gespielt, kleinbesetzte Werke, und im zweiten Teil haben wir die Möglichkeit, Hosokawas Monodram für Mezzosopran und zwölf Spieler nach Edgar Allan Poes „The Raven“ zu erleben, ein Stück, das nicht sehr häufig gespielt wird. Im dritten Konzert „Deep Silence“ am Samstagmorgen spielen – dieses wundervolle Programm habe ich schon mal als CD-Produzent bei Wergo produziert – Mayumi Miyata auf der Mundorgel „Sho“ und Stefan Hussong auf dem Akkordeon traditionelle Gagaku-Stücke, plus Hosokawa-Stücke.
nmz: Was sind Gagaku-Stücke?
Stoll: Wörtlich übersetzt heißt Gagaku „die elegante Musik“. Das sind traditionelle japanische Stücke, die die Japaner auch den „Goldenen Grund“ nennen, eine höfisch-rituelle Musik.
Das vierte Konzert „Voyages imaginaires“ spielen Mayumi Miyata, Jeroen Berwaerts und Xandi van Dijk – drei Solo-Konzerte an einem Abend, ergänzt um zwei sehr traditionelle europäische Stücke, die „Feuer-Sinfonie“ von Haydn und von Bach Kanon und Fuge aus der „Kunst der Fuge“ im Arrangement von George Benjamin.
nmz: Den krönenden Abschluss macht das Arditti-Quartett?
Stoll: Ja. Im Sonntagmorgenkonzert „Landscapes“ wird das Arditti Quartet sowohl Solo-Werke als auch vier Streichquartette von Hosokawa spielen. Dazwischen, am Samstagnachmittag, gibt es einen Vortrag der Japanologin und Musikethnologin Ingrid Fritsch über „Werden und Vergehen, Musiktraditionen im traditionellen Japan“, um diese Verbindung, die Hosokawa zur japanischen Tradition hat und auf die er sich auch beruft, deutlich zu machen. Dann gibt es die besagte Kalligraphie-Performance und letztlich auch einen Vortrag von Toshio Hosokawa zur Kalligraphie des Klangs. Das ist das dreitägige Programm – sehr dicht und ich glaube auch sehr Erlebnis-versprechend.
nmz: Wie viele Tickets gibt es?
Stoll: Wenn man die Konzerte unter den Bedingungen Mitte August stattfinden lassen könnte, dann fassen die Säle von 120 Personen in der St. Martin Basilika, bis 280 in der Pädagogischen Hochschule und bis 800 im Kultur- und Kongresszentrum Weingarten, wo das Konzert mit dem Münchener Kammerorchester stattfinden wird. Aber das kann im November natürlich wieder anders aussehen …
nmz: Sie arbeiten mit Professor Christoph Stange von der Pädagogischen Hochschule Weingarten zusammen?
Stoll: Ja. Christoph Stange hat mit Studierenden drei Installationen erarbeitet, die sich auf die Musik Hosokawas beziehen. Alle drei Installationen werden an verschiedenen Orten innerhalb der Pädagogischen Hochschule präsentiert.
www.weit-weingarten.de