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Antje Valentin lächelt freundlich und selbstsicher in die Kamera. Ihr hellbraunes Haar trägt die Frau mittleren Alters offen über ihre Schultern nach vorne fallend. Sie trägt einen dunklen Blazer, eine rote Bluse und eine große, rote, abgerundete Brille.

Antje Valentin ist die neue Generalsekretärin des Deutschen Musikrats.  Foto: J. Konrad Schmidt

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„Wir kämpfen für die Musik“

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Die neue Generalsekretärin des Deutschen Musikrats Antje Valentin im nmz-Gespräch
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20 Jahre lang prägte Christian Höppner das Amt. Auf eigenen Wunsch hat er seinen Vertrag nun nicht mehr verlängert. Seine Nachfolgerin ist seit dem 1. März Antje Valentin. Die neue Generalsekretärin des Deutschen Musik­rats studierte Instrumentalpädagogik mit Hauptfach Klavier an der Universität der Künste Berlin sowie Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“. Sie arbeitete als Pianistin und Instrumentalpädagogin, leitete die Musikschule Berlin-Friedrichshain und war stellvertretende Leiterin der Landesmusikakademie Berlin. Zuletzt war sie fast 13 Jahre lang Direktorin der Landesmusikakademie NRW.

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neue musikzeitung: Herzlichen Glückwunsch und alles Gute in Ihrem neuen Amt! Wird da nicht zu viel von Ihnen verlangt, die gesamte Vielfalt an Musik und Musikschaffenden in Deutschland zu vertreten?

Antje Valentin: Diese Frage stelle ich mir fortwährend. Aber wir sind aufgrund unserer 111 Mitgliedsverbände ja sehr gut aufgestellt, denn jeder Verband arbeitet intensiv an der Vertretung seiner Themen. Diese enorme Vielfalt zu moderieren und gemeinsame Interessen zu bündeln ist vor allem meine Aufgabe, und darüber hinaus vielleicht bisher noch nicht so im Fokus des DMR stehende Themen und Genres aufzugreifen. Deshalb gehe ich momentan gezielt auf Bereiche wie Jazz und Pop zu, für die der Musikrat bisher nicht so viel Sichtbarkeit geschaffen hat. Gleichwohl bin ich klassische Pianistin und weiß, worum es in der Klassik geht, etwa um Mindesthonorare – wobei dieses Thema für alle Genres essenziell ist. Ich sage bewusst „Mindesthonorare“, weil eine faire Vergütung natürlich der Anspruch ist, man aber erst darüber übereinkommen muss, welche Mindesthonorare umsetzbar und damit auch zu empfehlen sind. Diese Überlegungen betreffen hauptsächlich selbständig Beschäftigte, insbesondere Soloselbständige. Momentan beraten wir Honoraruntergrenzen für die Lehre und parallel dazu eine Harmonisierung der unterschiedlichen Empfehlungen für Konzertmindesthonorarstandards unserer Mitgliedsverbände, mit der Musikwirtschaft und den Freien, etwa mit dem Zusammenschluss Freie Ensembles und Orchester FREO und anderen. 

nmz: Viele freiberufliche Lehrkräfte an Musikschulen sind eigentlich „Scheinselbständige“.

Valentin: Das „Herrenberg“-Urteil des Bundessozialgerichts hat zu klären versucht, unter welchen Voraussetzungen die Lehrtätigkeit an einer Musikschule, Musikhochschule oder Akademie als „frei“ oder „fest“, also weisungsgebunden und sozialversicherungspflichtig, zu werten ist. Um diese Unterscheidung justiziabel treffen zu können, bedarf es jedes Mal eines Statusfeststellungsverfahrens. Hier wäre eine Generallösung anzustreben. Ich kann nicht verstehen, dass die Sozialversicherungen jeden einzelnen Fall prüfen, obwohl es klare Vergleichbarkeiten gibt. Was die Mindesthonorarstandards angeht: Bei den Honoraren für Unterrichtsstunden muss man auch die Lebenshaltungskosten in Städten und Regionen berücksichtigen, also Indizes erarbeiten und dann entsprechend berücksichtigen. So weit sind wir aber noch nicht. Bis zum Sommer möchten wir mit der Arbeitsgruppe „Konzerthonorare“ erst einmal eine einheitliche Empfehlung für Konzertmindesthonorare erarbeiten.

nmz: Es wird dann mehr Konzerte mit auskömmlicher Honorierung geben, aber unterm Strich weniger Konzerte als bisher, wenn nicht gleichzeitig die Kulturetats angehoben werden.

Valentin: Wir sind mit dem Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft BDKV und der LiveMusikKommission (LiveKomm) im Gespräch, um herauszufinden, ob diese ein Interesse an einer Mindesthonorarempfehlung haben, und siehe da: Das haben sie. Denn auch ihnen liegt daran, dass Künstlerinnen und Künstler nicht in der Altersarmut landen. Und wir müssen Druck auf Förderer wie die BKM ausüben, damit die Etats für Veranstaltungen erhöht werden.

nmz: Seit Jahrzehnten fällt Musikunterricht an Schulen aus. Ohne musikalische Allgemeinbildung gibt es weniger musikalische Spitzenleistungen und weniger Publikum. Nun soll der Musikunterricht in Thüringen noch weiter gestrichen werdenund auch in Bayern wird die gemeinsame Stundentafel für Musik, Kunst und Werken wohl vor allem auf Kosten der Musik gehen. Wie positionieren Sie sich dazu?

Valentin: Wir kämpfen für die Musik und das Unterrichtsfach Musik. In vielen Bundesländern gibt es Mischungen der Stundentafel für Musik, Kunst, Werken. Wo man keine Musiklehrer:innen hat, wird Musik einfach nicht im Unterricht stattfinden. Das ist absolut bedrohlich und dagegen müssen wir uns wehren. Wir wollen aus den Ergebnissen der „MULEM-EX“-Studie der Musikhochschulen und Universitäten zur Frage, woran der Einbruch von Interessenten für das Lehramtsstudium Musik liegt, Nektar saugen und eine Kampagne für die Ermutigung zum Musikpädagogikstudium entwickeln. Wir müssen auch einen Fuß in die Kultusministerkonferenz und die Schul- und Wissenschaftslandschaft bekommen.

nmz: Wie verheerend sich mangelnde kulturelle und musikalische Bildung von Führungspersonal auswirkt, zeigt sich aktuell darin, dass einige der bislang acht Kulturradios der ARD den Zusatz „Kultur“ aus ihrem Namen streichen und die ARD-Reform alle acht Kultursender an drei Abenden pro Woche zu einem gemeinsamen Musikprogramm zusammenlegt. An drei Abenden wird dann nur noch ein Achtel der bisherigen musikalischen Vielfalt und Diskursivität ausgestrahlt. Was sagen Sie dazu?

Valentin: Ich finde es unerträglich, dass die regionale Vielfalt im Hörfunk immer weniger präsent ist und frage mich, warum ausgerechnet bei den Kulturradios gespart wird. Ein gemeinsames Schreiben der vier Landtagspräsidentinnen von Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen regt an, Landesrundfunkanstalten anders zusammenzufassen, um dafür die in den Regionen vorhandene Vielfalt besser abzubilden. Ich stehe in Kontakt mit den Kulturverbänden und dem ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke. Es geht darum, die Fahne für Vielfalt und Regionalität hochzuhalten, auch für den ARD-Wettbewerb, der seit siebzig Jahren internationale Spitze anlockt und diese auch hervorbringt, weshalb er für die Profispitzenförderung ungemein wichtig ist.

nmz: Die ARD-Reform ist umso fataler, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk angesichts der zunehmenden Fliehkräfte in unserer Gesellschaft eigentlich immer wichtiger genommen werden müsste, weil er – so der Philosoph Jürgen Habermas – eine Grundvoraussetzung für unsere „deliberative Demokratie“ schafft, indem er redaktionell geprüfte Sachinformation und Berichterstattung bereitstellt und auch zu kultureller Vielfalt, regionaler Repräsentanz und zum argumentativen Wettstreit um die besten Lösungen beiträgt.

Valentin: Als Kulturinstitutionen wird uns angetragen, der Diversität in unserer Gesellschaft gerecht zu werden, was auch Förderprogramme wie der Fonds 360° der Kulturstiftung des Bundes unterstützen. Zugleich wird Diversität eingespart. Das kann nicht angehen! Musikalische Diversität und gesellschaftliche Diversität gehören zusammen. Der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ist Information, Kultur, gesellschaftlicher Diskus und nicht primär Unterhaltung. Noch mehr Spiele- und Quizshows braucht es nicht.

nmz: Neoliberale und extrem rechte Positionen delegitimieren Medien, Kunst- und Musikinstitutionen, indem sie ihnen die Verbreitung von Lügen sowie „links-grün-versiffte“ Programme vorwerfen. Zugleich versucht auch die gegenwärtige Politik in Bund und Ländern, Kunst und Kultur als dringend benötigten „gesellschaftlichen Kitt“ zu funktionalisieren. Wie positionieren Sie sich in diesem schwierigen Gemenge?

Valentin: Die Freiheit der Kunst ist unantastbar, hat aber eine Grenze bei menschenverachtenden, rassistischen, antisemitischen Inhalten – das sollte selbstverständlich sein. Wenn man Regelungen zu treffen versucht, um Antisemitismus Einhalt zu gebieten, bringt man ein Denkmodell von Reglementierung in die Kunst, das unter anderen politischen Vorzeichen genauso genutzt werden könnte. Denn man hat dann schon die Blaupause für Regierungen anderer Couleur geliefert, Kunst und Kultur zu reglementieren. 

nmz: Wir sollten uns eher glücklich schätzen, wenn gesellschaftliche Themen und Konflikte sich in Kunst niederschlagen und umgekehrt auch Kunst gesellschaftliche Debatten auslöst.

Valentin: Ganz genau. Cancle Culture ist nicht der Anwalt der Freiheit der Kunst. Wir verlieren etwas ganz Wichtiges, wenn wir hier zu regulieren anfangen. Aber man muss die Themen, Prozesse und Resultate natürlich auch begleiten und kritisch hinterfragen und zur Diskussion stellen. Die Leitung der documenta 15 hat damals sehr unglücklich agiert. Man muss Reibungen, die durch Kunst und Musik entstehen, nutzen, um sich als Kulturinstitution und Gesellschaft weiterzuentwickeln.

nmz: Der Musikrat muss sparen. Werden womöglich ganze Projekte und Personalstellen gestrichen?

Valentin: Uns wird gesagt, wir könn­ten glücklich sein, wenn wir die gleichen Mittel wie im laufenden Jahr bekommen. Aber es kann auch zu Mittelkürzungen kommen. Das lässt mich vieles befürchten. Diese Kürzungen werden den gesamten Kulturbereich betreffen, auf Landesebene ebenso wie auf Bundesebene. Das macht mir große Sorgen.

nmz: Haben Sie bereits Etatansätze?

Valentin: Für 2025 gibt es Planungen. Berechnet haben wir die Mittel für das Musikinformationszentrum miz, das auch für unsere politische Arbeit ein Rückgrat bildet. Für die Qualität der Arbeit des miz bedarf es einer gewissen Personalausstattung  für die jährliche Statistik und aktuelle Überarbeitung aller Daten, ohne die eine solche Datenbank tot ist. Die Personal­kos­tensteigerungen sind hier natürlich die Herausforderung. KI kann bei Verwaltungsprozessen Einsparungen ermöglichen, nicht aber bei wissenschaftlichen und recherchierenden Bereichen wie dem miz.

nmz: Sie liefern das nächste Stichwort: KIs generieren Texte, Bilder und Musik, die alle auf digitalen Texten, Bildern und Musik zahlloser Urheberrinnen und Urheber basieren, die dafür weder um Erlaubnis gefragt, noch als Eigentümer genannt, noch an den durch die KI-Programme erzielten Gewinnen beteiligt sind. Hier findet eine massenhafte Enteignung von geistigem Eigentum statt. Was unternimmt der DMR dagegen?

Valentin: Es muss ein Entgelt für urheberrechtlich geschützte Werke geben. Wir brauchen Lizenzierungen und empfehlen allen, bei ihren Inhalten im Internet eine Leseschranke einzusetzen oder zumindest eine Erklärung einzufügen, dass es strafbar ist, diese Inhalte zum Training von KI zu nutzen, was auch die GEMA ihren Mitgliedern geraten hat. Zusammen mit drei Bundesfachausschüssen aktualisieren wir das im letzten Jahr entstandene „Living Paper“ zu Musik und KI, das Forderungen formuliert. Diese möchten wir dann an Bund und Länder richten, weil unter anderem urheberrechtlich dringend nachjustiert werden muss. Wir arbeiten dabei auch mit der „Initiative Urheberrecht“ und deren Sprecher der Kreativen Matthias Hornschuh zusammen.

nmz: Sehen Sie strukturellen Handlungsbedarf innerhalb des Musikrats?

Valentin: Mein Bestreben ist, aus Blasen herauszukommen. Derzeit verfüge ich noch ein bisschen über Außenblick auf den Musikrat, den ich viele Jahre als Sprecherin der Bundes- und Landesmusikakademien in den Mitgliederversammlungen wahrgenommen habe. 
Das Präsidium, das mich jetzt gewählt hat, habe ich selbst vor zwei Jahren gewählt. Das ist ein schöner Rückbezug, gibt mir aber auch zu denken, dass man vielleicht zu sehr im eigenen Saft schmort. Wenn wir uns die Diversität der Gesellschaft anschauen, insbesondere was Zuwanderung anbelangt, dann ist das so bereichernd und hat so viel Potenzial für uns als Musikschaffende und als Gesellschaft, dass ich dafür gerne einige Blasen aufstechen möchte.

nmz: Wo sehen Sie den Deutschen Musikrat in fünf Jahren?

Valentin: Noch stärker in der Mitte der Gesellschaft. Ich möchte das vielfältige Musikleben in Deutschland noch sichtbarer machen und die gesellschaftliche Vielfalt noch besser abbilden. Zum Beispiel durch Ermutigungen, dass sich etwa die Baglama-Szene oder Globale Musik oder Weltmusik zu bundesweiten Vereinen zusammenschließt, damit der Musikrat diese Szenevertretungen dann auch als Mitglied aufnehmen kann. Ich möchte die große gesellschaftliche Chance, die wir durch Musik haben, stärker sichtbar machen.
 

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