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Abschied auf Raten: Jenas Generalmusikdirektor Boreyko geht +++ Claudio Abbado feiert seinen 70. Geburtstag


Abschied auf Raten: Jenas Generalmusikdirektor Boreyko geht
Jena (ddp-lth). Zu einem Abschied auf Raten gestaltet sich das Ende der Ära Andrey Boreyko an der Jenaer Philharmonie. Der Russe setzt am Samstag einen Schlusspunkt unter seine fünfjährige Amtszeit als Generalmusikdirektor des Klangkörpers. Dafür habe der 1957 in St. Petersburg geborene Dirigent Gustav Mahlers 3. Symphonie erwählt, erklärte Philharmonie-Sprecher Martin Herzog. Die Nachfrage nach Konzertkarten sei so groß, dass am Abend zuvor eine öffentliche Generalprobe stattfindet. Für das abendfüllende Werk von 1895/96 stehen neben dem Orchester auch dessen Knabenchor sowie Frauenstimmen des Philharmonischen Chores und des Jenaer Madrigalkreises auf der Bühne. Solistin ist Birgitta Svenden.
Doch Boreyko wird Jena nicht sofort den Rücken kehren. Unter seinem Dirigat können die Musikfreunde am 13. Juli ein Benefizkonzert zugunsten der Kulturstiftung Jena erleben. Dann werden Modest Mussorgskis «Bilder einer Ausstellung» in der Instrumentierung von Maurice Ravel und Sergej Prokofjews «Peter und der Wolf» erklingen. Die vorerst letzte Begegnung mit Boreyko gibt es dann zwei Tage später in der Jenaer Kulturarena bei einem multimedialen Klangerlebnis. Dann dirigiert der scheidende Generalmusikdirektor neben der Philharmonie auch «Techester». Dahinter verbergen sich ein DJ, zwei Perkussionisten und der Komponist Henry Mex, so dass sich die Zuhörer auf eine Mischung aus Klassik und Techno freuen können.
Die Verbindung von klassischer Musik mit modernen Rhythmen wie Rock, Pop und Jazz wurde zu einem Markenzeichen der Jenaer Philharmonie unter Boreyko. Dieser hatte die Jenaer Philharmonie auf ausdrücklichen Wunsch der Musiker zu Beginn der Spielzeit 1998/99 übernommen. Seinen ursprünglich auf drei Jahre geschlossenen Vertrag verlängerte er bis zum Ende dieser Saison. Ab der Spielzeit 2004/05 werden die Hamburger Symphoniker nach dem von Boreyko vorgegebenen Takt musizieren.
Die Jenaer Philharmonie muss in der nächsten Spielzeit ohne Generalmusikdirektor auskommen. Das Orchester ist noch auf der Suche nach einem Nachfolger. Um das Amt hatten sich 121 Musiker beworben, von denen 15 in die engere Wahl kamen, die sich bei Gastdirigaten dem Orchester zum Teil bereits vorgestellt haben .
http://www.jenaer-philharmonie.de

Claudio Abbado feiert seinen 70. Geburtstag
München (ddp). So kennt man ihn: mit Poloshirt oder offenem Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, ein Pullover lässig über die Schulter gehängt. Dabei ein feingeistiges, manchmal spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. Er ist kein Autokrat, kein Taktstock-Macho, der sich ein Orchester unterwirft und nach seinem Willen formt. Dafür schätzt er das offene Wort zu sehr, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit seinen Musikern. Claudio Abbado ist der Demokrat am Dirigentenpult. Eine Ausnahmeerscheinung in der Welt der klassischen Musik, die in der Gestalt auf dem Podest immer noch vor allem den absoluten Herrscher sieht. Am Donnerstag wird der italienische Musiker, langjähriger Leiter der Mailänder Scala und der Berliner Philharmoniker 70 Jahre alt.
Seine Abgeklärtheit der vergangenen Berliner Jahre, vor allem in der Zeit nach seiner schweren Krebserkrankung, steht in scharfem Kontrast zu den wilden Anfängen seiner fulminanten Karriere. Zusammen mit seinen Freunden, dem Komponisten Luigi Nono und dem Pianisten Maurizio Pollini, veranstaltete er im Industriegebiet von Reggio nellEmilia Konzerte für Arbeiter. Dabei scheute er sich nicht, mit der Kommunistischen Partei und den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Sein aufklärerischer Furor machte auch vor der ehrwürdigen Mailänder Scala nicht halt, die er von 1968 bis 1986 leitete. Er frischte das verstaubte Repertoire auf, vergab Kompositionsaufträge an junge Komponisten, setzte neue Inszenierungsstile durch und versuchte, Publikumsstruktur und die Kartenkontingentierung zu «sozialisieren».
Dabei stammte Abbado aus durchaus «bourgeoisen» Verhältnissen. Er wuchs in einer Mailänder Musikerfamilie auf. Sein Vater, von Beruf Geiger, war stellvertretender Leiter des Mailänder Konservatoriums, die Mutter spielte Klavier und schrieb Kinderbücher. Am Konservatorium Giuseppe Verdi studierte Abbado Klavier und Komposition, später Orchesterleitung in der legendären Dirigentenschmiede von Hans Swarowsky in Wien. Zwei renommierte US-Musikpreise, die er 1958 und 1963 gewann, ebneten seinen Weg an die Spitze der Dirigentenelite.
Rasch führte ihn seine Karriere an Italiens bedeutendstes Opernhaus, die Mailänder Scala. Von diesem Haus verabschiedete er sich erst nach fast 20 Jahren, weil die permanente Finanzmisere der Scala seine künstlerischen Möglichkeiten zunehmend beeinträchtigten. In Wien übernahm er die eigens für ihn geschaffene Stelle eines Musikdirektors der Wiener Staatsoper und der Wiener Philharmoniker. Auch in der österreichischen Hauptstadt setzte sich Abbado, nicht immer zum Gefallen der konservativen Wiener Kritiker, für das Randrepertoire ein. Legendär sind seine Aufführungen der «Chowantschtschina» von Modest Mussorgsky und Gioacchino Rossinis «Il viaggio a Reims».
Seit den 60er Jahren widmete sich Abbado intensiv pädagogischen Aufgaben. Das Chamber Orchestra of Europe und das Gustav-Mahler-Jugendorchester wurden von ihm mit aufgebaut. Den Zenit seiner Karriere erklomm der italienische Musiker im Jahre 1989 mit seiner Wahl zum Chefdirigenten und künstlerischen Leiter der Berliner Philharmoniker in der Nachfolge Herbert von Karajans. Der Wechsel vom autokratischen Führungsstil Karajans zum charismatischen Laissez-faire Abbados verlief zunächst nicht ganz reibungslos, führte jedoch bald zu durchschlagenden musikalischen Ergebnissen. Fast revolutionär waren die Hölderlin-, Faust-, Shakespeare- oder Berg/Büchner-Zyklen, die Musik, Theater, Literatur und Film miteinander verbanden. Konzertante Opernaufführungen von Mussorgskys «Boris Godunow» oder Bergs «Wozzeck» rissen Publikum und Kritik zu Begeisterungsstürmen hin. Auch bei den noblen Salzburger Osterfestspielen, die Abbado 1994 erstmals leitete, wehte ein frischer Wind.
Abbados langer Abschied von Berlin war von einer schweren Krebserkrankung überschattet. Nach einer Zwangspause kehrte er im Oktober 2000, schwer gezeichnet, aufs Dirigentenpult zurück. Der Schicksalsschlag schien das Einverständnis zwischen Dirigent und Orchester noch vertieft zu haben, wie hymnische Kritiken seines im Februar 2001 begonnenen Beethoven-Zyklus belegten. Im April vergangenen Jahres gab Abbado sein Abschiedskonzert und legte sein Amt in die Hände von Sir Simon Rattle, ein musikalischer Demokrat wie er selbst. Seither widmet sich der «stille Maestro», der mit seiner Familie auf Sardinien und im Engadin lebt, nur noch ausgewählten Projekten und Gastdirigaten. Zur Freude seiner Fans wird er im nächsten Jahr auch wieder in Berlin erwartet.