Claudio Abbado, geboren in Mailand am 26. Juni 1933, hat uns zu unserer grossen Bestürzung heute Morgen für immer verlassen. Für LUCERNE FESTIVAL bedeutet dies das traurige Ende einer langjährigen, unglaublich inspirierten und von grössten künstlerischen Erfolgen gekrönten Zusammenarbeit, die im Sommer 1966 mit dem Debut Claudio Abbados mit dem Schweizerischen Festspielorchester ihren Anfang nahm und im Sommer 2003 mit der Neugründung des LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA ihren Höhepunkt fand. Einen Höhepunkt, der LUCERNE FESTIVAL zu einem künstlerischen Höhenflug verhalf, wie ihn wohl nur ganz wenige Festivals erleben dürfen. Sein «Orchester der Freunde», wie er es selbst nannte, wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem der grossen Hoffnungsträger in der vielseitigen Landschaft der Sinfonieorchester und verkörperte Claudio Abbados künstlerischen Gestus und seine einzigartige interpretatorische Ästhetik in Reinkultur. Fern jeglicher Orchesterbürokratie fand das LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA von Beginn an zu einer idealen Symbiose zwischen künstlerischer Hingabe und interpretatorischer Exzellenz, die jede Aufführung zu einem einzigartigen, ja fast schon existentiellen Erlebnis werden liess, das sich an keine zeitlichen Normen hielt. Der musikalische Moment wurde scheinbar zur unbegrenzten Ewigkeit. Dies im Kontext einer tiefen und natürlichen Freundschaft zwischen Dirigent und Orchester.
Claudio Abbados ausgeprägtes Verständnis für das kammermusikalische Musizieren, für die Liebe zum Ensemble stand dabei klar im Vordergrund. Ein Orchester war und ist kein grosses Gebilde oder gar eine musikalische Masse, sondern ein Kollektiv von kleineren und grösseren Ensembles, die sich in ihrer hohen Differenziertheit unter der Führung eines «Primus inter pares» zusammenfinden und einen gemeinsamen musikalischen Weg gehen. Daran glaubte Claudio Abbado mehr als an alles andere, begann er doch seine eigene musikalische Laufbahn in der Welt der Kammermusik.
Und wenn der musikalische Glaube Claudio Abbados der Kammermusik, also der musikalischen Intimität entstammt, so hat sich dieser Glaube in seiner eigenen «Schule des Hörens» tief verankert. Er war kein Mann der grossen Worte, kein Freund langer Probendiskurse, vielmehr gestaltete sich der künstlerische Prozess unter seiner Leitung durch das stille Hören auf- und miteinander und auf das Vertrauen im Konzert alleine den ultimativen Höhepunkt der künstlerischen Interpretation zu finden. Unvergessen sind da die Momente grösster musikalischer Stille wie wir sie in den grossartigen Aufführungen der Sinfonien Gustav Mahlers und Anton Bruckners in Luzern erleben durften.
Mit einem grossartigen, zutiefst ergreifenden Moment der unendlichen musikalischen Stille beendete Claudio Abbado sein künstlerisches Wirken am 26. August 2013 in Luzern mit der Aufführung der neunten Sinfonie von Anton Bruckner, einem musikalischen Fragment. An diesem Abend stand die Vermutung im Raum, es wäre vielleicht sein letztes Konzert gewesen, so weit entfernt, tief verklärt schien uns allen Claudio Abbado an diesem unvergesslichen Abend, in diesem Moment der unfassbaren Stille. Zu unserem tiefen und grossen Bedauern ist diese Vermutung heute Wirklichkeit geworden.
«Wanderer, es gibt keinen Weg. Was zählt, ist allein das Gehen.» Dieses Zitat, welches Claudio Abbados langjähriger Weggeffährte der italienische Komponist Luigi Nono an der Mauer eines Klosters in Toledo fand, mag auch sinnbildlich für das Leben Claudio Abbados gewesen sein. Das Leben nicht durch Wege zu bestimmen, sondern vielmehr zu gehen, zu leben und Neues offen zu erfahren. Also das vermeintlich weglose Wandern und Suchen. Genau so suchte Claudio Abbado scheinbar «weglos» in seinem Schaffen immer wieder das Neue und Unbekannte, und er tat dies bis zu der letzten Sekunde seines so erfüllten und faszinierenden Lebens.
Nun ist dieser Weg eines der grössten Künstlers unserer Zeit zu einem irdischen Ende gekommen und LUCERNE FESTIVAL bedankt sich zutiefst bei Claudio Abbado für all das Grossartige, Unvergessliche und in Worten Unbeschreibliche, was wir mit ihm in den vergangenen 47 Jahren erleben durften. Seinem künstlerischen Weg und Glauben wollen wir auch in der Zukunft treu blieben und ihm und seiner grossen Kunst ein ewiges Andenken schaffen.
Michael Haefliger, Intendant LUCERNE FESTIVAL