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Hannover - Wenn er über Musik sprechen kann, ist er in seinem Element. Wenn er Musik macht, erst recht: Der Brite Andrew Manze (49). Dann sprudelt er über vor guter Laune. Erschrecken mag er einzig all zu eifrige Verfechter des Originalklangs in der Alten Musik - einer Szene, zu der er eigentlich selbst gehört. Denn der Spezialist für historische Aufführungspraxis, der Star-Geiger und Dirigent, sieht die Zukunft eher bei den konventionellen Sinfonieorchestern.
Und scheut sich nicht, auch unangenehme Wahrheiten anzusprechen; dass er es manchmal frustrierend finde, wie oft in der Welt der Alten Musik mittelmäßig musiziert werde. Vermutlich ist auch dies einer der Gründe, warum er zur Saison 2014/2015 Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover wurde. Zuvor war er seit 2006 Chefdirigent des Helsingborg Symphony Orchestra in Schweden. Nicht, dass er sich abwendet von der Alten Musik; aber er ist offensichtlich darüber hinausgewachsen.
«Um es deutlich zu sagen: Viele Musiker aus der Welt der Alten Musik würden beim Vorspielen für die Radiophilharmonie keinen Erfolg haben», betont der Brite - und lächelt ausnahmsweise nicht.
Das technische Niveau seiner Musiker in Hannover findet er dagegen «extrem hoch». So dürfte ihm der Wechsel zu einem konventionellen Orchester leicht gefallen sein - und vermutlich nicht ohne Grund strahlt er bei Proben und im Konzert oft seine Musiker an. Das Publikum sowieso. Musik als körperliches Vergnügen - bei Manze ist es zu greifen. Er ist ein Chamäleon, das seine musikalischen Farben nach Belieben wechselt. Und in so gut wie jedem Stil zu Hause ist.
Einst hat er selbst im Orchester gesessen und Geige gespielt - und er erinnert sich gerne an seine ersten musikalischen Lieben Beethoven und Brahms. Manze macht klar, dass seine Herangehensweise immer die gleiche ist - egal, ob es um Händel oder Pop geht: Die Musik muss so gut wie möglich für die heutigen Zuhörer gespielt werden. «Wir machen Musik für das heutige Publikum, die Idee authentischer Aufführungen ist nicht sehr relevant für die heutige Zeit.»
Das mag ein Schock für Anhänger der Originaltöner der Alten Musik sein, die den Geigenvirtuosen auf ihrer Seite wähnten. Als Musiker, der alte Instrumentaltechniken wiederbelebt, hat Manze enorme Meriten. Aber für wirklich wichtig hält er den Originalklang nicht: «Das ist nicht wesentlich, ich höre jeden Musiker gerne Bach spielen, wenn er etwas Besonderes in die Musik bringt.»
Dabei könnte man auf den ersten Blick schon meinen, dass Manze für alte Dinge etwas übrig hat. In Cambridge studierte er zunächst Latein und Griechisch, bevor er sich der Musik zuwandte - ein Rat seiner Lehrer, für den er noch heute dankbar ist. 1996 wurde er Direktor der Academy of Ancient Music, von 2003 bis 2007 künstlerischer Leiter von The English Concert. Er lebt in Stockholm - mit seiner Frau, die Konzertmeisterin der dortigen Königlichen Oper ist.
Auf der Bühne ist er in seinem Element - und es wird klar, warum er die Musik für ganz wesentlich in seinem Leben hält. Zwar ist ihm Lampenfieber nicht fremd. «Aber auf der Bühne macht es einfach Spaß.» Manze ist auch Vermittlungskünstler - und kann Bachs Musik und seine Tonfolgen auf manchmal verblüffende Weise erklären - zur Freude des Publikums beispielsweise schon mal per Zollstock. Und strahlt dabei.
Andrew Manze: «Wir machen Musik für das heutige Publikum» Interview: Thomas Strünkelnberg
Frage: Was bedeutet Musik für Sie?
Antwort: Je älter ich werde, desto mehr empfinde ich, dass Musik für mich wesentlich im Leben ist. Sie ist wie eine Medizin, die das Leben besser macht. Ich meine nicht nur klassische Musik, sondern Musik allgemein. Oft sieht man Menschen mit Kopfhörern, es ist, als ob sie in einer anderen Welt sind.
Frage: Sie haben mit ganz anderen Dingen angefangen - warum?
Antwort: Ich bin froh, dass ich Latein und Griechisch studiert habe. Es war ein guter Rat meiner Lehrer in der Schule. Sie wussten, wie interessiert an Musik ich war, aber sie rieten mir, etwas anderes zu studieren, weil Musik auch Unsicherheit bedeuten kann. Es gibt keine Erfolgsgarantie. Sie sagten, studiere etwas, was dir wirklich gefällt. Das tat ich - und traf andere Studenten, die Musik machten. Sie zeigten mir musikalische Richtungen, die ich andernfalls vielleicht nie eingeschlagen hätte.
Frage: Sie sind Experte für Alte Musik - jetzt sind Sie Chefdirigent eines konventionellen Orchesters. Ist das schwierig für Sie?
Antwort: Eigentlich nicht, denn bevor ich mich mit der Alten Musik befasste, spielte ich ganz normal die Geige im Orchester. Meine erste Liebe waren Beethoven und Brahms. Aber bei jedem Musikstück, das ich spiele, stelle ich die gleichen Fragen: Wofür ist diese Musik bestimmt, was versucht der Komponist zu sagen - und wie können wir die Musik so gut wie möglich für die heutigen Zuhörer spielen? Entscheidend ist: Wir machen Musik für das heutige Publikum, die Idee authentischer Aufführungen ist nicht sehr relevant für die heutige Zeit. Wir versuchen, die Musik zu den Menschen von heute sprechen zu lassen. In der Hinsicht unterscheidet sich die Herangehensweise nicht - egal, ob es sich um ein Stück von Händel oder von Brahms handelt. Die Unterschiede sind mehr in unseren Köpfen als in der Musik.
Frage: Vor diesem Hintergrund - brauchen wir überhaupt den Originalklang?
Antwort: Nein, ich denke nicht. Ich habe es geliebt, auf meiner Barock-Geige zu spielen, man fühlt, dass man sich den Grenzen der Instrumente nähert. Das gilt vor allem für Komponisten wie Bach. Aber das ist nicht wesentlich, ich höre jeden Musiker gerne Bach spielen, wenn er etwas Besonderes in die Musik bringt.
Frage: Sind dann die Alte-Musik-Ensembles überhaupt notwendig?
Antwort: Das ist eine gute Frage. Dahinter steckt eine noch schwierigere Frage: Ist der Level, sind die technischen Fähigkeiten in der Welt der Alten Musik gut genug? Es gibt dort exzellente Musiker, aber es wird auch oft auf mittelmäßige Weise Musik gemacht, technisch und musikalisch, was ich frustrierend finde. Der technische Level der Musiker der Radiophilharmonie in Hannover ist extrem hoch. Um es deutlich zu sagen: Viele Musiker aus der Welt der Alten Musik würden beim Vorspielen für die Radiophilharmonie keinen Erfolg haben. So einfach ist das. Das musikalische und technische Niveau sind in der Welt der normalen Orchester völlig anders. Viele dieser Orchester verändern ihren Stil, um Barockmusik auf sehr elegante Weise spielen zu können. Die Instrumente selber sind dabei nicht so wichtig.
Frage: Sowohl Publikum als auch Ihre Musiker erwarten eine Menge von Ihnen - haben Sie Lampenfieber vor den Auftritten?
Antwort: Ich bin nervös vor Konzerten, aber nicht mehr, wenn ich auf der Bühne bin - vorher fragt man sich, ob man gut genug vorbereitet ist, aber auf der Bühne macht es einfach Spaß.
ZUR PERSON: Der 49 Jahre alte Brite Andrew Manze ist Geigenvirtuose und Dirigent - und einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis. Seit 2006 war er Chefdirigent des schwedischen Helsingborg Symphony Orchestra, seit der Saison 2014/2015 ist er Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover.