Als erster Saxophonist, der Charlie Parker ein eigenes Konzept entgegenzusetzen hatte, fand Lee Konitz mit vibratolosem Ton und neuartiger Linienführung in den späten 40er Jahren zu einer stilbildenden Tonsprache und war an der Seite von Größen wie seinem Lehrer Lennie Tristano und Miles Davis eine Schlüsselfigur bei der Etablierung des Cool Jazz. Der am 15. April 2020 verstorbene Altist war einer der letzten noch Lebenden dieser großen Umbruchphase des Jazz. Seine durchgeistigte, allen Klischees abholde Musik verwirklichte er meist in Kleinbesetzungen.
Zu den wunderbarsten musikalischen Konversationen, die er auf Tonträger hinterlassen hat, zählen die Duos von Lee Konitz mit „Gesprächspartnern“ wie Joe Henderson, Elvin Jones, Eddie Gomez, Karl Berger und Jim Hall oder seine Dialoge und Rhapsodien mit Jimmy Giuffre, Gerry Mulligan, Paul Motian, Joe Lovano, Bill Frisell, Paul Bley, Gary Peacock, John Scofield und Clark Terry. Nicht zu vergessen der wichtige Brückenschlag zum europäischen Jazz-Zungenschlag durch seine Arbeit mit Attila Zoller, Albert Mangelsdorff, Lars Gullin und Toots Thielemans.
Bei aller Improvisationslust muss auch gesagt werden, dass Konitz ein Leben lang über die gleichen, überkommenen Stücke aus dem amerikanischen Songkosmos der 30er und 40er Jahre spielte. Er wollte nicht, wie viele seiner Kollegen – mit Anleihen aus dem HipHop, mit Musikmixturen etwa wie in der World Music arbeiten.
„Da wird viel geschwindelt, einfach damit Jazz auch heute noch gut ankommt“, sagte er anlässlich der Verleihung der German Jazz Trophy im Sommer 2013 in Stuttgart. „Es tut mir leid, aber ich blieb einfach dabei, ‚All the things you are‘ zu spielen, und zwar jedes Mal anders, so hoffe ich. Dafür brauche ich keine Hilfe von indischer oder chinesischer Musik.“ Mit 86 muss man kein Blatt mehr vor den Mund nehmen – wobei unser Preisträger das auch in jüngeren Jahren nie getan hat. Launig und zugleich aufschlussreich ist auch ein Interview mit Marcus Woelfle, der ihn am 22. Januar 2000 mit einem Plattentest überraschte, unter anderem mit Interpretationen von Standards, die er selbst am Vorabend bei einem Auftritt gespielt hatte. Die ausgesuchten Aufnahmen lösten Erinnerungen an Größen wie Charlie Parker und Charles Mingus aus. Nachzulesen unter www.jazzzeitung.de