Er ist eine Ikone der brasilianischen Musik. Politische Lieder gegen die Militärdiktatur machten Chico Buarque ebenso berühmt wie seine romantischen Balladen. Eine Woche nach Beginn der WM im eigenen Land feiert der Fußballfan seinen 70. Geburtstag.
Der Dichter sollte Recht behalten. «Dir zum Trotz wird morgen ein neuer Tag anbrechen», sang Chico Buarque 1970 an die Adresse der brasilianischen Diktatoren gerichtet, wurde deshalb verhört und zensiert. Bis 1985 hielten sich die Generäle an der Macht, aber dann mussten sie den Demokraten weichen. Buarque, den sie vergeblich versucht hatten, mundtot zu machen, war da längst ein Weltstar. Am nächsten Donnerstag wird der brasilianische Sänger, Komponist, Dramaturg und Schriftsteller 70 Jahre alt.
Brasilien hat im April des 50. Jahrestages des Militärputsches von 1964 gedacht. Chico Buarque kann seinerseits auf ein halbes Jahrhundert Karriere zurückblicken. Der Sohn des Historikers Sérgio Buarque de Hollanda begann seine künstlerische Laufbahn in den frühen 60er Jahren. Das war die Zeit, als der Bossa Nova von den südlichen Stadtvierteln Rio de Janeiros aus seinen Siegeszug antrat und Vinícius de Moraes (1913-1980) mit António Carlos Jobim (1927-1994) das Lied vom «Mädchen von Ipanema» schrieb.
Nach ersten Plattenaufnahmen gelang Buarque 1966 der Durchbruch: Sein Stück «A Banda» schaffte es beim «Música Popular Brasileira»-Festival gemeinsam mit einem Mitbewerber auf den ersten Platz. Das Lied, sein bis heute wohl bekanntestes, erzählt, wie eine Kapelle durch die Straßen einer brasilianischen Kleinstadt marschiert und die Menschen für einige Minuten aus ihrer Alltagstristesse reißt, bevor der Zauber ebenso schnell wieder verfliegt. Zwei Jahre später machte France Gall die Melodie im deutschen Sprachraum bekannt – leider mit einem schauderhaft banalen Text («Zwei Apfelsinen im Haar»).
In Brasilien begannen damals «Os anos de chumbo», die Jahre des Bleis, wie die härteste Phase der Militärdiktatur genannt wird. Buarque ging 1969 ins selbst gewählte Exil nach Italien, kehrte aber schon ein Jahr später zurück. Er schrieb die Anti-Diktatur-Hymne «A pesar de você» («Dir zum Trotz»), die für acht Jahre verboten wurde.
Mit Wortwitz und Doppeldeutigkeiten versuchte der Sprachkünstler und Fußballfan, die Zensur auszudribbeln, die manchmal Wochen brauchte, bis sie seine Texte begriffen hatte. Eine Weile veröffentlichte er unter dem Pseudonym Julinho da Adelaide.
Zu seinen bekanntesten Stücken aus jener Zeit zählt «Samba de Orly» (1970), benannt nach dem Pariser Flughafen, wo die heimwehkranken Exilanten den Fliegern nach Rio hinterherwinkten. In «Meu caro amigo» («Mein lieber Freund», 1976) erzählt er einem imaginären Brieffreund von den Zuständen zuhause, «Construção» («Bau», 1971) handelt vom tristen Leben und plötzlichen Tod eines Bauarbeiters. Heiß her geht es in «Não existe pecado ao sul do equador» («Südlich des Äquators gibt es keine Sünde», 1973), ein Stück, dessen sexuell anzüglichen Text Buarque auf Druck prüder Zensoren leicht abändern musste.
Irgendwie war das Multitalent mit dem Singen allein aber nicht ausgelastet. Buarque schrieb auch mehrere Theaterstücke. Mit der «Ópera do Malandro» präsentierte er 1978 seine Version von Brechts Dreigroschenoper - mit einer portugiesischen Fassung von «Mackie Messer». Zu dem Filmklassiker «Bye Bye Brasil» von Carlos Diegues (1979) lieferte er den Titelsong. Chico Buarque schrieb außerdem vier Romane, zuletzt erschien 2013 auf Deutsch «Vergossene Milch».
Auf der Bühne macht sich der Star, der für seine wasserblauen Augen und seine Ausstrahlung auf Frauen bekannt ist, recht rar. Alle paar Jahre veröffentlicht er ein neues Album, zum Beispiel «Carioca» (2006), in dem der Samba- und Bossa-Nova-Sänger auch mit neuen Formen wie dem Rap experimentiert, oder «Chico» (2011). Sie alle zeichnen sich durch kluge Texte aus. Doch die eingängigsten Melodien haben seine frühen Lieder, die selbst die viel später geborenen Brasilianer mitsingen können.
Viele Jahre hat Chico Buarque in einer eigenen Fußballmannschaft gekickt - im Lande des fünffachen Weltmeisters nicht verwunderlich.
«Chico behandelt das gesungene Wort wie der Fußballcrack den Ball; mit der gleichen Liebe, mit der gleichen Klasse», schrieb die Zeitung «Folha de São Paulo» in einer Würdigung. Dies dürfte wohl unabhängig vom Abschneiden der Seleção bei der laufenden WM gelten.