Katholikentag München 1984, ein Morgenlob mit dem Gesang „Licht aus der Höhe, leuchte allen, die in Finsternis sind ...“. An der Orgel saß Wolfgang Bretschneider. Sein einleitendes Orgelspiel zog die Feiernden geradezu von den Stühlen – begeisternd und mit allen Klangfarben des Lichtes und des Dunkels. Bei jedem Ton spürte man: Hier spielte jemand, der seine ganze künstlerische Kompetenz einsetzte, um den Menschen – nah oder fern vom Glauben – die Botschaft von Gottes Gegenwart nahezubringen.
Wolfgang Bretschneider war eine Ausnahmeerscheinung der deutschen Musikszene. 1941 geboren, studierte er Theologie, Musik und Musikwissenschaft. 1967 wurde er vom damaligen Kölner Kardinal Frings zum Priester geweiht; es schlossen sich erste Kaplansjahre und weitere Studien an. Seine Dissertation in Musikwissenschaft befasste sich mit Fragen der Hymnologie.
Ein Großteil seines Wirkens war dem Unterrichten gewidmet: im Bonner Theologenkonvikt, an den Musikhochschulen Köln und Düsseldorf, an der theologischen Fakultät in Bonn.
Es war sein wohl größtes Charisma neben dem Orgelspiel, das er so meisterhaft beherrschte: Wissen vermitteln zu können und dabei die Grenzen der Disziplinen zu überwinden. Das Künstlerische wurde nie ohne Durchdringen seines geistig-geistlichen Hintergrunds thematisiert, und die Wissenschaft stand für Bretschneider immer im Kontext allgemein kultureller Faktoren. So hat er Generationen von Geistlichen und Musikern weit über das hinaus geprägt, was ihr beruflicher Alltag von ihnen verlangte; in wie vielen Menschen mag er ein Feuer der (im wahrsten Wortsinn) Be-Geisterung entzündet haben, das geholfen hat, manchen Kälteschock der kulturellen und kirchlichen Realität zu überleben?
Wolfgang Bretschneider war über Jahrzehnte hinweg der führende Repräsentant der katholischen Kirchenmusik in Deutschland: als Präsident des Allgemeinen Cäcilienverbandes/ACV (1989–2018), den er zum Dachverband für katholische Kirchenmusik umformte, als Berater der Deutschen Bischofskonferenz und als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Der Deutsche Musikrat, dessen Arbeitskreis Kirchenmusik er angehörte, ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Dass die katholische Kirchenmusik in Deutschland in der kulturellen und politischen Landschaft wahr- und ernstgenommen wurde, ist vor allem sein Verdienst – und sein verpflichtendes Erbe.
Er war eine rheinische Frohnatur, die so rasch nichts aus dem Lot bringen konnte. Nie polarisierte er, sondern war stets um Ausgleich bemüht – ein Brückenbauer zwischen den unterschiedlichen Interessen und Ansichten. Unter seiner Kirche hat er zuletzt schwer gelitten; besonders die Situation in seinem Heimatbistum Köln empfand er als eine geradezu (wie er sagte) „apokalyptische Belastung“. Und dennoch unterschrieb er Briefe und Mails bis zum Schluss mit seinem ganz persönlichen Hoffnungsgruß: „Bleib österlich!“.
Am 12. März ist Wolfgang Bretschneider im Alter von 79 Jahren gestorben. Die Lücke, die er hinterlässt, wird nie zu schließen sein.