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Bratsche, Koks und Avantgarde: Musikpionier John Cale wird 80

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London - Mit der Band The Velvet Underground schuf John Cale zwei Alben, die Generationen von Musikern beeinflussten, obwohl sie ursprünglich kaum Beachtung fanden. Auch danach experimentierte Cale unaufhörlich in der Musik. Mit dem Klavier und der Bratsche fing es an.

Lange weigerte sich John Cale beharrlich, über The Velvet Underground zu sprechen. Doch mittlerweile scheint sich der Musikpionier, der jetzt 80 Jahre alt wird, damit abgefunden zu haben, dass nur vier Jahre mit der US-Gruppe seine ganze Karriere prägen. «In Ordnung, ja, The Velvet Underground ... gut, weiter» steht in seinem Profil beim Kurznachrichtendienst Twitter. Mittlerweile spielt er bei seinen Konzerten auch wieder Songs der Avantgarde-Band, mit der er in New York City einst einen neuen Sound erfand. Dabei begann Cales Musiklaufbahn in einer tristen Industriestadt in Wales.

Am 9. März 1942 kommt er in Garnant als Kind einer Grundschullehrerin und eines Bergarbeiters zur Welt. «Es war keine schöne Kindheit», berichtet er 2018 im Rahmen zweier retrospektiver Konzerte in London. Seine walisische Großmutter hat zuhause das Sagen. Und obwohl sein Vater nur Englisch spricht, besteht die Oma darauf, dass der kleine John nur Walisisch spricht. «Ich konnte nicht mit meinem Vater sprechen, bis ich sieben war.» Dann lernt er endlich Englisch.

So nimmt die Musik für Cale einen besonderen Stellenwert ein. Zunächst lernt er Klavier zu spielen. «Musik war eine Sprache, die es mir ermöglichte, mit jedem zu kommunizieren, ohne dass ich dafür die Erlaubnis von irgendwem brauchte.» Gleichzeitig wird das Radio für ihn ein Tor zur Musikwelt. Klassik, internationale Musik und die aufkommende Rock'n'Roll-Bewegung prägen ihn.

Als Kind erlebt er Traumatisches. Mit zwölf wird er in der Kirche von seinem Musiklehrer sexuell belästigt. «Der Weg zur Orgelempore war eng, und wenn man erstmal drin war, konnte man nicht einfach so raus», erinnert er sich in seiner Biographie. Doch an seiner Leidenschaft für die Musik ändert das schlimme Erlebnis nichts.

Im Schulorchester bekommt Cale «das einzige Instrument, was übrig war,» zugewiesen. Die Bratsche wird zu seiner Berufung. Er wird Mitglied im Welsh Youth Orchestra und studiert später Musik am Goldsmiths College in London. Seine klassische Ausbildung bildet später die Basis für musikalische Experimente. «Zu wissen wie, war ein wichtiger Vorteil, als ich angefangen habe, in der Avantgarde zu arbeiten sowie mit The Velvet Underground und anderen Dingen.»

Mit Anfang 20 reist Cale 1963 in die USA, um seine musikalische Ausbildung fortzusetzen. Er begegnet verschiedenen einflussreichen Musikern, nimmt an einem mehr als 18 Stunden langen Klavier-Marathon teil und tritt im Fernsehen auf. Er spielt mit der Avantgarde-Gruppe Theatre Of Eternal Music und begegnet in dieser Zeit dem späteren Velvet-Underground-Mitgründer und Gitarristen Sterling Morrison.

1964 lernt der Bratschenvirtuose Cale den Rockpoeten Lou Reed kennen - eine schicksalhafte Begegnung. Mit der Unterstützung von Andy Warhol und zusammen mit Morrison und Cales Mitbewohner Angus MacLise gründen sie The Velvet Underground. Der Popartkünstler Warhol produziert das Debütalbum, auf dem auch die deutsche Sängerin Nico singt, und kreiert das ikonische Bananen-Cover.

Doch die für die Zeit ungewöhnliche Platte mit kontroversen Themen wie Drogenmissbrauch, Sadomasochismus und sexuelle Vielfalt ist zunächst ein Verkaufsflop. Überhaupt bleibt der kommerzielle Erfolg der Band während ihres Bestehens verwehrt. Erst viel später entfalten The Velvet Underground popkulturelle Strahlkraft. Heute gelten sie als eine der einflussreichsten Bands der Musikgeschichte.

Auf Druck von Lou Reed muss Multiinstrumentalist Cale die Band nach dem zweiten Album «White Light/White Heat» verlassen, weil Reed kommerzieller werden will und ihm Cales avantgardistische Ideen dafür zu ausgefallen sind. «Lou wollte ein Rock'n'Roll-Superstar werden, ich aber nicht», erinnert sich Cale 2016 im BBC-Interview. Im September 1968 spielt er sein letztes Konzert mit The Velvet Underground. Mit Reed versöhnt er sich später vorübergehend. 1990 nimmt das Duo in Erinnerung an Andy Warhol «Songs For Drella» auf.

Als Solokünstler veröffentlicht Cale regelmäßig neue Musik. Bis heute sind es 16 Studioalben, einige EPs und Konzertmitschnitte sowie diverse Filmsoundtracks. Sein drittes Solowerk «Paris 1919» von 1973 ist sein bekanntestes, weil es nicht nur zeitlos, sondern auch sehr melodisch und zugänglich ist. Auf der Bühne schockt er 1977 sein Publikum in London und seine Band, als er ein totes Huhn köpft.

Als Produzent arbeitet er mit so unterschiedlichen Künstlern wie Squeeze, Jennifer Warnes und Siouxsie And The Banshees. Er zeichnet für diverse Klassiker verantwortlich. Er produziert die erfolgreichen Debütalben von The Stooges («The Stooges», 1969) und Patti Smith («Horses», 1975). Und er probiert ständig Neues. Mit Soundtüftler Brian Eno nimmt er 1990 das Elektroalbum «Wrong Way Up» auf.

Cale, der nach eigener Aussage wegen Bronchitis-Problemen als Kind von Opiaten abhängig war, experimentiert nicht nur in der Musik. «Als ich nach New York kam, waren die Drogen überall, und sie wurden ziemlich schnell ein Teil meines künstlerischen Experiments», erzählt er dem Sender BBC. Die Abhängigkeit von Kokain beeinträchtigt irgendwann seine Fähigkeit, Songs zu schreiben und live zu spielen. «Es wuchs mir über den Kopf hinaus», so Cale. In den 80er Jahren - nach einigen katastrophalen Konzerten - schafft er den Absprung. Auch die Geburt seiner Tochter sei ein Grund dafür gewesen, berichtet Cale, dessen Privatleben turbulent ist. Drei Ehen scheiterten.

Seiner Heimat Wales fühle er sich nach all den Jahren sehr verbunden, sagt John Cale. Nur mit der Sprache hapert es mittlerweile etwas. «Mein Walisisch ist schrecklich», gab er im Interview des «Telegraph» zu - was wohl mit der schwierigen Kindheit zusammenhängt. Walisisch bringe «eine Menge Scheiße wieder hoch», so Cale. «Warum musste ein Walisisch sprechender Musiker auch Wales verlassen, nach Amerika gehen und Englisch als seine poetische Sprache nutzen?»

 

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