Er war eine Popikone des 20. Jahrhunderts: Harry Belafonte. Geboren 1927 in New York, noch vor dem legendären „Wall Street Crash“ 1929, hat er fast ein ganzes Jahrhundert erlebt, das geprägt war von Kriegen und Rassendiskriminierung. Er war befreundet mit Martin Luther King und Bobby Kennedy, die beide 1968 ein Opfer der Hasskampagnen wurden, die man gegen sie führte. Das alles sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man wieder einmal den „Banana Boat Song“ mitgrölt: „Day-O“.
Aufgewachsen in Harlem und Jamaika, gehörte Belafonte während des Zweiten Weltkriegs der US Navy an. Nach dem Krieg strebte er zuerst eine Schauspielkarriere an. Es war der berühmte deutsche Regisseur Erwin Piscator, der ihn Ende der Vierzigerjahre in New York anfangs unter seine Fittiche nahm. In jenen Jahren versuchte er auch sein Glück als Sänger. Als Capitol Records probierte, ihm unpassende Songs unterzujubeln, löste er den Vertrag mit der Firma. Und so stand er erst einmal ohne Plattenvertrag da. Aber seine Auftritte im berühmten Village Vanguard sprachen sich bald herum. Und nun schlug RCA Victor zu. A Star was born.
Harry Belafonte war Mitte der Fünfzigerjahre neben Frank Sinatra einer der ersten Künstler, die das neue Format Langspielplatte für sich nutzten. Während Sinatra sich auf Konzeptalben dem Great American Songbook widmete, präsentierte Belafonte auf seinen LPs einen Mix aus Folk- und Calypso-Songs. 1956 wurde zu seinem Durchbruchsjahr. Mit gleich zwei Alben dominierte er die US-Albumcharts: „Belafonte“ und „Calypso“. Insgesamt 31 Wochen lang hielt sich seine „Calypso“-Platte (mit dem „Banana Boat Song“!) im „Elvis-Jahr“ an der Spitze. Ende der Fifties entwickelte sich Harry Belafonte zum erfolgreichsten Albumkünstler der USA – vor Frank Sinatra und Elvis Presley.
Bereits vor seiner ganz großen Karriere als Plattenstar war Belafonte 1954 der Durchbruch als Hollywood-Schauspieler gelungen. Es war der Exil-Wiener Otto Preminger, der ihn als „Joe“ besetzte in seiner grandiosen Verfilmung von „Carmen Jones“. Eine „schwarze“ „Carmen“-Version in CinemaScope, die zuletzt auch die Komponistin Olga Neuwirth zu ihrer „American Lulu“ inspiriert hat, einer Neuinterpretation von Alban Bergs Oper. Harry Belafonte und Dorothy Dandridge als „Carmen Jones“ sind zu Ikonen der „African-American Culture“ geworden. Für die Filmregisseurin Helma Sanders-Brahms gehört „Carmen Jones“ zu den Lieblingsfilmen: „Dieser Film, wie wenige aus westlicher Produktion, beunruhigt das Selbstverständnis des arroganten Weißen, der sich für den Beherrscher der Welt hält. Er ist noch nicht einmal Beherrscher seiner selbst.“
Als 2011 die Filmtage Viennale Harry Belafonte eine kleine Retro widmete, konnte man auf der großen Leinwand auch das sehr rare Hollywood-Melo „The World, the Flesh and the Devil“ sehen. Ein Drei-Personen-Drama (großartig orchestriert von Miklos Rozsa) über „Stolz und Vorurteil“, das in einem gottverlassenen postapokalyptischen New York spielt. Ein Film, der untergründig die Zeit der Bürgerrechtsbewegung ankündigt, die Belafonte in den Sixties mitprägen sollte. Fast vergessen ist der Film, zu dem er auch den Titelsong gesungen hat: „Island in the Sun“. Ein Welthit, der zum Träumen anregte: Sonne, Strand, Karibik. Und der in die falsche Richtung führte. Und ein Song, der Chris Blackwell zum Namen für seine Anfang der Sixties gegründete Plattenfirma Island Records inspirierte, der späteren Heimat von Bob Marley.
Zu den besonderen Fans von Belafonte gehört auch ein Mann, der auf einer Platte aus den frühen Sechzigern die Mundharmonika spielt. Wer bei „Midnight Special“ genau hinhört, kann da das Spiel von Bob Dylan erkennen. In seinen „Chronicles“ schwärmt er: „Keiner zweifelte daran, dass Harry ein phantastischer Musiker war und der beste Balladensänger Amerikas. Er sang von Liebenden und Sklaven, von Kettensträflingen, Heiligen, Sündern und Kindern. Nie zuvor hatte ein Musiker so viele Brücken geschlagen wie Harry. Er kam überall an, ob bei Stahlarbeitern, Klassikkonzertabonnenten oder Backfischen, sogar bei Kindern – bei jedermann.“ Und viele aus der Babyboomer-Generation dürften Folksongs wie „John Henry“ oder „Cotton Fields“ durch Belafonte kennengelernt haben.
Als die Plattenverkäufe am Anfang der „Beatlemania“ um 1964 zurück gingen, unternahm der Entertainer verstärkt große Welttourneen, die ihn bis in die Nullerjahre hinein auch nach Deutschland führten. 2002 ist zuletzt auch sein Herzensprojekt erschienen: „Long Road to Freedom. An Anthology of Black Music“. Ein Box-Set mit Aufnahmen aus den vergangenen 30 Jahren, die in den RCA-Archiven wiederentdeckt wurden. 2011 schließlich schloss Belafonte sein künstlerisches Lebenswerk ab, mit der Autobiografie „My Song“ und der sehr empfehlenswerten Dokumentation „Sing Your Song“. Am 25. April ist Harry Belafonte im Alter von 96 Jahren in New York gestorben.