Am 3. Oktober wird Helma Sanders-Brahms’ neuer Film „Geliebte Clara“ in Paris uraufgeführt, am 4. Dezember startet der Film über Clara und Robert Schumann in den deutschen Kinos. Andreas Kolb mit einem Porträt der Regisseurin.
Eigentlich wollte Helma Sanders-Brahms Schauspielerin werden. Als sie nach dem Abitur auf der Schauspielschule in Hannover studierte, war sie glücklich. „Endlich fühlte ich mich so angesprochen“, erinnert sie sich, „wie ich angesprochen werden wollte.“ Dass man ihr nach vier Semestern an der Schauspielschule in Hannover dazu riet, Regie zu machen, weil dort ihr eigentliches Talent liege, ließ sie beinahe verzweifeln. Wollte sie doch auf die Bühne und spielen. Das war 1962, mit 22 Jahren.
Es folgten harte Jahre an der „Verbiegungsanstalt“ wie sie die Universität Köln empfand. Dennoch studierte sie mit Bravour innerhalb von drei Jahren Theaterwissenschaft, Anglistik und Germanistik. Als Theaterwissenschaftlerin musste sie sich plötzlich mit Fragen auseinandersetzen, ob die Griechen Vorhänge im Theater gehabt hatten oder nicht. Helma Sanders- Brahms floh – ins Leben. Und das war reich. In Berlin lebte sie in der Boheme junger Filmemacher, ihren Unterhalt verdiente sie in Köln als Ansagerin beim WDR. Sie fuhr 1968 mit dem Nachtzug nach Paris zu den Studentenrevolten in St-Germain-des-Prés, tanzte als gestylte Fernsehsprecherin mit Franz Josef Strauß im Hotel Bayerischer Hof in München und war zugleich eines der „Sexy-mini-super-flower-popop- cola. Alles ist in Afri-Cola“-Girls von Charles Wilp. Sie demonstrierte in Berlin gegen den Vietnamkrieg und sie lernte: Das Fernsehstudio war ihre Filmschule. „Ich saß mit toupiertem Kopf erst vor der Kamera und lächelte, als könnte ich kein Wässerchen trüben; und dann, sobald die Filmreihen losgingen, hockteich auf dem Boden vor den Monitoren im Studio und schrieb auf, was mir auffiel. Kamerapositionen und Kamerabewegungen. Wo das Licht herkam und wie viele Lichtquellen dazu ungefähr eingesetzt worden waren. Wie die Schauspieler geführt wurden, besonders die weiblichen.“
Sie entdeckte die Kunst von Josef von Sternberg. Ein Thema, das sie in ihrem Buch „Marlene und Jo“ über Marlene Dietrich und ihre Beziehung zu ihrem großen Regisseur Josef von Sternberg vertiefte. Ab 1967 kam Rom, die Begegnung mit Pier Paolo Pasolini und seiner Arbeit und die Entscheidung fürs Kino. 1970 begann es mit dem Film „Angelika Urban Verkäuferin verlobt“. Seither hat sie über 24 Filme produziert, gedreht und die Drehbücher geschrieben. Darunter „Unterm Pflaster ist der Strand“ (1975), „Shirins Hochzeit“ (1976), „Deutschland bleiche Mutter“ (1979), „Mein Herz – niemandem!“ (1997).
Am 4. Dezember dieses Jahres wird ihr jüngster Film ins Kino kommen. Nach zwölf Jahren Produktionszeit ist „Clara“, eine deutsch-französische Koproduktion mit Martina Gedeck als Clara Schumann , Pascal Greggory als Robert Schumann und Malik Zidi als Johannes Brahms vollendet. „Brahms ist mir nahe“, sagt die Filmemacherin, die entfernt mit dem großen Komponisten der romantischen Epoche verwandt ist, „auch im ästhetischen Sinn.“ Über Brahms stieß sie auf Clara, und ihre Neigung zu Brahms führte in der Folge zu ihrer Neigung zu Schumann.
„Ich versuche, in dem Film zu zeigen, dass diese Frau das Auge im Sturm dieser beiden Männer war. Ich zeige, wie sie sich anstrengen für diese Frau, deren Obsession das Klavierspielen ist. Nur danach giert sie, sonst ist sie nicht vollständig, trotz fünf Kindern, trotz zweier Männer.“
Helma Sanders-Brahms hält auch ihren neuesten Film für einen politischen Film. Er sei ein Versuch, den Deutschen zu zeigen, was sie eigentlich wirklich können. In einem Vortrag über die Entstehung des Films drückt sie das aus: „Jenseits der Grenzen unseres Landes erfahren wir, wo immer wir in der Welt hinkommen, dass das kollektive Gedächtnis der Welt vor allem zwei Epochen mit unserem Vater- und Mutterland verbindet: die Zeit der Nazis als die schwärzeste, die Zeit der Romantik als die schönste.“ Das Thema Romantik steht bei ihr für Identität und Zeitgenossenschaft. „Geliebte Clara“ beginnt mit einer Einstellung in einem Zugabteil, Clara und Robert fahren nach Hamburg, der letzten Station ihrer Tourneereisen, bevor sie sich in Düsseldorf niederlassen.
„Der Film fängt mit dem Eisenbahn-Motiv an. Damals hat die Welt sich so verändert, wie sie sich in Tausenden von Jahren zuvor nicht verändert hatte. Diese Zeitenwende ist der Bruch, an dem diese drei Leute sich befinden.“ Biedermeier gibt es nicht im Spätwerk, auch nicht bei „Geliebte Clara“. Der politischste Film, den Helma Sanders-Brahms gemacht hat, ist sicher „Shirins Hochzeit“. Der Film handelt im ersten Teil von der von Ayten Erten dargestellten jungen Türkin Shirin, die um der Verheiratung zu entgehen, aus der Türkei nach Köln flieht und, da sie ihren Freund nicht findet, zunächst Fabrikarbeiterin wird. Die Erstsendung von „Shirins Hochzeit“ im WDR-Fernsehen löste massive Proteste rechtsextremistischer Kreise in der Türkei aus und führte auch zu einer Protestkundgebung türkischer Nationalisten vor dem WDR-Funkhaus in Köln. Sowohl Helma Sanders-Brahms als auch die Darstellerin der Shirin wurden massiv bedroht. Im Ausland hatte vermutlich „Deutschland bleiche Mutter“ die größte politische Wirkung.
Dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann als ausgewiesener Filmexperte gilt, hält die Filmemacherin für einen ausgesprochenen Glücksfall. Dennoch beurteilt sie die Situation nüchtern. „Dem europäischen Film, der noch vor zwanzig, dreißig Jahren die großen Märkte dieser Welt belieferte, fällt es immer schwerer, sein Publikum zu finden. Die vorhandenen, schwer erkämpften Gelder mögen knapp ausreichen, die Produktion des Werkes zu finanzieren. Geld für die dringend erforderlichen Werbemaßnahmen bleibt normalerweise nicht übrig. Dagegen hat der amerikanische Film Werbeetats, die um ein Vielfaches höher sind als unsere gesamten Produktionskosten.
Ohne einen Gutteil Glück geht es nicht mehr.“ Helma Sanders-Brahms ist Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrats und war von Mitte bis Ende der 80er-Jahre Vizepräsidentin der Mediengruppe im Kulturrat der Europakommission. Als der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Michael Naumann den ersten Kulturminister berief, stellte sie sich zeitweilig in dessen Dienst. Künstler sollten sich in den entsprechenden Gremien einbringen, fordert Sanders-Brahms. Doch um Filmpolitik intensiv zu gestalten, schränkt sie ein, brauche man die ganze Frau. „Ich bin heute nicht mehr so vielfältig belastbar. Die ganze Frau macht daher lieber Film.“
Zuerst erschienen in „politik und kultur – Zeitung des Deutschen Kulturrates“, Ausgabe 4-2008.