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Jörg Birkenkötter. Foto: Charlotte Oswald
Jörg Birkenkötter. Foto: Charlotte Oswald
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„Das Material aushorchen“: der Komponist Jörg Birkenkötter im Gespräch

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Jörg Birkenkötter, nach der Emeritierung von Younghi Pagh-Paan der neue Professor für Komposition an der Hochschule für Künste, ist 1963 in Dortmund geboren. Seine Musik zeichnet sich aus durch eine kraftvolle Klangsinnlichkeit, gleichzeitig führt sie uns die Reflexion über das eigene Tun vor, wie er es wohl auch von seinen Lehrern Nicolaus A. Huber und Helmut Lachenmann gelernt hat. Der 48-Jährige ist mit der koreanischen Pianistin Hwa-Kyung Yim verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Sie haben zunächst an der Folkwangschule in Essen Klavier studiert – immerhin bei solchen Größen wie Detlev Kraus und Catherine Vickers. Was war der Impuls, dann doch Komponist zu werden?

Ich war von Anfang an beides. Ich hatte einen Klavierlehrer, der neben Klassik meine Improvisationen gefördert hat. Ich habe mir auch Noten mit Neuer Musik gekauft, die ich spielen wollte. So war zunächst einmal das Doppelstudium sehr gut, aber nach dem Klavierdiplom stellte sich die Frage des Konzertexamens. Da aber bekam ich ein Stipendium im Künstlerhof Schreyahn und einen Kompositionsauftrag des Ensemble Modern. Ich habe dann doch gemerkt, dass ich mehr Komponist bin und mich entschieden.

Mit Ihren wichtigsten Lehrern – Nicolaus A. Huber und Helmut Lachenmann – sind Sie Künstlern begegnet, die in ganz extremer Weise die Reflexion über künstlerisches Tun verlangen, es in den Strukturen der Musik wiedererkennen wollen.War das immer auch Ihre Idee, oder haben diese beiden Sie doch sehr beeinflusst?

Bei Huber habe ich erst die Vielfalt von Neuer Musik in allen Perspektiven kennengelernt. Man musste wissen, was man tut, aber dass jegliche Art von Reflexion nicht auf Kosten von Klangsinnlichkeit gehen muss, das habe ich von ihm gelernt. Das Denken von Helmut Lachenmann war dann eine Vertiefung. Von beiden habe ich, dass ich mein Material doppelt ernst nehmen muss: einmal als ein historisch vermitteltes, und zum anderen als etwas, was man physikalisch-akustisch auseinandernehmen kann.

Mir ist in einigen Werken von Ihnen aufgefallen, dass Sie einen sehr kraftvollen Traditionsbezug haben, dass Sie sehr kraftvoll zerstören und die Elemente in einen neuen, immer irgendwie reflektierenden Zusammenhang setzen. Stimmt das? Dafür würden auch einige Titel wie „getrennt-untrennbar“,  „wiederholte Annäherung“, „Spiel/Abbruch“, „...zur Nähe...voran“ oder auch „gekoppelt-getrennt“ sprechen.

Ich arbeite gern mit einer Vorstellung Ludwig Wittgensteins, der eine technisch-logische Präzision verlangt, aber auch eine innere Vieldeutigkeit, die sozusagen der „Bauch“ ist. Nur das ein oder andere, kann in der Kunst nicht sein. Ich möchte mit meiner Musik das Material aushorchen.

Wie stehen Sie denn dann zu John Cage?

Der war unglaublich wichtig, aber er ist nicht mein Ding. Es gibt nicht nur eine Lösung.

Hans Peter Jahn hat Ihre Klangphantasie einmal „monumental“  genannt. Woher kommen Ihre Inspirationen?

Ich habe schon deutlich eine klassische Herkunft und keine Berührungsängste mit dem sinfonisch-schönen Klang. Aber das reicht natürlich nicht.

Der Journalist Hansjörg Pauli konnte vor gut 30 Jahren noch fragen: Für wen komponieren Sie eigentlich? Ich möchte diese Frage differenzieren: abgesehen davon, dass Sie – alle Komponisten – sich ausdrücken müssen, was glauben Sie, kann Musik erreichen? Immer schon, nicht nur die Neue?

Wir leben in einer unglaublichen Vielfalt von Klängen und es ist labyrinthisches Denken, das wirkt. Dadurch entsteht Energie, die Sensibilitäten freisetzt und kommunikativ wirkt. Direkte politische Einflussnahme gibt es ästhetisch nicht.

Sie waren im Rahmen des into-Pogrammes des Goethe-Institutes einen Monat in Johannisburg. Haben Sie da Erfahrungen gemacht, die Sie politisch und dann damit auch ästhetisch verändert haben?

Ich dachte, da lerne ich was Neues kennen. Das war nicht der Fall, dort gibt es nur Popmainstream. Aber dann habe ich einen weißen Musiklehrer kennenglernt, der mit Kindern aus Soweto Musikinstrumente aus Müll gebaut hat und diese Art von spielerischer Leichtigkeit hat auf mich nachhaltig gewirkt.

Nach Bremen: wie gefällt Ihnen und Ihrer Frau diese Stadt?

Na ja, das ist nach Berlin schon eine Umstellung. Wir sind noch in der Kennenlernphase, alles mit Fahrrad. Im Moment: alles wunderbar. Wir wohnen in Findorff.

Sie unterrichten schon viele Jahre. Was ist für Sie der Kern von Kompositionsunterricht? Gibt es fantastische Klangerfindungsbegabung ohne gesellschaftliche Verankerung – könnte ja sein - oder eine solche ohne die Fähigkeit, daraus Klang zu machen – könnte ja auch sein? Wie geht für Sie Unterricht und wie führen Sie?

Ich versuche, die individuellen Bedürfnisse kennenzulernen, Reibungen zu hinterfragen und zu erweitern: daraus entwickeln sich Notwendigkeiten. Ein festes Lehrprogramm habe ich nicht. Allerdings gibt es Erfordernisse, die der Student nicht gleich einsieht. Ich halte die intensive Beschäftigung mit historischer Musik für unerlässlich.

Bremen verfügt über kein Ensemble für Neue Musik. Ein Problem?

Ja, klar. Ich habe die Zusicherung für eine Ensemblegründung und eine halbe Stelle für die Leitung. Dazu eine halbe Stelle für die Organisation des Atelier Neue Musik. Die Verbindung zu den Instrumentalklassen muss verbessert werden und mit allem strebe ich eine Öffentlichkeit an, die auch Pagh-Paan erfolgreich praktizierte.

Das Gespräch führte Ute Schalz-Laurenze.

Am 5.12. um 20 Uhr findet im Konzertsaal der HfK Bremen in der Dechanatstr. das Vorstellungskonzert für Jörg Birkenkötter statt.

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