Hauptbild
Eine Feier für Billie Holiday: Dee Dee Bridgewater: Foto: Mark Higashino/Universal
Eine Feier für Billie Holiday: Dee Dee Bridgewater: Foto: Mark Higashino/Universal
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Dee Dee sings the Blues: Dee Dee Bridgewater im Gespräch über Billie Holiday

Publikationsdatum
Body

Sie verkauft zwar nicht so viele Alben wie Diana Krall, aber live macht ihr niemand etwas vor: Dee Dee Bridgewater singt und scattet so virtuos, als würde sie am 27. Mai nicht ihren sechzigsten, sondern ihren zwanzigsten Geburstag feiern. Zur Zeit tourt die Jazzsängerin durch Deutschland, um „Eleanora Fagan (1915–1959): To Billie with Love from Dee Dee“ (Emarcy/Universal) vorzustellen. Im Interview mit Claus Lochbihler erklärt sie, was dieses Album von anderen Billie Holiday-Hommagen unterscheidet, wie sie von Thad Jones den Spitznamen „Big Ears“ bekam, und weshalb sie ihre Tochter, die Sängerin China Moses, nicht zum Jazz ermuntert hat.

nmz Online: Sie haben gesagt, Ihr neues Album sei keine übliche Billie Holiday-Hommage, sondern eine Feier der Sängerin und ihrer Musik. Wo liegt da der Unterschied?

Dee Dee Bridgewater: Mein Ella Fitzgerald- und mein Horace Silver-Album – das waren Tribute-Projekte. Da ging es darum, dass ich ihre Musik in einem Stil interpretiere, der möglichst viel mit dem der Vorbilder zu tun hatte. Ich wollte ein Feeling erzeugen, dass an Ella oder Horace Silver erinnert. Deswegen haben wir auch mit den typischen Besetzungen und Arrangements gearbeitet, in denen die beiden aufgenommen haben. Bei „Dear Ella“ holten wir uns sogar Musiker ins Studio, mit denen schon sie gearbeitet hatte.

nmz Online: Und das neue Album?

Bridgewater: Ist etwas ganz anderes. Da singe ich die Songs, die Billie Holiday berühmt gemacht hat, auf meine Art und Weise und in ganz neuen Arrangements. Manchmal phrasiere ich vielleicht ein wenig wie Billie, aber nur an ganz wenigen Stellen und auch nicht, weil das die Aufgabe gewesen wäre, sondern weil ich einfach Lust dazu hatte. Wichtig war mir vor allem eines: Dass ein Album entsteht, das Billie Holiday und ihre Musik freudig feiert – und nicht schon wieder eines von diesen Alben, auf denen jemand traurig-tragisch auf Billie Holiday macht.

nmz Online: Drogen und Alkohol, Zuhälter und prügelnde Ehemänner - viele assoziieren mit Billie Holiday nicht unbedingt Freude.

Bridgewater: Natürlich hatte ihr Leben tragische Züge - vor allem zum Ende hin. Aber es ist falsch zu glauben, diese Frau wäre die ganze Zeit nur traurig und ohne Spaß durchs Leben gegangen. Mitte der 80-er Jahre habe ich zwei Jahre lang in einem Theaterstück Billie Holiday gespielt und gesungen. Damals habe ich über sie viel gelesen und viel gelernt. Zum Beispiel, dass sie einen sehr trockenen, beinahe britischen Humor hatte. Billie Holiday hat auch gerne mit den Musikern abgehangen, die sie nicht nur unter den Tisch trinken konnte. Sie konnte mindestens genauso gut fluchen und Witze erzählen.

nmz Online: Ihr Album ist nicht an Billie Holiday adressiert, sondern an Eleanora Fagan, den Geburtsnamen der Sängerin. Wollen Sie auch damit an die andere, unbekannte Seite der Jazzikone erinnern?

Bridgewater: Klar. Billie Holiday kennt jeder, Eleanora Fagan niemand. Dabei ist es die ein und dieselbe Person. Ich möchte an den Menschen hinter der Ikone erinnern.

nmz Online: Das CD-Cover zeigt sie als goldene Büste. Was hat es damit auf sich?

Bridgewater: Das bin ich in einer Billie Holiday-Pose. Mit Blumen am Kopf, allerdings keine Gardenien wie Billie Holiday, sondern Magnolien, die in „Strange Fruit“, ihrem berühmten Anti-Lynch-Song vorkommen. Von weitem erinnert das Cover an Billie, wenn man näher dran ist, erkennt man eindeutig mich – das ist eigentlich auch das künstlerische Konzept des Albums.

nmz Online: Sie lieben schnelle Tempi, können hervorragend scatten und verwandeln die Bühne oft in einen Hexenkessel. Sind Sie nicht eigentlich eine völlig andere Sängerin als Billie Holiday?

Bridgewater: Interessant, dass Sie das sagen. Zu Beginn meiner Karriere sahen das viele anders: Da wurde ich ständig mit Billie Holiday oder Sarah Vaughan verglichen. Vermutlich nicht zu Unrecht: Als ich Anfang der 70er-Jahre mit der Big Band von Mel Lewis und Thad Jones gesungen habe, kam Thad Jones eines Tages zu mir. Er sagte, ich solle aufhören, die Aufnahmen anderer Sängerinnen zu hören. Ich könne mit meiner Stimme, meinem Gehör und meinem Imitationstalent jeden Sänger und jede Sängerin imitieren. Er hat mich deswegen auch „Big Ears“ genannt. Er meinte, ich hätte genug andere Sängerinnen gehört. Es sei Zeit, einen eigenen Stil zu finden.

nmz Online: Haben Sie seinen Ratschlag befolgt?

Bridgewater: Bis heute höre ich kaum andere Sängerinnen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Etwa, als ich das Ella Fitzgerald-Album aufgenommen habe. Da habe ich ihre Musik studiert.

nmz Online: Und diesmal?

Bridgewater: Habe ich mir bewusst nichts von Billie Holiday angehört. Wissen Sie: Ich zehre immer noch von meinen zwei Bühnen-Jahren als Lady Day Mitte der 80-er Jahre. Das reicht vermutlich für’s Leben. Zum Schluss war sich so in die Rolle geschlüpft, dass ich nicht nur wie Billie Holiday gesungen, sondern auch wie sie gesprochen habe. Ich musste vier Monate pausieren, um meine eigene Stimme und meinen Stil wiederzufinden.

nmz Online: War Billie Holiday für Sie schon immer eine Referenz als Jazzsängerin?

Bridgewater: Nicht zu Beginn meiner Karriere. Da war Ella Fitzgerald für mich der Inbegriff einer Jazzsängerin. Oder Betty Carter. Auch weil beide so gut scatten konnten. Als ich das erste Mal Aufnahmen von Billie Holiday hörte, hat mich das gar nicht so beeindruckt. Allerdings war ich damals erst 19 – ein arroganter Grünschnabel, der sich nicht wirklich auskannte. Auf den Geschmack bin ich erst gekommen, nachdem ich ihre Autobiografie gelesen hatte. Die wurde von einem Ghostwriter geschrieben. Aber mich hat dieses Buch gepackt. Danach habe ich ihre Musik mit anderen Ohren gehört.

nmz Online: Was kann eine Jazz-Sängerin von Billie Holiday lernen?

Bridgewater: Ich war noch nie jemand, der Musik groß analysiert. Mir fehlt auch die Ausbildung, mit der zum Beispiel meine Musiker Billie Holiday – ihre Phrasierung und ihre Rhythmik – analysieren. Ich bin eher der intuitive Hörer. Aber natürlich kann ich Ihnen sagen, was Billie Holiday zu einer großen Jazzsängerin macht: Sie hatte einen absolut unverwechselbaren Stil. Sie konnte wie kaum jemand sonst „behind the beat“ singen und swingen. Ihre Phrasierung war wunderbar musikalisch und raffiniert. Oft hat sie Melodien durch eigene Nuancen so abgeändert, dass erst dadurch ein großer Song oder eine große Interpretation entstand. Ihr Stimmumfang war eigentlich klein – aber sie hat unglaubliche Sachen damit gemacht. Das wichtigste aber ist, dass sie eine wirklich großartige Interpretin war. Billie Holiday war viel mehr als eine Sängerin – sie war ein Song-Stilist, eine Schauspielerin.

nmz Online: Gibt es auf dem Album eine Nummer, die Sie besonders gefordert hat?

Bridgewater: „Strange Fruit“. Das ist ein Song, der einem schmerzhaft unter die Haut geht. Weil er einen in die Zeit zurück versetzt, als Lynchmorde an der Tagesordnung waren. Seitdem hat es natürlich riesige Fortschritte gegeben. Aber so optimistisch wie nach Obamas Wahl bin ich mittlerweile nicht mehr. Ich finde, dass der Rassismus zurückgekehrt ist. Man braucht sich nur anschauen, wie stark die extreme Rechte in den USA geworden ist und wie sie über den Präsidenten reden.

nmz Online: Brauchten Sie für „Strange Fruit“ mehr Takes als für andere Songs?

Bridgewater: Wir haben maximal drei Aufnahmen gebraucht – meistens nur zwei. Das ganze Album ist fast wie eine Live-Aufnahme entstanden. Ich glaube, dass ist das Studio-Album, bei dem ich am meisten so klinge wie auf der Bühne. Bei früheren Platten hatte ich oft das Gefühl, ich müsste die Energie, mit der ich live singe, im Studio ein wenig zügeln. Diesmal habe ich das einfach sein lassen und mich so in die Musik hineinfallen lassen wie ich das sonst nur live mache.

nmz Online: Die erste Nummer - „Lady Sings the Blues“ – hat einen leicht afrikanischen Touch.

Bridgewater: Damit wollte mein Pianist Edsel Gomez an das vorherige Album „Red Earth“ anknüpfen, das wir mit Musikern aus Mali aufgenommen haben. Das hat uns beide stark geprägt. Als ich das Arrangement zum ersten Mal gehört habe, dachte ich mir: Was für ein tolle Idee, du kluger und weiser Mann! Dass das Album gut geworden ist, hat sehr viel mit Edsel und seinen Arrangements zu tun. Die sind auf jeden einzelnen von uns zugeschnitten. Dafür hat er auch jeden beteiligten Musiker und dessen Aufnahmen lange Zeit studiert.

nmz Online: Werden Sie mit der Band auf Tour gehen, mit der Sie das Album aufgenommen haben?

Bridgewater: Das ist leider nicht möglich. Dafür sind Musiker wie der Bassist Christian McBride und der Schlagzeuger Lewis Nash viel zu gefragte Leute. Aber Edsel Gomez wird dabei sein.

nmz Online: Ihre Tochter China Moses hat letztes Jahr ein Jazz-Album aufgenommen. Haben Sie sie ermuntert?

Bridgewater: Meine Tochter hat den Jazz bislang gemieden. Sie will nicht ständig mit mir verglichen werden. Sie möchte eine eigene Karriere. Deswegen habe ich sie auch nie dazu gedrängt, Jazz zu machen. Ihr Pianist hat sie dazu überredet. Dass das Album so erfolgreich wird, hat China wohl selbst nicht gedacht. Und jetzt steckt sie mitten drin! Aber so ist das nun mal mit dem Jazz. So leicht lässt er einen nicht wieder los.

 

Konzerttermine:
25.04.10 Heidelberg (Stadthalle)
26.04.10 Frankfurt (Alte Oper)

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!