Man konnte ihm oftmals begegnen in den Berliner Konzerten der Neuen Musik, die er gerne als Hörer besuchte. Die produktive Offenheit, teilzunehmen an dem, was sich gerade entwickelt, die war ihm ebenso zu eigen wie auch sein Hang zum Rückzug, zur schöpferischen Einsamkeit im stillen Raum seiner kleinen, bescheidenen Schreibstube in Berlin-Wilmersdorf. Nie drängte er sich in den Mittelpunkt, er beobachtete die Dinge meist vom Rand aus und nahm dennoch hochengagiert und aufmerksam an ihnen teil. Michael Hirsch war einer der Aufrechten. Er gehörte zu den Leisen, Integren, Polter-Freien der Neuen-Musik-Szene. Niemals hat er ein schlechtes Wort über andere Kollegen verloren und auch wenn ihm ein Stück von Dritten keineswegs gefiel, so fand er doch stets Worte des aufrichtigen Respekts, die freundlich, authentisch und herrschaftsfrei waren.
Die Begegnung mit Josef Anton Riedl hat Michael Hirsch, der 1958 in München geboren wurde, nachhaltig in seinem Schaffen geprägt: Es war die Sprache, die er von jeher ins Zentrum seiner Arbeit rückte – Sprache als ein System der Ordnung, als eine Physiognomie des Klanges, als ein Vorrat von akustischen Bausteinen, aus dem er sich nach Wahl bedienen konnte. Als Mitglied der von Dieter Schnebel begründeten „Maulwerker“-Truppe hatte er ab 1981, mit seiner Übersiedelung nach West-Berlin, schon bald umfangreiche Bühnenerfahrung gesammelt. Auch als solistischer Sprecher-Performer trat er mit Werken von Kurt Schwitters, Josef Anton Riedl, Michael Lentz, seinem Bruder Cornelius Hirsch oder eigenen Werken in Witten, Donaueschingen, beim Ultraschall-Festival in Berlin oder bei der MaerzMusik auf. Sein klarer, dramatikbereinigter, natürlich anmutender Sprachstil stellte dabei stets das Wort und die Form, nie jedoch ihn selbst, den Akteur, in den Mittelpunkt. Spiel und Spieler waren im gesprochenen Wort, aber auch in seinen eigenen (Instrumental-)Werken stets eins, und doch überließ er es dem Zuschauer, über den Grad seiner Einfühlung selbst zu bestimmen.
Maßgebliche Impulse erhielt Hirsch nicht zuletzt aus der Begegnung mit Achim Freyer, dessen Ensemble er über viele Jahre hinweg angehörte: Das Zerdehnen von Klang, Zeit und Bewegung in einem fast zeitlupenartigen Strom beeinflusste sein Komponieren dabei genauso wie die stets neu inspirierte Sicht auf Bühne, Körper und Stimme. Das Geräusch, der „ungefasste“ Klang, reizte ihn mehr als die numerische Abfolge von pitches. Singstimme und das gesprochene Wort standen bei ihm stets auf einer Ebene. Die Räume, die er für seine musikalischen Klänge erfand, waren unprätentiös und klar. Die Mechanismen der Manipulation wie auch der Vereinnahmung blieben Michael Hirsch auf der Bühne wie auch im Leben stets suspekt: Er wollte überzeugen, nicht manipulieren.
Für sein kompositorisches Schaffen hat Hirsch, der aufrecht Bescheidene, eine Reihe von Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Elisabeth-Schneider-Preis (2001), das Kompositionsstipendium der Stadt München (1986) und den von Aribert Reimann gestiftete Busoni-Kompositionspreis (2005). 2009 wurde er für den Deutschen Musikautorenpreis / Sparte Musiktheater nominiert: Das Kammermusik-Theater, jene Form, in der mit einfachen, wenigen Mitteln etwas Theatralisch-Handwerkliches geschaffen wird – dieses Metier war seine große Leidenschaft. Zahlreiche Stücke hat er für dieses Genre geschrieben und noch Ende Januar konnte er mit seiner jüngsten Dido-Oper, einem zweiteiligen Werk in Gegenüberstellung mit Henry Purcell, in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Premiere feiern.
Am 6. Februar 2017 ist Michael Hirsch völlig überraschend im Alter von 58 Jahren in Berlin verstorben. Menschen von seiner Aufrichtigkeit, seiner unbeirrbaren Integrität in der Sache und der vollständigen Freiheit vom Denken in Hierarchien, die hätten wir zu keiner Zeit dringlicher gebraucht als heute.