Es war die Zeit der ersten Computerspiele Ende der Siebzigerjahre, als aus Japan ein elektronisches Instrumental in den Westen herüberschwappte: „Computer Game“ („Theme from The Circus“). Ein gewisses „Yellow Magic Orchestra“ hatte da Kraftwerk discofiziert, als Rockisten gerade in den USA Discoplatten auf den Scheiterhaufen geschmissen hatten. Heute gelten die Musiker des YMO, gegründet von Ryuichi Sakamoto, als Pioniere des japanischen Elektro-Pop.
Das YMO verfremdete den Beatles-Klassiker „Day Tripper“ genauso wie es Anleihen nahm bei Cerrone oder Dr. Buzzard‘s Original Savannah Band. Eine Band wie Daft Punk wäre vermutlich ohne das Yellow Magic Orchestra nicht möglich gewesen. Und der Schweizer Künstler Dieter Meier hat sich bei dem Namen seines Musikprojekts sowieso an YMO orientiert: Yello. Als im letzten Jahr das 40. Jubiläum von „Thriller“ gefeiert wurde, tauchte unter den Bonustracks auch eine Michael-Jackson-Version von „Behind the Mask“ auf.
Wer war nun dieser Mann „hinter der Maske“? Ryuichi Sakamoto wurde 1952 in Nakano, Präfektur Tokio, geboren. Er begann seine Karriere als Jazzpianist. Bald begeisterte er sich für die elektronische Popmusik aus dem Westen. Ungefähr zu der Zeit, als David Bowie und Brian Eno an der „Popmusik der Zukunft“ herumbastelten und von Giorgio Moroder mit Donna Summers „I Feel Love“-Beat überholt wurden, wie Bowie später gestand, hat Sakamoto seine Band gegründet.
Ein paar Jahre später wurde er auf der Leinwand zum Gegenspieler von David Bowie, in Nagisa Oshimas Meisterwerk „Merry Christmas, Mr. Lawrence“. Und bei dieser Gelegenheit lieferte er auch gleich die Musik dazu. Ein Filmkomponist wurde geboren. 1987 gab es dann den „Oscar“ für den west-östlichen Score zu Bertoluccis „Der letzte Kaiser“, den er zusammen mit David Byrne komponiert hatte – wobei Sakamoto für die „europäisch“ klingenden Stücke zuständig war. 1990 schließlich orchestrierte er für Bertolucci den „Himmel über der Wüste“, den Paul Bowles so magisch in seinem großartigen Roman beschrieben hat.
Es war 1989, im Jahr der „Batman“-Hysterie, als Sakamoto sein schönstes Album produzierte: „Beauty“. Es war das „helle“ Gegenstück zum düsteren „Batman“-Universum von Prince. Eröffnet wurde der Trip mit einer tollen Prince-Hommage, gesungen von der damaligen Prince-Muse Jill Jones.
Später kam dann auch Arto Lindsay zur Band, der schon immer eine Liebe zur japanischen Musik und zum Bossa Nova gepflegt hatte. Sakamoto lässt sich bei „Beauty“ inspirieren von den Rolling Stones oder Stephen Foster, dem „Vater“ des amerikanischen Popsongs. Höhepunkt ist ein melancholisches japanisches Traditional, das Sakamoto in seinem Repertoire behielt: „Asadoya Yunta“. „Beauty“ ist ein west-östlicher Musikdiwan, der grundiert wird von einem babylonischen Sprachgewirr.
Um die Jahrtausendwende erinnerte sich Sakamoto wieder an seine Anfänge als Jazzpianist. Zusammen mit Paula Morelenbaum und dem grandiosen Cellisten Jaques Morelenbaum überraschte er seine Fans mit einer Brazil-Hommage: „A Day in New York“. Klasiker von Antônio Carlos Jobim, João Gilberto oder Caetano Veloso erklangen da im neuen Kleid. Ein Abschieds-album. Ein letztes Mal hatte sich im November 2002 die Gruppe zum Konzert getroffen. Kurze Zeit später erklang im Kino sein Bolero zu Brian De Palmas „Femme Fatale“. Die Anfangssequenz von De Palmas Thriller hatte er mit einem Bolero orchestriert, den er „Bolerish“ nannte. Es war eine der schönsten „Verfremdungen“ von Ravels „Bolero“, die für das Kino entstanden sind. In seiner letzten Phase näherte sich Sakamoto bei seinen Solo-Piano-Projekten immer mehr Erik Satie an, dem Meister der Reduktion, der selbst so oft postum den Soundtrack zu vielen Filmen wie Malles „Das Irrlicht“ geliefert hat. Ein weiter Weg war das gewesen, von den elektronischen „Computer Games“ der Siebzigerjahre hin zum Minimalismus eines Satie. Am 28. März ist Ryuichi Sakamoto seiner Krebserkrankung erlegen.