München - Als Sergiu Celibidache 1996 starb, brach für seine Fans eine Welt zusammen. Manch eingefleischter "Celi"-Adept glaubte sogar, mit dem Ableben des Meisters sei die Interpretation klassischer Musik gleichsam an ihr Ende gekommen. Immerhin kam nach seinem Tod endlich eine CD-Edition mit Einspielungen etwa der Sinfonien Anton Bruckners heraus - und das, obwohl "Celi" Aufnahmen zu Lebzeiten stets als "tönende Pfannkuchen" kritisiert hatte. Am 11. Juli wäre Celibidache 100 Jahre alt geworden.
Aus diesem Anlass geben die Münchner Philharmoniker am kommenden Mittwoch (4. Juli) im Gasteig ein Konzert mit Bruckners 8. Symphonie. Obwohl aus Rumänien stammend, war Celibidache einer der letzten großen Dirigenten, die die alte deutsche Klangtradition hoch hielten: dunkle Grundierung, solides Bassfundament, weicher Bläsereinsatz. Er war der "große Unzeitgemäße", urteilte einst die "FAZ", und mit seiner kompromisslosen Haltung gegenüber den Vermarktungsstrategien der Musikindustrie ein "Pfahl im Fleische der Musikkultur".
Sein Handwerk gelernt hatte Celibidache unter anderem bei Wilhelm Furtwängler. Kurz nach dem Krieg, als Furtwängler noch nicht "entnazifiziert" war, übernahm er die Berliner Philharmoniker und führte sie mit seinem überschäumenden Temperament und seinem Charisma zu Höchstleistungen. Das Publikum war begeistert von dem jungen Feuerkopf mit den schwarzen Korkenzieherlocken; viele Musiker fürchteten indes seine Wutausbrüche. Legendär waren seine Ausfälle gegen Dirigentenkollegen und natürlich das Medium Schallplatte. Celis Repertoire galt als eher begrenzt. Opern dirigierte er nie.
Seit 1979 an der Spitze der Münchner Philharmoniker
Celibidache übergab Furtwängler 1952 ein Orchester in Bestform. Dass nach Furtwänglers Tod Herbert von Karajan statt seiner zum neuen Chef der Berliner Philharmoniker gewählt wurde, soll er nie ganz verwunden haben. Seither mied er die Musikhauptstädte Berlin und Wien und leitete zuweilen zweitklassige Orchester, die freilich unter seiner Stabführung zu ungeahnten Leistungen imstande waren. Erst 1961 verband er sich wieder für längere Zeit mit dem Schwedischen Radio-Symphonieorchester, danach mit dem Stuttgarter Radiosymphonieorchester.
Als er 1979 die Leitung der Münchner Philharmoniker übernahm, hielt die Musikwelt gespannt den Atem an. In den 17 Jahren unter seiner Leitung entwickelte sich das etwas behäbige Orchester zu einem Klangkörper von Weltrang. Berühmt waren vor allem seine Brahms- und Bruckner-Interpretationen. Triumphale Konzertreisen brachten ihm auch im Ausland den Ruf eines "Klangmagiers" ein. Umstritten bis zuletzt waren seine breiten Tempi, durch die nicht nur Bruckner-Sinfonien zu andachtsvollen Weihestunden wurden.
Viel Wert legte der vom Zen-Buddhismus geprägte Celibidache auf die Ausbildung des musikalischen Nachwuchses. An der Mainzer Universität hielt Celi, der auch Mathematik und Philosophie studiert hatte, Seminare über seine Theorie der "musikalischen Phänomenologie". Musik war für ihn nicht nur ein Klangerlebnis, sondern Quelle der Erkenntnis. "Musik ist nicht schön, Musik ist wahr", war sein Credo.
Einen ergebenen Kreis von Auserwählten lud er zuweilen in seinen privaten Wohnsitz ein, eine alte Mühle nahe Paris, wo er auch seine letzte Ruhestätte fand.
Vieles, was in diesen Zirkeln besprochen wurde, war nur Eingeweihten verständlich. Den Münchner Regisseur Jan Schmidt-Garre, der ein anrührendes Celi-Porträt gedreht hat, erinnerten die musikalischen und musikphilosophischen Seancen lebhaft an das Verhältnis eines indischen Gurus zu seinen Jüngern.
Wie schwer es Celis Zuhörern und vor allem seinen Schülern fiel, sich aus dem Bann des Meisters zu lösen, zeigte eine etwas gespenstische Szene bei einer früheren Gedenkveranstaltung. Damals sprang Konrad von Abel, einer von Celis engsten Vertrauten, für den erkrankten Zubin Mehta ein, der mit den Münchner Philharmonikern eine Bruckner-Sinfonie aufführen sollte. Von Abel wirkte auf dem Podium wie eine Kopie des Meisters - die gleichen Gesten, die gleiche Emphase.
Befragt, was Celi seinen Schülern nicht habe beibringen können, antwortete der Dirigent Mark Mast, einer seiner erfolgreicheren Schüler, jüngst in einem Interview: "Seinen eigenen Weg zu gehen."