Vor vielen Jahren führte der Autor dieser Zeilen sein erstes Interview mit Al Jarreau, am Telefon. Nach der Vorstellung meldete sich Jarreau fast euphorisch: „Yes, we met in Ingolstadt, so nice to talk to you again.“ Auch auf die Replik, leider sei man sich noch nicht begegnet, beharrte er: „But I know you. I remember your voice.“ Man fühlte sich umarmt, das Eis war gebrochen, noch bevor die Temperatur überhaupt sinken konnte.
Das Bezirzen von Journalisten war Jarreaus leichteste Übung. Er hatte weit härtere Nüsse geknackt, in seinem ersten Leben neben der Musik. War der studierte Psychologe doch einige Jahre lang in San Francisco Sozialarbeiter. „Ich arbeitete bei Rehabilitierungsprogrammen für Behinderte“, berichtete er. „Wenn du die Hand eines Amputierten, eines Blinden oder von jemandem mit Kinderlähmung hältst, mit ihnen redest, ihnen zu helfen versuchst, versuchst, ihr Leben zu reparieren, dann verändert dich das. Es verändert auch die Art, wie du einen Song singst. Es half mir, herauszufinden, wer ich bin. Und Songs mit mehr Überzeugung zu singen.“
Und so wurde der Mann aus Milwaukee, 1940 als fünftes von sechs Kindern eines Adventisten-Predigers und einer Kirchenorganistin geboren, zum großen Menschenfischer, erst des Jazz, später auch des Rhythm’n’Blues und des Pop – bis heute ist er der einzige, der Grammys (insgesamt sieben) in allen drei Kategorien gewonnen hat. Dabei war er ein Spätstarter: Mit 35 nahm er sein erstes Album auf, im Jahr darauf kam der Durchbruch, im Hamburger „Onkel Pö“. „Das deutsche Publikum hat mich groß gemacht“, sagte er selbst einmal. Als seine Mission bezeichnete er es, Leuten Freunde zu machen. Das Instrument dafür war seine Stimme. Mit ihr machte er Dinge, die bis dahin bei einem Sänger unbekannt waren. Konkurrenzlos variabel ließ er sie lachen, jauchzen, brummen und vor Schmelz platzen, er imitierte Instrumente und jagte seinen Bariton vom tiefsten Bassregister bis ins atemberaubende Falsett. Eine „unfassliche Mischung aus Soulsänger, Unterhaltungskünstler à la Sammy Davis Jr. und Improvisationstalent wie Jon Hendricks“ nannte es der Jazzredakteur Michael Naura, der ihn zusammen mit Siggi Loch nach Deutschland geholt und für den NDR aufgenommen hatte.
Fortan war Jarreau unermüdlich und stets umjubelt unterwegs. Das große, wohl vorbereitete, aber im und für den Moment gestaltete Konzert war seine Leidenschaft und sein Lebenselixier, dazu spielte er im Jahrestakt Alben ein, bekam Ehrung um Ehrung. Seine überbordende Lebensfreude ließ er sich auch von chronischen Gesundheitsproblemen nicht vermiesen. Mal zwickte es im Knie, mal im Rücken, mal machte das Herz Probleme, seit längerem musste er ein Hörgerät tragen. Im vergangenen Jahr ging er noch einmal mit der NDR Bigband auf Tour, mit seinem ersten Ellington-Tribute, da musste man ihn schon mit dem Rollstuhl zur Bühne bringen. Nach 18 Konzerten in 31 Tagen ging es nicht mehr. Anfang Februar verkündete das Management, dass er wegen „Ermüdung“ seine Karriere beende. Diese konzertlose Aussicht hat er nicht lange ausgehalten: Am 12. Februar, einen Monat vor seinem 77. Geburtstag, ist Al Jarreau in Los Angeles gestorben. Einer wie er kommt nicht wieder und wird vermisst werden.