In den letzten Jahren ist es still um ihn geworden, und doch war er immer da, der Schweizer Komponist Klaus Huber, der jetzt im Alter von 92 Jahren in Perugia gestorben ist. Bis zum Schluss besuchte er Konzerte, vor allem auch die der Kompositionsklasse der Hochschule für Künste in Bremen.
Die zukunftsweisende Schönheit seiner sensiblen Musik ist ebenso präsent wie seine kompromisslose Haltung einer „Ästhetik des Widerstands“ (auf den Romantitel von Peter Weiss hat er sich immer wieder bezogen). 1970 erhielt er den Beethovenpreis der Stadt Bonn, 1975 den Kompositionspreis des Schweizerischen Tonkünstler-Verbandes, 1978 den Kunstpreis der Stadt Basel, 1986 den Premio Italia, 2009 den noch jungen Musikpreis Salzburg, um nur wenige und die wichtigsten zu nennen. Gekrönt wurde sein Lebenswerk mit dem höchsten deutschen Kunstpreis, dem Preis der Ernst von Siemens Musikstiftung, den es seit 1974 für Komponisten, Interpreten oder Musikwissenschaftler gibt. „Ich versuche“, hat er einst gesagt, „in der Musik, die ich mache, das Bewusstsein meiner Zeitgenossen, die wie wir alle zu schlafenden Komplizen weltweiter Ausbeutung geworden sind, hier und jetzt zu erreichen, zu wecken.“
Klaus Huber wurde 1924 in der Schweiz geboren und studierte in Zürich Kirchenmusik, Komposition und Geige. Seit 1973 prägte er als einflussreicher Professor für Komposition in Freiburg und als Leiter des von ihm gegründeten Instituts für zeitgenössische Musik nicht nur das Können, sondern vor allem auch das Bewusstsein von mindestens zwei Generationen von Student/-innen. Unter seiner Leitung erreichte das Institut Weltgeltung. Reinhard Febel, Brian Ferneyhough, Younghi Pagh-Paan, Wolfgang Rihm, Kaija Saariaho und viele andere zählen zu seinen Schülern. Die Technik und die Entwicklung des kompositorischen Handwerks wurde bei ihm strengstens an der politischen und moralischen Haltung gemessen, sein Vorbild war in dieser Hinsicht der italienische Komponist Luigi Nono. Seine Musik als „Bekenntsnismusik“ zu bezeichnen, dagegen hatte er nichts, „sofern man bereit ist, darunter nichts Subjektivistisches zu verstehen“.
Hubers musikalisches Denken operiert mit dreierlei „Materialien“: Es nimmt vielfältig auf historische Musik Bezug – wie in den „Lamentationes Sacrae et Profanae ad Responsoria Jesualdi“, in denen er sich auf den großen Karwochenzyklus des Renaissance-Komponisten Carlo Gesualdo bezieht. Mittelalterliche Schriften inspirieren ihn in gleicher Weise wie zeitgenössische Texte. Huber bezieht sich auf die Bibel ebenso selbstverständlich wie auf die Schriften des nicaraguanischen Revolutionärs Ernesto Cardenal, er orientiert sich am Werk der Sozialistin und Mystikerin Simone Weil oder, wie in seinem Streichtrio „Des Dichters Pflug“, an der archetypischen Bilderwelt des russischen Dichters Ossip Mandelstam, über den er auch seine Oper „Schwarzerde“ (2001) schreibt. „Das Unabgegoltene in der Geschichte aufzusuchen, ist eine bessere Weise des Fortschritts als tabula rasa, hat Ernst Bloch einmal sinngemäß gesagt. Mich hat immer interessiert, wo sind die Brücken, die diese unterschiedlichen Zeiten in Gedanken verbinden“.
In der jüngsten Vergangenheit suchte er immer mehr nach Verinnerlichung und Differenzierungen der Klanglichkeit – darin nicht unähnlich dem Spätwerk seines Freundes Nono. Beispielhaft dafür ist die „lentissimo“- und „pianissimo“-Einleitung von „Umkehr – im Licht sein“ aus dem Jahr 1997. Dieses programmatische Bestreben hat Huber kontinuierlich weitergetrieben und dabei immer mehr musikalische Konventionen hinter sich gelassen. Seit dem Golfkrieg („Da ging’s bis zu den kleinsten Blättern“, erinnerte er sich, „der Oberteufel auf der Welt ist der Islam. Das konnte ich so nicht sitzen lassen. Da bin ich dem nachgegangen“), setzte er sich mit außereuropäischen Tonsystemen auseinander und durch sie mit Mikrotonalität und Dritteltönigkeit. Im Streichquintett „Ecce Homines“ hat Huber eine schwebende Dritteltönigkeit mit der arabischen Dreivierteltönigkeit konfrontiert. „Ich will ihr Denken (des Publikums) und Fühlen aufbrechen, erschüttern. Gerade um so viel, dass das Prinzip Hoffnung am Horizont aufzudämmern vermag – die konkrete Utopie: die Veränderung der Zukunft durch die Gegenwart.“„…inwendig voller Figur“ für Chorstimmen und großes Orchester 1971 ist das erste ganz große Werk, das sich 25 Jahre nach Hiroshima radikal auf die Gegenwart bezieht.
Huber bekämpft, indem er uns derartig „die Ohren putzt“, wie er sagte, den europäischen Kulturimperialismus ebenso wie alle Erscheinungen einer so genannten Weltmusik. Denn es geht ihm um „die Interaktion der so reichen wie verschiedenartigen Musikkulturen unseres Planeten, so lange es diesen noch gibt…“ Das Oratorium „Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet“ ist in diesem Sinne sein Hauptwerk der achtziger Jahre. „Steht alle auf, auch die Toten“, schreibt er über den vierten Satz. Dass sein hohes künstlerisches Ethos der überragenden Qualität seiner Werke entspricht, macht den Wahlbremer – er war mit der emeritierten Bremer Professorin Younghi Pagh-Paan verheiratet – neben Luigi Nono, Helmut Lachenmann, György Ligeti, Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen zu den Großen seiner Generation.