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An der schulischen Realität orientiert

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Bach und Elvis: ein Nachruf auf Winfried Pape
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An einem späten Herbstabend im Wintersemester 1990/91 erklang lautes und anhaltendes Lachen auf den Fluren eines Hotels zu Prag, wo sich die Musikprofessoren der Universität Gießen gemeinsam mit ihren Studenten auf einer Exkursion befanden. Unbeaufsichtigt von jenen, nutzten diese die Gelegenheit, Parodien auf ihre akademischen Lehrer anzufertigen, in Form von Kontaktanzeigen.

Das studentische Gelächter wird verständlich, vergleicht man den Text der Annoncen mit den gemeinten Personen. Denn obwohl anonym, ist jeder der Porträtierten sofort und zweifelsfrei erkennbar. An Position fünf lautet die Annonce: „Vergleiche seit Jahrzehnten Bachs Cello-Suiten mit ‚Rock around the clock‘ und bin bis jetzt noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Spiele deshalb mit dem Gedanken, auf Midi-Cello umzusatteln. Suche weibliches Pendant – gerne trinkfeste Sängerin – die mich (nicht nur) musikalisch inspiriert. Chiffre Gemeinsam sind wir unerträglich.“ Alle ironische Übertreibung einmal beiseite, ist damit sehr wohl das Charakteristische der beruflichen Laufbahn von Winfried Pape benannt. Er kam vom Cello her, hatte in sehr jungen Jahren als Solocellist der Hamburger Philharmoniker bereits eine glänzende Position erreicht und dokumentierte seine Liebe zu diesem Instrument später beispielsweise mit dem Handbuch für das Violoncello, das er gemeinsam mit dem Solocellisten der Berliner Philharmoniker – Wolfgang Boettcher – verfasst hat, ein Standardwerk ebenso wie das Handbuch zur Instrumentenkunde von Winfried Pape.

Doch er verzichtete bald auf das eher geruhsame Leben eines Orchestermusikers und wurde – wie sein Vater – Musikpädagoge. Dazu bedurfte es eines weiteren Studiums, das Winfried Pape mit einer Promotion an der Universität Saarbrücken abschloss, wo er schon alleine unerträglich war, zumindest für einen potentiellen Doktorvater, dem er recht einfache Fragen nach dessen Vergangenheit stellte, dabei war dieser Mann eine tragende Stütze der deutschen Musikwissenschaft im Dritten Reich; Opportunismus war Winfried Papes Sache nicht. Dennoch verlief auch in der Musikpädagogik  seine berufliche Karriere äußerst erfolgreich, zunächst in der Musiklehrerbildung an der Technischen Hochschule Aachen, später an der Universität Gießen. Dabei bezog Winfried Pape eine Position, die in diesem Fach leider immer noch nicht selbstverständlich ist. Er, der so tief in die Kunst eingedrungen war wie kaum ein anderer Musikpädagoge, pflegte an der Universität eben nicht seine Neigung zu Bach und zur musikalischen Hochkultur, verwechselte die Erfüllung der Pflicht zu Forschung und Lehre eben nicht – wie so häufig – mit dem Reiten privater Steckenpferde, sondern orientierte sich an der Realität des schulischen Musikunterrichts und den daraus resultierenden Notwendigkeiten.

Winfried Pape war einer der Ersten, die Popmusik in den musikdidaktischen Horizont zu rücken, er war Mit-Autor gewichtiger empirischer Studien über die Situation des Musikunterrichts, über die Sozialisation von Amateurmusikern oder über die Popmusikindustrie oder er beschäftigte sich mit der jugendlichen Nutzung von Musik im Internet. In diesem Sinne engagierte er sich ebenfalls lange Jahre im „Arbeitskreis musikpädagogische Forschung“ und im „Arbeitskreis Studium populärer Musik“. Nun ist Winfried Pape 80-jährig in Aachen gestorben.

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