München - Im Sommer ließ sich Kent Nagano für ein Magazin unter den Münchner Eisbach-Surfern ablichten und berichtete von seiner Leidenschaft für die "perfekte Welle". Der Beitrag konnte als Hommage an die bayerische Metropole verstanden werden, wo er seit 2006 als Generalmusikdirektor der Staatsoper wirkt.
Zugleich zeigen die Fotos - Nagano posierte unter den Neopren-Gestalten im schwarzen Frack - aber auch eine große Distanz. Die geschickt inszenierten Aufnahmen sagen einiges aus über den kalifornischen Stardirigenten und sein Verhältnis zu München. Denn ganz angekommen ist der Weltbürger, der am Dienstag (22. November) 60 Jahre alt wird, in der Stadt nie.
Mit schuld an dieser Situation ist zweifellos das Zerwürfnis mit Staatsopernintendant Nikolaus Bachler. Vergangenes Jahr verkündete Nagano nach einem öffentlich ausgetragenen Machtkampf, dass er seinen Vertrag nicht über 2013 hinaus verlängern will. Seither sind sich die beiden Männer in höflicher Abneigung verbunden. Die Charaktere des asketischen, immer etwas reserviert wirkenden US-Künstlers und des auf glamouröse Außendarstellung bedachten Theatermanagers waren wohl einfach zu unterschiedlich.
Und auch die Repertoirevorstellungen der beiden Männer passten nie zusammen. Während Bachler auf Schönklang und Stimmenpracht setzt und "mehr Italianitá wagen" wollte, ist Naganos eigentliche Domäne die Musik des 20. Jahrhunderts und die zeitgenössischen Musik. Auch im vermeintlich Bekannten sucht Nagano immer das Ungewohnte, Ungeschliffene.
In München kein Publikumsliebling
Als der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair 2003 den langhaarigen US-Künstler mit japanischen Wurzeln als neuen Generalmusikdirektor der Staatsoper und Nachfolger Zubin Mehtas präsentierte, waren die Feuilletons noch voll des Lobes für diese als mutig empfundene Entscheidung. Nagano leitete damals das Deutsche Symphonieorchester Berlin (DSO) und hatte sich mit ausgefallenen Programmen und großem Engagement für die zeitgenössische Musik und die musikalische Nachwuchsförderung Meriten erworben.
Dieser Mann sollte die Staatsoper zusammen mit dem Musikmanager Christoph Albrecht in eine neue Ära führen. Doch der wenig profilierte Albrecht warf vor seinem Antritt das Handtuch, woran Nagano nicht ganz unschuldig gewesen sein soll. Zusammen mit der früheren PR-Chefin am Münchner Nationaltheater, Ulrike Hessler, heute Intendantin der Dresdner Semperoper, bildete Nagano ein interimistisches Führungsduo, bis der damalige Wiener Burgtheaterchef Bachler zur Saison 2008/2009 als neuer Staatsopernchef nach München wechselte. Zeitgleich mit seinem Amtsantritt an der Isar übernahm Nagano die Position eines Music Director beim Orchestre symphonique de Montréal.
Zum Publikumsliebling wie in Berlin avancierte Nagano in München nicht. Mit seinen klanglich abgespeckten, analytischen Interpretationen etwa der Werke Richard Wagners mochten sich viele der an rauschhafte Opulenz gewohnten Münchner Opernfreunde nicht anfreunden. Dagegen scheint Nagano in Montreal eine neue künstlerische Heimat gefunden zu haben. Die Stadt ist für den Künstler so einzigartig, weil sie "europäische und amerikanische Tradition mischt", bekennt Nagano in einem Film über seine Zusammenarbeit mit dem kanadischen Orchester. Jüngst eröffnete er dort eine neue Konzerthalle und erregte Aufsehen mit einem Konzert für die kanadischen Ureinwohner, die Inuit, im hohen Norden Québecs.
Wagner und Eisbachwelle
Nagano wuchs im kalifornischen Morro Bay auf, wo er eine frühe musikalische Ausbildung genoss und sich in Hausmusik übte. Nach einem Studium der Soziologie und Musik in Santa Cruz und San Francisco wurde er Korrepetitor an der Bostoner Oper. Seine Verehrung für den französischen Komponisten Olivier Messiaen führte ihn 1984 nach Frankreich, wo er unter Leitung von Seiji Ozawa bei der Uraufführung von Messiaens einziger Oper "Saint Francois d'Assise" assistierte und erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Von 1989 bis 1998 war er musikalischer Leiter der Opera National de Lyon, die er zur zweitwichtigsten Bühne Frankreichs machte. Daneben leitete er das Hallé-Orchester in Manchester und feierte Erfolge als Gastdirigent in aller Welt.
Naganos Bilanz in München fällt bislang durchwachsen aus. Allerdings steht noch ein musikalisches Großprojekt aus. Kommendes Jahr wird die Bayerische Staatsoper Wagners Riesenopus "Der Ring des Nibelungen" auf die Bühne des Nationaltheaters bringen. Die monumentale Operntrilogie ist natürlich Chefsache. Am Ende der Spielzeit 2012/2013 wird Nagano den Stab an den russischen Shootingstar Kirill Petrenko übergeben. Vorher will er noch einmal die "Persönlichkeit" der Münchner Eisbachwelle mit seinem Surfbrett testen: "Bevor ich München verlasse, werde ich das nachholen."