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Ausschau halten nach dem Übermorgen: Joe Lovano. Foto: Jimmy Katz
Ausschau halten nach dem Übermorgen: Joe Lovano. Foto: Jimmy Katz
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Der „Was-Wäre-Wenn-Bird“: der Saxophonist Joe Lovano im Gespräch

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Joe Lovano hat ein Charlie Parker-Tribute-Album der besonderen Art aufgenommen, mit dem er am 24. März bei der Jazzwoche Burghausen zu hören ist. Claus Lochbihler unterhielt sich mit dem Saxophonisten (geb. 1952) über entschleunigten Be Bop, übereinander geschichtete Blues-Nummern und das Spiel mit zwei Schlagzeugern.

Mr. Lovano, Ihr neues Album ist der Musik des Saxophonisten Charlie „Bird“ Parker gewidmet. Wie würden Sie seine Bedeutung für den Jazz umreißen?

Zusammen mit Leuten wie Thelonious Monk, Dizzy Gillespie und Max Roach hat Charlie Parker den Jazz auf eine sehr reine, unkommerzielle Art weiter entwickelt – indem er ausschließlich seinen musikalisch-künstlerischen Instinkten folgte und den Jazz endgültig zu einer Kunst machte. Parker war mit Sicherheit einer der inspiriertesten und kreativsten Köpfe dieser Ära. Sein Einfluss lebt heute noch beinahe unvermittelt fort. Dabei wurde er nur 34 Jahre alt. Für ein solch kurzes Leben hat er wahnsinnig viel Musik, noch dazu wegweisende Musik aufgenommen. Und er hat Generationen von Musikern inspiriert, nach einem ähnlich hohen Level an Virtuosität zu streben.

Auf „Bird Songs“ entschleunigen Sie „Donna Lee“ zu einer Coleman Hawkins-Nummer und unterziehen „Ko-Ko“ einer Nachbearbeitung à la Ornette Coleman. Es ist ein bisschen so, als ob Sie Charlie Parker in die Jazzgeschichte einlegen und dann rückwärts oder vorwärts spulen.

Es ging jedenfalls nicht darum, ein „Joe Lovano spielt Charlie Parker“-Album aufzunehmen.

Sondern?

Ich wollte einige seiner größten Stücke und Tonfolgen umdeuten und mir aneignen. Ich habe mich schon immer gefragt, wie Bird und seine Stücke sich entwickelt hätten, wenn er länger gelebt hätte. Das Album ist der Versuch, diese Frage ein bisschen für mich selbst zu beantworten.

Gibt es zu viele Tribute-Alben im heutigen Jazzbetrieb?

Ich würde sagen: Es gibt zu viele Alben, auf denen Musiker versuchen, eins zu eins die Geschichte anderer Musiker nachzuerzählen – mit deren musikalischen Ausdrucksmitteln. Aber so etwas funktioniert nicht. Weil man im Jazz immer nur das Eigene und die eigene Geschichte erzählen kann.

Wie kamen Sie auf die Idee, für das Album drei von Parkers Blues-Themen zu einer kurzen Collage übereinander zu stapeln?

Ich wollte auf dem Album wenigstens einmal Altsaxophon spielen - als Hommage an Parker und weil ich selbst einmal auf diesem Instrument begonnen habe. Am liebsten über eines von Parkers genialen Blues-Themen. Die Frage war nur: Über welches? Der Mann hat so viele Blues-Nummern geschrieben. Jedes davon ein Meisterstück! Da ich mich für keines entscheiden konnte, kam ich auf die Idee, drei von ihnen zu einer kurzen Blues-Collage zusammenzufassen. So kommt es, dass wir drei Themen gleichzeitig spielen: Esperanza Spalding auf dem Bass „Bird Feathers“, James Weidman am Klavier „Bloomdido“ und ich „Carvin‘ The Bird“.

Was ein beinahe Fugen-artiges Feeling ergibt…

Ich bin froh, dass wir genau das bei der Aufnahme hinbekommen haben. Das war das Spannendste überhaupt, was im Studio passiert ist.

Wie oft hören Sie ein Album wie dieses, wenn es mal veröffentlicht ist?

Kaum. Natürlich freut es einen, wenn man sich selbst auf einmal im Radio hört. Vor ein paar Tagen etwa habe ich unsere Version von „Loverman“ über das Autoradio gehört. Aber selbst lege ich meine Alben fast nie auf.

Wieso?

Wenn man etwas einspielt, versenkt man sich über Monate so intensiv in die Planung, die Aufnahmen und das Abmischen, dass man am Ende, wenn alles fertig ist, es gar nicht mehr hören braucht. Außerdem entwickelt sich die Musik ja weiter, wenn man auf Tour geht. Weshalb soll ich mir also den Stand von vorgestern anhören? Ein Album ist nicht mehr als eine Visitenkarte, mit der man sich beim Publikum vorstellt: So ähnlich werden wir versuchen zu klingen, wenn Sie demnächst zu uns ins Konzert kommen.

Auf „Loverman“ spielen Sie ein neuartiges Sopransaxophon, auf „Birdyard“ das Aulochrome, ein doppeltes Sopransaxophon, mit dem man zweistimmig spielen kann. Woher diese Vorliebe für ungewöhnliche Instrumente?

Ich war schon immer auf der Suche nach neuen Saxophonen und Holzblasinstrumenten. Zu Hause habe ich eine ganze Sammlung von Flöten und Klarinetten, die ich von meinen Reisen aus der ganzen Welt mitgebracht habe. Das Aulochrome setzt eigentlich nur das fort, was schon Leute wie Rahsaan Roland Kirk gemacht haben – damals allerdings auf zwei verschiedenen, gleichzeitig gespielten Instrumenten. Mit dem Aulochrome ist das viel einfacher, weil die beiden Teilinstrumente über ein gemeinsames Keyboard verbunden sind. Das neue Mezzo-Sopran hat einen wunderbaren Klang und ein ganz spezielles Timbre. Die Tonlage ähnelt der einer Altflöte oder eines Englischhorns.

Was geben Ihnen diese ungewöhnlichen Instrumente?

Wenn ich mich mit einem neuen Instrument und seinem Sound auseinandersetze, befeuert das meine Ideen für meine Hauptstimme, das Tenorsaxophon. Es hält einen frisch und sorgt dafür, dass man ständig nach dem Übermorgen Ausschau hält. Man will ja immer noch besser werden. (Lachen) Ein bisschen ist es so, wie wenn man das Radfahren immer wieder von Neuem erlernt.

Bei „Us Five“ spielen Sie mit zwei Schlagzeugern. Woher diese ungewöhnliche Besetzung?

Vor vier Jahren habe ich mit einem Trio und einem Quartett gespielt. Im einen saß Francisco Mela, im anderen Otis Brown am Schlagzeug. Eines Tages dachte ich mir, dass es Spaß machen müsste, mit beiden in einer Band zu spielen.

Wie haben die beiden auf Ihren Vorschlag reagiert?

Zuerst wussten sie nicht, was sie damit anfangen sollten. Beide hatten so etwas noch nie gemacht. Ich dagegen hatte schon mehrfach in Bands mit zwei Schlagzeugern gespielt. Ich fand auch schon immer toll, was Coltrane mit Elvin Jones und Rashied Ali gespielt hat und Ornette Coleman mit Billy Higgins und Ed Blackwell. Über die Jahre habe ich sogar mit allen vier dieser Schlagzeuger gespielt. Ich kenne also das Vokabular einer solchen Besetzung und weiß, was damit alles möglich ist.

Was für ein Feeling ist das, über die Rhythmen von zwei Schlagzeugern zu spielen?

Da sind einfach mehr Ideen im Umlauf, auf die man reagieren kann. Man soliert mit zwei Schlagzeugern oft völlig anders als wen nur einer im Spiel ist. Außerdem hat man eine große Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten: Man kann zu fünft spielen, sich ganz flexibel aber auch in einer Vielzahl verschiedener Quartett-, Trio- oder Duo-Besetzungen zusammenfinden. Jedes Mal, wenn einer aus- oder wieder einsteigt, verändert sich die Stimmung und die Dynamik des Stückes. Das ist für mich das eigentlich Reizvolle an dieser Besetzung.

Zwei Schlagzeuger in einer Band: Ist das manchmal nicht doppelt gemoppelt?

Natürlich muss man noch mehr darauf achten, dass man sich gegenseitig Platz lässt. Und richtig gut aufeinander hören. Man darf auch nicht irgendwelche Schlagzeuger miteinander kombinieren, sondern nur solche, die sich stilistisch ergänzen. Francisco Mela kommt aus Kuba, Otis aus New Jersey. Beide sind hervorragende Jazzschlagzeuger. Aber das Feeling mit dem sie spielen ist sehr verschieden – wegen ihres unterschiedlichen Backgrounds.

Das Schlagzeug ist für den Zuhörer ein viel visuelleres Instrument als das Saxophon, weil der Zusammenhang zwischen den Bewegungen des Musikers und der Musik offensichtlicher ist. Beobachten Sie das auch bei Ihren Konzerten?

Da ist nach meiner Erfahrung tatsächlich etwas dran: Das Publikum kann nicht nur hören, wie sich unsere Musik entfaltet, es kann ihr zuschauen. Die Sache mit den zwei Schlagzeugern ist etwas ganz Besonderes, das die Zuhörer bei unseren Konzerten in die Musik richtig reinzieht.

Joe Lovano / Us Five:
Bird Songs (Blue Note/EMI)
Joe Lovano, Saxophones; James Weidman, Piano; Esperanza Spalding, Bass; Otis Brown III, Drums; Francisco Mela, Drums

Internet-Links:
Joe Lovanos Webseite: http://www.joelovano.com/

Schönes Video über das „Bird Songs“-Album von Joe Lovano und „Us Five“:
http://www.youtube.com/watch?v=5MVLsRO3AD8

Joe Lovano und das Aulochrome – zwei Videos:
http://www.youtube.com/watch?v=iWZ1ADDkobc
http://www.youtube.com/watch?v=vsKybRtQcQk

Webseite zum Aulochrome:
http://aulochrome.com/press/14/JoeLovano

 

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