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„Die Gitarre ist das Instrument, mit dem ich das, was ich in meinem Kopf höre, in die Welt hole“: Bill Frisell. Foto: Jimmy Katz
„Die Gitarre ist das Instrument, mit dem ich das, was ich in meinem Kopf höre, in die Welt hole“: Bill Frisell. Foto: Jimmy Katz
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Der Wasserfarben-Gitarrist: Bill Frisell im Gespräch über John Lennon, Inspiration und persönliche Limits als Chance

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Mit seinem filmmusikalischen Projekt „The Great Flood“ gastiert Bill Frisell Anfang November in Wien, Ludwigshafen und Straßburg. Im Interview erzählt der Gitarrist, warum er sich so oft von Film und Malerei inspirieren lässt, was ihn mit dem Comic-Künstler Gary Larson verbindet und weshalb seine letzte CD-Einspielung den Songs von John Lennon galt.

Mr. Frisell, was macht den Reiz der Songs von John Lennon aus?

Dass  man sich ihnen einfach nicht entziehen kann. Man hört ein paar Takte – schon ist man mittendrin. Das hat mit der Qualität der Musik und ihrer Melodien zu tun. Und noch etwas zeichnet seine Songs aus: Sie sind sehr, sehr persönlich, aber sie sprechen uns alle an.

Sie haben schon auf früheren Alben Pop-Songs gespielt. Bei dem Lennon-Projekt „All We are  Saying“ fällt allerdings auf, dass Sie die Songs kaum dekonstruieren oder vorwiegend als Improvisationsmaterial verwenden.

Wir wollten diese Songs weder auseinander nehmen oder reharmonisieren. Die sind so wie sind einfach perfekt. Auch als Instrumentals. Man muss sie einfach nur spielen.

Sie haben sich für dieses Album kaum vorbereitet, heißt es. Ganz im Unterschied zu anderen Aufnahmen.

Das erste Mal haben wir 2005 Songs von John Lennon live gespielt. Das war so etwas wie der Anfang dieses Projekts. In gewisser Weise haben wir uns aber unser ganzes Leben lang auf dieses Album vorbereitet. Einfach weil wir die Musik von John Lennon und den Beatles immer um uns herum hatten, immer wieder gehört und gespielt haben. So gesehen fing alles  1964 an – auch dieses Album.

Stimmt es, dass Sie für die Aufnahmen Fotos von John Lennon ins Studio gebracht haben?

Auch Bücher und Zeitschriftenartikel. Ich wollte einfach, dass wir bei den Aufnahmen intensiv an John Lennon denken. Vielleicht kennen Sie dieses unglaubliche Foto: John Lennon steht am Mischpult mit ausgestreckten Armen, daneben sitzt sein Sohn Sean, damals noch ein kleiner Junge. Sie hören sich gerade etwas an, was kurz davor aufgenommen wurde. Wenn man sich dieses Foto anschaut, bekommt man ein Gefühl für die Beziehung der beiden. Darum geht es auch in ‚Beautiful Boy‘, dem Song, den Lennon für Sean geschrieben hat. Das Foto drückt für mich aus, was der Song sagt, und umgekehrt.

Nicht nur bei diesem Song, sondern auch sonst suchen Sie oft visuelle Impulse für Ihre Musik: Von Gerhard Richter-Gemälden über Filme wie Bill Morrisons „The Great Flood“ bis hin zu Fotografien wie bei dem „Disfarmer“-Projekt. Woher kommt das?

Ich glaube, dass der künstlerische Impuls immer der gleiche ist – egal, ob man malt, fotografiert, schreibt  oder musiziert.  Also kann man sich von anderen Ausdrucksformen nicht nur inspirieren lassen, sondern davon auch lernen. Mir jedenfalls hilft es, meine Musik weiter zu bringen, wenn ich mich nicht nur von Musik inspirieren lassen.

Wie funktioniert dieses Sich-Inspirieren-Lassen? Ein Film, zu dem Sie Musik schreiben, ist ja etwas ganz anderes als ein Gemälde, das Sie in Musik übersetzen.

Ein Film setzt einem enge Grenzen, weil er einem eine zeitliche Struktur schon vorgibt. Sie zwingen einen, sich aus der Komfortzone des normalen  Musizierens heraus zu begeben.

Und Fotografie?

Ist viel abstrakter als Film. Ein Foto macht einem keine zeitlichen Vorgaben. Da ist die Zeit erst einmal unbegrenzt.

Stimmt es, dass Sie regelmäßig mit Gary Larson, dem Comic-Künstler von ‚The Far Side‘, Gitarre spielen?

Wir sind Nachbarn in Seattle. Gary ist ein wirklich guter Gitarrist. Wir spielen zusammen gern Jazzstandards Manchmal unterhalten wir uns auch über das, was wir gerade machen. Für mich hat das Cartoon-Zeichnen durchaus etwas mit Musik zu tun. Ich habe noch einen anderen Comic-Freund in Seattle: Jim Woodring, der Erfinder von ‚Jim‘ und ‚Frank‘. Wie Woodring zeichnet und erzählt – dieses unglaublich Traumhafte –, hat viel mit dem zu tun, was auch ich in meiner Musik auszudrücken versuche. Mehr als manches andere in der Musik.

Was haben Ihre Comic-Zeichner –Freunde, was andere nicht haben?

Eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Wenn Gary Larson jetzt hier bei uns sitzen würde, würde ihm sofort etwas auffallen: Etwas Seltsames oder etwas Komisches. Etwas, das uns gar nicht auffallen würde. Aber er sieht diese Dinge.

Einige Ihrer Gitarren-Kollegen – John Scofield etwa oder Jim Hall – sagen, Sie seien der Maler unter den Gitarristen.

Vielleicht, weil meine Musik manchmal etwas Wasserfarbenartiges und Flächiges hat.

Kommt das von dem für Sie typischen Delay-Effekt, mit dem Sie Töne festhalten und als Loop weiterlaufen lassen?

Meine Delay-Box ist beinahe so etwas wie ein zweites Instrument, obwohl alle Töne natürlich erst einmal aus der Gitarre kommen. Aber mein Instrument ist ohnehin nur ein Mittel der Übersetzung. Ich bin natürlich Gitarrist und deswegen haben mich andere Gitarristen beeinflusst. Aber die Musik, die ich im Kopf höre, ist nicht ausschließlich Gitarrenmusik. Sondern einfach Musik. Da höre ich genauso Orchesterakkorde wie aus einer Sinfonie von Beethoven. Die Gitarre ist das Instrument, mit dem ich das, was ich in meinem Kopf höre, in die Welt hole. Natürlich bleibt  das immer nur eine Annäherung. Weil man niemals zu hundert Prozent das realisiert, was einem vorschwebt. Das Ideal liegt immer weiter als der Punkt, den man mit seiner Musik erreicht.

Sie haben einmal gesagt: Die Unmöglichkeit, das zu spielen, was man zu spielen versucht, - diese Differenz -  lasse einen Musiker einzigartig klingen.

Das beste und bekannteste Beispiel dafür ist Miles Davis. Er wollte einmal wie Dizzy Gillespie klingen, aber er bekam diese unglaublich hohen Töne nicht hin – jedenfalls nicht so wie Gillespie. Also spielte er in einem niedrigeren Register. So fand Miles seinen einzigartigen Stil. Was für eine Tragödie, wenn er es geschafft hätte, Gillespie zu kopieren! Wir müssen uns eben mit dem arrangieren, was wir haben. Das Beste daraus machen. Und am Ende wird man dafür auch noch belohnt: Indem man auf einmal so klingt wie niemand sonst.

Wie haben Sie gelernt, persönliche Limits als Chance zu erkennen?

Das hat mit zwei Erlebnissen zu tun. Anfang der 70er-Jahre lebte ich in Denver: Ein junger Musiker, der seit ein paar Jahren versuchte, im Jazz anzukommen. Eines Tages gastierte der große Pianist Bill Evans in unserer Stadt. Ich bin mit meinen Freunden jeden Abend in den Club gegangen, wo er aufgetreten ist. Wir träumten alle davon, eines Tages, wenn wir hart übten, auch so toll zu spielen wie Bill Evans. Wir dachten: Man übt und übt und übt und eines Tages spielt man dann so großartig wie Bill Evans. Und dann wäre alles gut. Eines Nachts trafen wir nach dem Konzert Bill Evans allein auf der Straße. Er hatte den Wagen ins Hotel verpasst. Wir sagten ihm, wie fantastisch wir seine Musik fanden und wie dankbar wir ihm seien. Junge Jazzfans eben. Darauf meinte Bill Evans nur: ‚Oh Mann, ich habe die ganze Woche nur Mist gespielt! Ich krieg´s einfach nicht hin!‘ Er war richtig deprimiert. Sie können sich vorstellen, wie ernüchternd das war: Was uns eben noch wie der siebte Jazzhimmel vorkam, hat ihn einfach nur frustriert. Damals hab ich verstanden: Wenn jemand so gut wie Bill Evans spielt, aber trotzdem total unzufrieden ist, wird kein Musiker jemals an den Punkt gelangen, wo er mit seiner Musik dauerhaft zufrieden ist.

Und die andere Lehrstunde?

War ein paar Jahre später. Ich habe damals geübt und geübt und geübt. Ich stand auf John McLaughlin. Eines Tages habe ich ihn live mit Shakti gehört. Das war so unfassbar gut, dass ich ernsthaft daran dachte aufzuhören. Mir war klar, dass ich niemals so Gitarre spielen würde wie John McLaughlin. Aber irgendwann dachte ich mir: Du musst eben das machen, was du kannst. Und nicht das, was nur andere können. Auf einmal war mir klar, dass man in der Musik nie an ein Ende kommt. Dass man als Musiker nie fertig ist. Damit muss man klar kommen.

Sie haben Musik einmal eine ‚unerschöpfliche Ressource‘ genannt.

Das ist sie auch. Sie ist einfach da. Unerschöpflich. Und man kann immer noch einen Schritt tiefer in sie vordringen. Manchmal ist das überwältigend. Jeden Tag, wenn ich aufwache und ans Spielen denke, fühlt sich das für mich genauso an wie an dem Tag, an dem ich zum ersten Mal gespielt habe.

Ist Musik eine der wenigen Sachen, die einfach nur gut sind?

Meine Erfahrung ist die: Wenn man der Musik folgt – nicht als Geschäft oder als Karriere, sondern um ihrer selbst willen –, dann läuft es nicht nur gut: Es fühlt sich auch gut an. Das Allerbeste aber ist, dass sich jeder in der Musik so ausdrücken kann wie er mag. Und es tut niemandem weh. Bis jetzt habe ich jedenfalls nichts entdecken können, was an Musik irgendwie schlecht wäre. Deswegen: Ja, Musik ist gut.

CD-Tipp:
Bill Frisell: All we are saying (Fontana/Universal)

Tourtermine:
4. November: Wien/Porgy & Bess
6. November: Ludwigshafen/Kulturzentrum dasHaus
13. November: Straßburg/L‘ Illiade

Trailer zu „The Great Flood“:
http://www.youtube.com/watch?v=Lgy7mDJ_fVI

Live-Video von “Nowhere Man”
http://www.youtube.com/watch?v=SBASfpkoDRA&feature=related

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