Wien - Die Musik lässt Grace Bumbry nicht los. Sechs Jahrzehnte nach ihrem internationalen Durchbruch bei den Bayreuther Festspielen ist die US-amerikanische Sängerin dabei, Giuseppe Verdi und Richard Wagner zu studieren. «Ich plane eine Überraschung», sagt die Diva, die am Dienstag (4.1.) 85 Jahre alt wird. Bumbry würde noch gerne eine Aufnahme mit Liedern der zwei Komponisten machen, erzählt sie der Deutschen Presse-Agentur in Wien, wo sie seit einigen Jahren lebt.
«Es ist erstaunlich, wie meine Stimme noch immer...», sagt sie und unterbricht sich. «Ich will nicht sagen, dass sie so frisch ist wie am ersten Tag, aber es ist noch immer eine sehr gute Stimme.»
An Selbstbewusstsein hat es der ausdrucksstarken Mezzosopranistin und Sopranistin nie gemangelt. Weltweit bekannt wurde Bumbry im Jahr 1961, als sie als erste schwarze Sängerin in Bayreuth debütierte. Nach der umjubelten Premiere des «Tannhäuser» wurde sie in den Medien als «schwarze Venus» tituliert. Die Kritik, der sie im Vorfeld der Premiere wegen ihrer Hautfarbe ausgesetzt war, schob sie beiseite, um sich auf ihre Rolle zu konzentrieren. «Ich habe mir einen Schutzmantel übergezogen», sagt sie. Dass Festspielleiter und Regisseur Wieland Wagner hinter ihr stand, habe ihr dabei auch geholfen.
Bumbry gilt als eine Wegbereiterin für schwarze Sängerinnen und Sänger in der Klassik-Welt, genauso wie die um eine Generation ältere Marian Anderson, die Bumbrys Karriere in Gang brachte. Bumbry wuchs als Tochter einer ehemaligen Lehrerin und eines Frachtabfertigers bei der Eisenbahn in einer musikalischen Familie in St. Louis in Missouri auf. Als sie etwa zwölf Jahre alt war, durfte sie ihrem großen Vorbild Anderson vorsingen. So entwickelte sich der Kontakt zu Andersons Manager Sol Hurok, der auch Stars wie Arthur Rubinstein oder Isadora Duncan unter Vertrag hatte.
In den Sechzigerjahren debütierte Bumbry an den wichtigsten Bühnen, von der Londoner Royal Opera über die Mailänder Scala und die New Yorker Metropolitan Opera bis zu den Salzburger Festspielen, wo sie unter Herbert von Karajan als temperamentvolle, aber fein nuancierte Carmen überzeugte. Bei den Proben zeigte sich der Stardirigent, Autoliebhaber und Egozentriker von Karajan irritiert über den Lamborghini der jungen Sängerin - bis sie ihn einmal eine Runde damit fahren ließ. «Danach waren wir gute Freunde», erzählt sie.
Nachdem Bumbry die Hauptrolle in Bizets «Carmen» oft gesungen hatte, machten sich Stimmprobleme bemerkbar. Ärzte rieten ihr daraufhin, in eine höhere Lage zu wechseln. Als Mezzosopranistin hatten unter anderem die Amneris in «Aida», Eboli in «Don Carlos» und Lady Macbeth in «Macbeth» zu ihren Lieblingsrollen gezählt. Später kamen im Sopran-Fach Titelrollen in «Salome», «Medea» und «Jenufa» hinzu.
Als Schülerin der großen deutsch-amerikanischen Sängerin und Lehrerin Lotte Lehmann pflegte Bumbry auch stets das Lied-Repertoire. Lieder halfen Bumbry, sich in Opern-Rollen hineinzudenken und zu -singen, sagt sie: «Bei beiden geht es um dramatische Musik.»
Heute geht Bumbry nicht mehr in die Oper. Einige der derzeitigen Stars seien «nicht so gut, wie sie meiner Meinung nach sein sollten». Doch sie hat trotzdem Lieblingssängerinnen: Die Lettin Elina Garanca und die Georgierin Anita Ratschwelischwili. Die Stimmen der beiden Mezzosopranistinnen hätten eine besondere Stärke und Farbe, die nie in zu tiefe «trübe» Bereiche abgleiten, sagt Bumbry.
Die Diva unterrichtet auch selbst noch einige Schülerinnen und Schüler. Sie will ihnen helfen, ihre echte, freie Singstimme zu finden. Zu ihrer eigenen Studienzeit habe man sich noch mehr dafür interessiert, wie die Stimme eigentlich funktioniere. «Die heutigen Sänger wollen jemanden finden, den sie kopieren können.» Heute sei es durch technische Entwicklungen leichter, Stars zu imitieren. «Man muss nur einen Knopf drücken», sagt Bumbry.