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Die nmz verabschiedet sich von Karl Heinz Wahren, Walter Lang, Emil Mangelsdorff, Volker Scherliess, Alois Kottmann, Günter Ludwig und Anne Geißler

Zum Tod des Komponisten Karl Heinz Wahren

Der langjährige Präsident und Ehrenpräsident des Deutschen Komponistenverbandes (DKV), der Komponist und Pianist Karl Heinz Wahren ist am 14. Dezember 2021 im Alter von 88 Jahren in seiner Heimatstadt Berlin verstorben.

Engagement für die berufspolitischen Belange der Kreativen und ein Einsatz für die zeitgenössische Musik waren für den Komponisten Zeit seines Lebens ein wichtiges Movens. Besondere Verdienste erwarb sich Karl Heinz Wahren nach der Wiedervereinigung durch die Fusion der beiden Komponistenverbände (Ost und West) zum gemeinsamen Deutschen Komponistenverband DKV, dessen Präsident er bis 2004 war. Wahrens Œuvre umfasst Werke fast aller Gattungen, darunter auch Filmmusiken. So schrieb er zusammen mit Bernd Wefelmeyer für das Filmorchester Babelsberg Musik zum Stummfilm-Klassiker „Metropolis“ von Fritz Lang und die Stummfilmgroteske „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki“ von Lew Kuleschow. Wahrens musikalisches Interesse galt zunächst dem Jazz, erst im Laufe seines Studiums zogen ihn die ästhetischen Möglichkeiten der „E-Musik“ mehr und mehr an.

1965 gehörte er zu den Mitbegründern der Gruppe Neue Musik Berlin. 1969 erhielt er den Rompreis der Villa Massimo, 1970 den Preis des Ros­trum of Composers der UNESCO Paris und war mehrfach Stipendiat der Darmstädter Ferienkurse. 1978 erhielt er den Förderungspreis der Berliner Akademie der Künste, 1994 das Bundesverdienstkreuz, 2001 den GEMA-Ehrenring und 2003 die Werner-Egk-Medaille.

Von 1981 bis 2003 war er Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates mit anschließender Verleihung der GEMA-Ehrenmitgliedschaft. Von 1990 bis 2004 wirkte er als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, der ihn 2004 zum Ehrenpräsidenten wählte. Karl Heinz Wahren wurde am 28. April 1933 in Bonn geboren. 1936 zog die Familie nach Gera in Thüringen, wo er zunächst Klavier- und Kontrabassunterricht erhielt. Nachdem ihm an den Musikhochschulen in Leipzig und Weimar wegen seiner „bourgeoisen“ Herkunft die Aufnahmeprüfung verweigert worden war, ging er 1953 nach West-Berlin, wo er von 1953 bis 1961 am Städtischen Konservatorium Klavier bei Martin Portzki, Tonsatz und Komposition bei Friedrich Metzler und Filmmusik bei Walter Sieber studierte. Bei Josef Rufer setzte er bis 1965 sein Kompositionsstudium an der damaligen Hochschule für Musik Berlin fort, ergänzt durch ein privates Studium von 1961 bis 1963 bei Karl Amadeus Hartmann in München. Neben seinem musikalischen Schaffen trat Wahren auch als Autor zahlreicher Rundfunkbeiträge, Aufsätze, Essays und Vorträge über zeitgenössische Musik hervor. [nmz]

Zum Tod des Jazzpianisten Walter Lang

Walter Lang war kein Revolutionär. Der offensive Regelbruch interessierte ihn kaum, wenn überhaupt, dann als Akzent in einem größeren gestalterischen Zusammenhang. Seine Welt waren Harmonie und Melodie, beide für sich, aber auch in engem Austausch. Er liebte das Feine, das aus einem pointiert gesetzten Akkord erwachsen konnte, das Lächeln eines Klangs, der Menschen anstrahlte. Vor allem faszinierte ihn das Kantable, die vokale Qualität von Melodien, die sich nicht im Vordergrund des Gehörten erschöpfte, sondern auf freundliche, bestimmte Art im Ohr und in Gedanken blieb. 

Das machte ihn zu einem beliebten Teamspieler. Walter Lang konnte sich anpassen, ohne sich zu verlieren. Man hörte ihn oft an der Seite von Sänger*innen, die seine empathische Präsenz schätzten. Mit Philipp Weiss hatte er ein festes Duo, Melanie Bong und Jenny Evans, Tuija Komi und Lisa Wahlandt, aber auch Fernanda Santanna und Milton Nascimento ließen sich neben vielen anderen gerne von ihm rahmen und inspirieren. Überhaupt lag ihm die kleine Form, eines seiner letzten Projekte etwa führte ihn mit dem Gitarristen Philipp Schiepek zusammen, Nylonsaiten und Flügel, zwei Welten der Fülle, Farbe, Dynamik, mit ästhetischer Finesse vereint. Ein wenig stolz war er auch, als ihn zum Beispiel Lee Konitz an dessen Seite holte, in Bands oder eben für Duo-Konzerte wie etwa 2005 in Murnau.

Und dann war da die Neugier. Sie hatte den jungen Mann aus Schwäbisch-Gmünd, der sich eigentlich eher in Pop und Rock wiederfand, nach Bos­ton an das Berklee College of Music und weiter nach Amsterdam geführt, wo er den Reiz von Jazz und Improvisation entdeckte. Sie ließ ihn für Japan und dessen Kultur entflammen, ebenso für Brasilien und dessen rhythmische Poesie. Walter Lang kehrte zwar immer wieder zurück nach Bayern, aber er hatte diese Ideen der Ferne in seinem Kopf und integrierte sie in Projekte. Seine Mitmusiker*innen konnten sich daher zurücklehnen, mit Offenheit umfangen lassen, langjährige Freunde und Lebenswegbegleiter wie der Saxophonist Jason Seizer etwa, Trio-Partner wie Shinya Fukumori und Mathieu Bordenave, Nick Thys und Rick Hollander, Thomas Markusson, Sebastian Merk, Magnus Öström. Manchmal ließ ihn diese Neugier auch Grenzen überschreiten. Charles Chaplin zum Beispiel widmete er ein eigenes Album. Als das Klaviertrio in den frühen Nullerjahren sich unter verschiedenen Vorzeichen neu erfand, tat Walter Lang sich mit dem Bassisten Sven Faller und dem Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer zum Trio ELF zusammen, ein eigenwillig technoides Stilgewächs, das die Nervosität des Drum & Bass mit der klangpoetischen Weite des Jazzklaviers fusionierte. Es wurde eines seiner eigenwilligsten Projekte, eine Band, die weit über die heimische Szene hinaus Publikum und Spezialisten beeindruckte. [Ralf Dombrowski]

Zum Tod von Emil Mangelsdorff

Deutschen Jazz gibt es nicht, hat Emil Mangelsdorffs jüngerer Bruder, der Posaunist Albert Mangelsdorff einmal gesagt. Aber den legendären Frankfurt Sound gab es mit dem hr Jazzensemble und Namen wie den Gebrüdern Mangelsdorff, Joki Freund, Heinz Sauer und Günther Lenz. Ertönt war dieser Frankfurt Sound nicht erst in den Clubs der amerikanischen Befreier und Besatzer, schon längst vorher – mitten in den letzten Kriegsjahren bei den Treffen der Clique um den Klarinettisten und späteren Altsaxophonisten Emil Mangelsdorff, darunter Carlo Bohländer, Horst Lippmann, Paul Martin oder Hans Otto Jung.

Emil (*1925) und Albert Mangelsdorff (*1928) lebten in diesen Jahren, geprägt auch durch das sozialdemokratische Elternhaus, in bewusster Opposition zum NS-Staat. Mit dem vitalen Jazz begehrte man gegen die Konformität der NS-Kunst auf. Doch bald begann die Gestapo sich für das Treiben der Frankfurter Swing-Freunde zu interessieren, die Bedingungen wurden schwieriger, man traf sich immer mehr privat. Die Gestapo war es auch, die die Aufhebung einer Zurückstellung von Emil Mangelsdorff vom Arbeits- und Wehrdienst aufhob – mit schlimmen Folgen: 1944 wurde Emil Mangelsdorff zur Wehrmacht beordert und konnte seine Karriere erst 1949 fortsetzen, als er aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt war. Sieben Jahre seiner Karriere, so erinnerte er sich später, hatte er durch diese Umstände verloren. Dennoch machte der vom Bebop geprägte Altist und Komponist eine außergewöhnliche Karriere, die 2015 durch die Verleihung einer Ehrenprofessur des Landes Hessen gekrönt wurde. Der Träger der Leuschner-Medaille, der Goethe-Plakette des Hessischen Jazzpreises und des Bundesverdienstkreuzes hat sich nicht nur um die Musik verdient gemacht, sondern als Zeitzeuge der deutschen Geschichte Erinnerungsarbeit geleistet. Am 21. Januar ist Emil Mangelsdorff im Alter von 96 Jahren gestorben. [Andreas Kolb]

Zum Tod von Volker Scherliess

Mit 17 fasst er sich ein Herz und besucht Igor Strawinsky im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg, einen Tag nach dessen 80. Geburtstag. Ein Schlüsselerlebnis für Volker Scherliess, den die Musik fortan nicht mehr loslässt. Wunderbare Welten hat sich der Musikhistoriker in den folgenden Jahrzehnten erschlossen. Mit seiner verstehenden Liebe zur Musik hat er Generationen von Studierenden und das musikinteressierte Publikum begeistert. Es war eine glückliche Konstellation, als Scherliess 1991 an die Musikhochschule Lübeck als Professor für Musikwissenschaft berufen wurde. Er, der in Osterrode geboren, in Flensburg groß wurde und in Hamburg Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studierte, fand damit in Lübeck seine geistige und reale Lebensform — nach langen Jahren in Rom, Tübingen und Trossingen. Über zwei Jahrzehnte prägte er das Musikleben der Hochschule und der Stadt entscheidend mit, als engagierter Musikhistoriker, der sich nicht allein eigenen Forschungsinteressen widmete. Dass er auch sie nie vernachlässigt hat, zeigen seine wichtigen Bücher über Igor Strawinsky, Alban Berg, Gioacchino Rossini oder den Neoklassizismus. Die von ihm geprägte Lübecker Reihe „Werkstatt Musikgeschichte“ ist legendär. Den glänzenden Redner werden viele vor Augen und Ohren haben, sein Auftreten, seinen Habitus und Duktus, seine Stimme und seine Sprache. Dabei war sich Scherliess immer bewusst, dass die narrative Rekonstruktion des Gewesenen klug und allgemeinverständlich zugleich sein kann. Am 5. Januar ist Volker Scherliess im Alter von 76 Jahren gestorben. [Wolfgang Sandberger]

Zum Tod von Alois Kottmann

Der 1929 in Großauheim/Hanau geborene Konzertgeiger, Orchesterleiter und Hochschullehrer Alois Kottmann war seit 1981 Initiator der „Internationalen Musiktage“ in seiner Heimatstadt Hofheim am Taunus und Stifter des „Alois-Kottmann-Preises für klassisches sangliches Violinspiel“, mit dem er an das musikhistorische Erbe Frankfurts erinnern wollte.

Kottmann spielt die Geige sozusagen gegen den Strich: Einem Musikbetrieb, der nur das marktgängige Virtuosentum beförderte, verweigerte er sich. Dabei war er selbst ein außerordentlicher Virtuose auf seinem Instrument, einer Violine von Santo Serafin, Venedig 1730. „Alois Kottmann, der Geigensänger“, so nannte ihn einmal augenzwinkernd-anerkennend der Publizist Andreas Bomba.

Zahlreiche Einspielungen – vor allem mit dem von ihm bereits 1968 gegründeten Kammerorchester Collegium instrumentale – geben Zeugnis von der Klangkunst Kottmanns, darunter mehrere Konzerte von J.S. Bach, Mendelssohn Bartholdy und Joseph Haydn. Die Mitglieder des Ensembles entstammten den Kottmann’schen Violinklassen des Dr. Hoch’s Konservatorium, der Musikhochschule Frankfurt sowie dem Fachbereich Musik der Universität Mainz. Kottmann war auch in der Moderne zuhause: Das belegen seine Interpretationen der Hindemith’schen „Trauermusik“ oder auch dessen Sonate Nr. 2 für Violine solo. Das Rhein-Main-Gebiet blieb ein Leben lang Mittelpunkt für Kottmanns künstlerische Aktivitäten und kulturpolitische Initiativen. Dort entstand auch der Kontakt zu dem in Frankfurt lebenden Posaunisten Albert Mangelsdorff, dessen Werk für Kammerorchester und Posaune „Denk ich an Bosnien“ Kottmann mit seinem Collegium instrumentale aufführte und aufnahm. Neben dem Jazzposaunisten verbanden Kottmann künstlerische Partnerschaften mit Karl Freitag, Marietta Krutisch, Gisela Sott, Heinz Teuchert, Rainer Hoffmann, Maria Jäger-Jung, Alois Ickstadt, Günter Ludwig, Peter Lukas Graf, Agnes Giebel und Ingo Goritzki. Am 4. Dezember ist Alois Kottmann im Alter von 92 Jahren verstorben. [Andreas Kolb]

Zum Tod von Anne Geißler

Über viele Jahre war sie aus den Büro­räumen der neuen musikzeitung in München, aus den Räumen diverser Musikverbände, die sich dort zusammengeschlossen hatten, später aus denen der Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ nicht wegzudenken: Anne Geißler fand sich freiwillig bereit, im gemeinsamen Sekretariat der Verbände, zunächst in München-Pasing, dann in Obermenzing, noch unter der Ägide von Eckart Rohlfs erst auszuhelfen, dann mitzuarbeiten, mitzudenken.

Sie kam aus der Verwaltung; ihr Sohn Theo führte sie in die „Szene“ ein. Bei der neuen musikzeitung war sie vor allem für den Kontakt mit Autoren zuständig, sie war im Sekretariat eine höchst kommunikative Kraft und führte für „Jugend musiziert“ über Jahre hinweg die Bücher.

Humorvoll und immer freundlich, in der Sache eisern: Wenn es um Zahlen ging, gab es kein „Ungefähr“. Durch ihre liebenswerte Art trug sie immer zum guten Klima ihres Teams bei, sorgte auch schon mal für ein gelungenes Konfliktmanagement und war immer offen für neue Entwicklungen, auch im höheren Alter. Am 22. Januar ist sie 96-jährig nach langer Krankheit in Berlin gestorben. [nmz]

Zum Tod von Günter Ludwig

Günter Ludwig begann seine Studien am Musischen Gymnasium in Frankfurt am Main, studierte dann Klavier bei August Leopolder und Marguerite Long sowie Dirigieren bei Kurt Thomas. Erste Erfolge erzielte er bei Teilnahmen an internationalen Wettbewerben, so errang er 1954 und 1955 jeweils dritte Preise beim Internationalen Klavierwettbewerb Ferrucci­o Busoni. Ludwig war Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Köln und Gastprofessor an der Indiana University Bloomington. Als freier Mitarbeiter war er für den Schott-Verlag und die Wiener Urtext Edition tätig. Zusammen mit Walter Schreiber (Violine) und Joanna Sachryn (Violoncello) bildete der Pianist ab Ende der 1980er-Jahre das „Kölner Klaviertrio“. Zeitgenössische Komponisten wie Dieter Salbert, Violeta Dinescu und Krzysztof Meyer haben dem Kölner Klaviertrio Werke gewidmet. Am 11. Januar ist Günter Ludwig im Alter von 91 Jahren gestorben.

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