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Hans Zender (22. 11. 1936 – 22. 10. 2019). Foto: Charlotte Oswald
Hans Zender (22. 11. 1936 – 22. 10. 2019). Foto: Charlotte Oswald
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Die Sinne denken

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Nachruf auf den Komponisten, Dirigenten und Autor Hans Zender
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„Omnia tempus habent“ hat Hans Zender eine Konzertreihe genannt, die er einige Jahre an seinem langjährigen Wirkungsort Freiburg durchführte. Dieser sprechende Titel, an ein Werk von Bernd Alois Zimmermann angelehnt, ist typisch für Zenders jahrzehntelange Neigung zur intensiven Reflexion kultureller Traditionen und existenzieller Fragestellungen. Die auf Dialoge zwischen alter und neuer Musik konzentrierte Reihe steht überdies aber exemplarisch für die zahlreichen visionären, für die Musikkultur enorm hilfreichen, stets zum denkenden Hören stimulierenden Initiativen und Ideen, die wir Hans Zender verdanken.

Seine unermüdlichen Aktivitäten waren einerseits von Begeisterung, aber andererseits von kritischer Reflexion getragen und erstreckten sich mit wechselnden Schwerpunktsetzungen auf drei sehr unterschiedliche Tätigkeitsfelder: die des Dirigenten, die des Musikschriftstellers sowie (vor allem) die des Komponisten. Zender wusste alle drei Seiten so schlüssig und produktiv wie kaum eine andere Persönlichkeit der neueren Musikkultur miteinander zu verbinden. Mit etlichen wichtigen freien Ensembles innerhalb dieser Musikkultur, ganz besonders wohl mit dem Ensemble Modern und dem Klangforum Wien, bildeten sich stabile Freundschaften – leidenschaftlich stehen die dort Wirkenden seit Jahrzehnten nicht nur mit Zenders Musik, sondern auch ihm selbst in Verbindung. Mit fast allen namhaften Festivals und Konzertreihen der Gegenwartsmusik war das Verhältnis ebenfalls eng – was insofern der Hervorhebung bedarf, da er ja als Dirigent jahrzehntelang an unzähligen „klassischen“ europäischen Musik-Orten und -Institutionen (bis hin zu den Salzburger und Bayreuther Festspielen und zu allen Rundfunkorchestern) gewirkt hat. Wichtige Spuren hinterlässt seit einigen Jahren zudem auch die von ihm gemeinsam mit seiner Frau gegründete Stiftung, die nach seinem Tod fortgeführt werden soll. Dass diese, besonders mit dem „Happy New Ears“-Preis, außer dem Komponieren auch das Schreiben über Musik fördern und auszeichnen soll, war ihm besonders wichtig. Ging es Hans Zender doch stets darum, Kontrapunkte gegen den oft einseitigen, von Klischees oder Oberflächlichkeit bestimmten Diskurs über Musik zu setzen.

Zenders kompositorisches Schaffen ist bemerkenswert vielgestaltig, es umfasst außer den drei großen, an verschiedensten Orten realisierten Musiktheaterwerken „Stephen Climax“,  „Don Quijote de la Mancha“ und „Chief Joseph“ auch mehrere vokale oder instrumentale Werk-Reihen, die von einer nie nachlassenden Beharrlichkeit beim Wiederaufgreifen essentieller Fragestellungen künden: Sein Zyklus „Hölderlin lesen“ steht paradigmatisch für das Vermögen, Strategien weit jenseits klassischer Vertonung zu etablieren, mit bemerkenswert variablen Ideen. Doch auch seine „Cantos“, zu denen die wichtigen großbesetzten Werke „Shir Hashirim“ und „Logos-Fragmente“ gehören, laden auf höchst sinnliche Weise zur Reflexion darüber ein, wie sich Bedeutung durch das Zusammenspiel von Klängen und Texten entwickeln, befragen, verschatten oder aufheben lässt. Von hier aus gibt es einen direkten Bezug zu jenen „Komponierten Interpretationen“, für die Hans Zender als Komponist besonders berühmt wurde. Viele Hunderte von Aufführungen, unzählige sogar szenisch, erlebte bereits jene der Schubertschen „Winterreise“. Doch gewiss ebenso facettenreich und eindrucksvoll ist jene neuere, die auf Beet­hovens „Diabelli-Variationen“ bezogen ist und die Irritationsmomente des Originals besonders nachdrücklich zum Tragen bringt. Zender hat mit dieser Werkreihe einen neuen Typus klanggewordener Musik-Reflexion geschaffen, der meilenweit übers bloße Bearbeiten hinausgeht.

Man würde Hans Zenders Wirken und Denken allzu sehr verkürzen, würde man die Resonanzen nicht-europäischer Traditionen in seinen Werken wie seinen Texten unterschlagen. Fragen spezifischer kultureller Überlieferung sowie Deutung klingen in seiner Musik auf immer wieder höchst originelle und stimulierende Weise an – dies namentlich in den „No Kyo“ überschriebenen Stücken sowie in den orchestralen „Kalligraphien“. Aber sie  spielen auch in seinen zahlreichen Büchern über Musik eine wichtige Rolle, besonders umfassend wohl im Band „Die Sinne denken“. Und Zenders Sammlung alter ostasiatischer Kalligraphien ist bemerkenswert. Erst unlängst hat er ein darauf bezogenes Buch veröffentlicht.

Außer mit Zimmermann, dem er schon in jungen Jahren als Stipendiat in der Villa Massimo begegnete, dessen „pluralistischem“ Denken er Wesentliches verdankte und zu dessen Durchsetzung er wie kaum ein anderer Interpret beitrug, stand Zender auch mit durchaus unterschiedlichen anderen Komponistenkollegen in engem Kontakt – so etwa mit Helmut Lachenmann, mit dem ihn bis zum Schluss eine tiefe Freundschaft verband, aber auch zum Beispiel mit Olivier Messiaen, Morton Feldman, Giacinto Scelsi, Isang Yun oder Pierre Boulez. Kaum minder wichtig waren für ihn verschiedenste Philosophen. Mit vielen von ihnen, so etwa mit Albrecht Wellmer und Georg Picht, hatte er einen sehr intensiven Austausch.

Hans Zender zu begegnen war jedes Mal auch für viele Jüngere ein tiefes Erlebnis: Er kam immer schnell zum Wesentlichen, stellte Fragen, vermochte zuzuhören, war geradezu süchtig nach Anregungen und Diskussionen, interessiert auch an Widersprüchen oder Paradoxien. Noch zwei Tage vor seinem Tod, als er schon schwer von seiner Krankheit gezeichnet war, begann er mit mir bei unserer letzten Begegnung eine Diskussion über Mozarts „Zauberflöte“, spielte dabei sogar eine Passage des Werkes am Klavier. Und übergab mir anschließend sein letztes Buch, das den Titel „mehrstimmiges Denken“ trägt. Auch dies ist eine Formel, die in spezifischer Weise auf die Vielfalt von Zenders Denk- und Erfahrungs-Welten weist, in diesem Falle stark auf körperlich-existenzielle und religiöse Aspekte bezogen. In seinen Kompositionen ist von dieser Vielfalt, die von unterschiedlichsten Fokussierungen sichtbar oder unsichtbar zusammengehalten wird, aber auch dem Unfassbaren und bewusst Inkohärenten zugewandt ist, besonders viel zu spüren. Die Kompositionen sind, das war ihm bewusst, sein wichtigstes Vermächtnis. Doch auch Zenders Aufführungen sowie seine Texte zur Musik, zu ihrem Wesen und ihrer Rolle in der Gegenwart werden fortwirken.


  • 22. November 2019 in der  Bayerischen Akademie der Schönen Künste: Verleihung des Happy New Ears-Komponistenpreises der Hans und Gertrud Zender-Stiftung an Klaus Ospald und des Happy New Ears-Preises für Publizistik zur Neuen Musik an Jörn Peter Hiekel.

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