Der österreichische Stardirigent Nikolaus Harnoncourt hat zu seinem 86. Geburtstag am Sonntag das Ende seiner aktiven Arbeit am Pult bekanntgegeben. „Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne“, schrieb der in Berlin geborene Orchesterleiter in einem kurzen öffentlichen Brief an sein Publikum.
Ursprünglich hätte Harnoncourt am Samstag- und Sonntagabend noch den Concentus Musicus zu einem Bach-Programm dirigieren sollen. Am Vorabend seines Geburtstages teilte er in einem handgeschriebenem Brief aber seinen Rückzug mit. Kopien wurden dem Programmheft im Wiener Musikverein beigelegt.
„Da kommen große Gedanken hoch: zwischen uns am Podium und Ihnen im Saal hat sich eine ungewöhnlich tiefe Beziehung aufgebaut – wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden!“, schrieb der Dirigent. Jahrzehnte seien für Harnoncourt „Bühne und Orchestergraben sein Königreich“ gewesen, schrieb die österreichische Nachrichtenagentur APA in einer Würdigung. „Mit Neugier und Enthusiasmus hat der Musiker sich einst geweigert, bewährte Pfade ungeprüft zu beschreiten und stattdessen das Quellenstudium und die Verwendung von Originalklanginstrumenten propagiert.“ Damit habe Harnoncourt „eine Revolution der Aufführungspraxis“ bewirkt.
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«Da wird wohl Vieles bleiben» - Dirigent Harnoncourt hört auf
Alkimos Sartoros, dpa
Wien (dpa) - Zum Schluss fasste Nikolaus Harnoncourt selbst sein Wirken vielleicht am treffendsten zusammen: «Wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden», schrieb der Dirigent am Wochenende in einem kurzen Abschiedsbrief im Programmheft des Wiener Musikvereins an das Publikum. Doch: «Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne.» Zu seinem 86. Geburtstag am Sonntag zog sich der 1929 in Berlin geborene und in Graz aufgewachsene Musiker damit nach überaus erfolgreichen Jahrzehnten vom Pult zurück. Mehr als 60 Jahre lang hatte er sich der Entdeckung des sogenannten Originalklangs gewidmet, dem Klang der Musik zu ihrer Entstehungszeit.
«Das markiert einen Endpunkt einer Ära», schrieb die Wiener Tageszeitung «Die Presse» am Montag. Schon als junger Cellist bei den Wiener Symphonikern unter Herbert von Karajan interessierte sich Harnoncourt für die sogenannte Alte Musik. Anfang der 1950er Jahre gründete er mit seiner Frau Alice Hoffelner das Ensemble Concentus Musicus, das sich zunächst der Musik des Barock widmete. In akribischer Detailarbeit hinterfragte Harnoncourt immer wieder das traditionelle Musizieren, das «selbstverliebte Baden im üppigen Schönklang», wie der Dirigent Thomas Hengelbrock in einer Festschrift des Berliner Konzerthauses einmal schrieb.
Gepaart mit seiner Neigung, den Dialog mit den Musikern im Ensemble zu suchen und das Bild des allwissenden Maestros infrage zu stellen, galt er vielen als der «Anti-Karajan». Seine Wiederentdeckungen und Interpretationen der Kantaten von Bach, der Opern von Monteverdi, der Musik von Mozart und Beethoven setzten Maßstäbe. Er dirigierte unter anderem das Concertgebouw-Orchester in Amsterdam, die Wiener und die Berliner Philharmoniker.
Auf dem Weg zum Weltstar wurde Harnoncourt jedoch auch lange Zeit belächelt. Im Musik-Establishment wurde er wegen der Originalklanginstrumente, deren Verwendung er propagierte, unter anderem als «Darmsaitenritter» verspottet.
In seinem Entdecker-Eifer war er dennoch bis zum Schluss ungebremst. Noch die Verleihung des Echo-Klassik-Preises im Alter von 84 Jahren für sein Lebenswerk sah er zwiespältig. «Ich bin mitten im Lebenswerk, darf ich jetzt nichts mehr machen?», fragte er. Stattdessen widmete er sich immer wieder neuen Projekten, wie in jüngerer Vergangenheit etwa Werken Jacques Offenbachs (1819-1880) und des englischen Barockkomponisten Henry Purcell.
Als «unersetzlich» bezeichnete ihn nun die Wiener Tageszeitung «Der Standard». Unter anderem sei auch die Zukunft des Concentus Musicus offen. Für seine Unterstützer und Zuhörer hatte Harnoncourt in seinem Abschiedsbrief trotzdem auch noch eine positive Botschaft übrig. Eine ungewöhnlich tiefe Beziehung habe sich zwischen ihnen aufgebaut, schrieb er. «Da wird wohl Vieles bleiben.»