Der russische Dirigent Valery Gergiev will sich als künftiger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker stärker dem jungen Publikum zuwenden. "Man muss diese neue Generation erreichen, man muss sie ansprechen", sagte der 59-Jährige bei der Unterzeichnung seines Vertrags am Freitag in München. Zugleich will Gergiev die Tradition des Orchesters achten. Die Vertragsunterzeichnung läutet eine neue Ära ein, nachdem Gergievs Vor-Vorgänger Christian Thielemann München im Streit verlassen hatte und der aktuelle Chefdirigent Lorin Maazel seine Mitwirkung von Beginn an als vorübergehend angekündigt hatte.
Gergiev tritt 2015 in München die Nachfolge von Maazel an; sein Vertrag läuft bis 2020. Der Dirigent von Weltrang bezeichnete es als "gefährlich, zu ignorieren, dass wir in einer anderen Welt leben als vor zehn Jahren". Die Arbeit mit jungen Menschen sei eine seiner Prioritäten. Er wolle "eine neue Denkweise, ein neues Verständnis kultivieren" und sich dabei auch schon an Schüler wenden.
Gergiev bezeichnete die Philharmoniker als "wundervolles Orchester" und kündigte an, die Tradition des Hauses zu achten. Er wisse, dass das Münchner Publikum herausragende Komponisten liebe. Ein gutes Orchester zeichne sich durch ein breites Repertoire aus. Im Mittelpunkt seines Schaffens sollten dabei deutsche Werke stehen. "Deutsche Musik nimmt eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben ein", bekräftigte Gergiev.
Appell an deutsche Kulturförderung
Der Dirigent begründete seinen Wechsel nach München unter anderem mit der "Führungsrolle", die Deutschland in punkto Kultur in Europa einnehme. Deutschland trage bei der Kulturförderung eine "herausragende Verantwortung". Er ergänzte: "Die Musik ist nicht vergessen". Daher fühle er sich so wohl in Deutschland. Wenn das Land in seinen Anstrengungen nachlasse, werde ein "Dominoeffekt" ausgelöst, warnte er.
Gergiev plant auch, konzertante Opern aufzuführen. "Das Publikum liebt die Opern", betonte er und kündigte an, Stücke auf die Bühne zu bringen, die bislang kaum oder noch nie in München zu sehen waren. Geplant seien unter anderem Werke von Igor Strawinski. Mit der umstrittenen Akustik im Gasteig scheint der Maestro zufrieden. Obwohl der Saal etwas zu groß und zu breit sei könne man dort "gute Ergebnisse erzielen".
Maazel war "künstlerische Brücke"
Den Titel des Generalmusikdirektors, wie Thielemann, wird Gergiev nicht führen, da mit dem Posten großer Einfluss verbunden ist und die Stadt die Gefahr von Zerwürfnissen umgehen will. Hintergrund ist ein Kompetenzstreit mit Thielemann, der im Sommer 2009 eskaliert war. Auf Drängen des Orchesters kippte der Münchner Stadtrat damals die schon fertig ausgehandelte Vertragsverlängerung mit dem Chefdirigenten und Generalmusikdirektor. Thielemann unterschrieb überraschend einen Vertrag als neuer Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden ab 2012 und die Münchner verpflichteten wenig später den heute 82 Jahre alten US-Dirigenten Lorin Maazel, der in München von 1993 bis 2002 schon einmal Chef des BR-Symphonieorchesters war.
Maazel teilte am Freitag mit, er fühle sich "geehrt, als künstlerische Brücke" zwischen Thielemann und Gergiev gedient zu haben. Er wolle sich nun wieder seinen Kompositionsprojekten widmen und weiter seine Beziehung als Gastdirigent zu den Orchestern pflegen, mit denen er seit einem halben Jahrhundert verbunden sei.
"Wunschkandidat des Orchesters"
Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller sagte, das Orchester wolle künftig seine rund 18.000 Abonnenten "nach Kräften pflegen" und zugleich verstärkt einem jungen Publikum zuwenden. Medien und Internet sollen noch stärker im Fokus stehen.
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) würdigte die Entscheidung für Gergiev als "Glücksfall für München". Es sei der "Idealfall, dass der Chefdirigent auch der Wunschkandidat des Orchesters ist". Gergiev sei ein "Chefdirigent von größter internationaler Reputation". Dass dieser "international vielseitig Verpflichtungen wahrnimmt" sei "nicht ein Problem, sondern eine Chance".
Gergiev leitet seit mehr als 20 Jahren das Mariinski-Theater in Sankt Petersburg. Darüber hinaus ist er bis Anfang 2015 Chefdirigent des London Symphony Orchestra, will den Vertrag dort aber nicht verlängern. Der 59-Jährige leitet außerdem das 1995 von Sir Georg Solti gegründete World Orchestra for Peace.